F ür die Mitglieder der hiesigen türkischen Gemeinde kam die Militäraktion völlig überraschend. Erdogan-Anhänger und -Gegner bewerten dies unterschiedlich.
In der türkischen Gemeinde in
Kulmbach sitzen Männer im Aufenthaltsraum. Sie sind blass, schauen übernächtigt aus. Doch ans Nach-Hause-Gehen denkt keiner von ihnen. Sie diskutieren über den Putschversuch in der Türkei. Man ist besorgt, geschockt, und manche haben Angst. "Ich habe fast nicht geschlafen. Einige von uns waren auch nachts hier, als bekannt geworden ist, was in der Türkei passiert", sagt der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Kulmbach, Serkan Uzun.
Man sucht die Gemeinschaft
In Deutschland geboren und hier aufgewachsen, ist Uzun schockiert über die Ereignisse in der Türkei. "Das kam alles sehr überraschend", sagt er. "Als ich gehört habe, was passiert ist, habe ich zuerst an einen Terroranschlag gedacht. Aber dann wurde bekannt, was wirklich los ist." Er und die anderen Männer suchen die Gemeinschaft.
Man will gemeinsam sehen, wie sich die Lage in der Türkei weiter entwickelt.
Von offizieller Seite in der Türkei wird der Widersacher von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Fethullah Gülen, ein in den USA lebender islamischer Prediger, für den Putschversuch des Militärs verantwortlich gemacht. "Das war eine Aktion von außen", sagt auch Uzun und schließt sich der Position Erdogans an. "Aber das Volk stand hinter ihm - hinter der Demokratie", sagt Uzun und wertet dies persönlich als "gutes Zeichen".
Präsident wird gestärkt
Uzun ist überzeugt, dass der türkische Staatspräsident durch den überstandenen Putschversuch gestärkt wird. "Man muss akzeptieren, dass Erdogan gewählt ist", sagt der Vorsitzende der türkischen Gemeinde. Er ist sich sicher, dass der Präsident jetzt härter durchgreifen wird.
Die Mitglieder der hiesigen türkischen Gemeinde verfolgen das ganze Wochenende die Ereignisse vor dem Fernseher im Aufenthaltsraum der Moschee in der Oberen Stadt. Denn sie sind verbunden mit der alten Heimat.
"Ich bin seit 1976 in Deutschland. Das was jetzt in der Türkei passiert ist, ist wirklich unschön", erklärt Serkan Burcak (43). Auch für ihn sei der Putsch überraschend gekommen. Niemals hätte er geglaubt, dass so etwas passieren kann.
Doch ob wirklich Gülen, der in der Türkei als Terrorist gilt, hinter dem Putsch steckt, ist unklar. Auch in Kulmbach gibt es viele, die der Meinung sind, dass diese Version bewusst von Erdogan verbreitet werde. Einer dieser türkischstämmigen Männer, der seit Jahrzehnten in Kulmbach lebt, möchte namentlich nicht genannt werden.
Er sagt: "Die Türkei ist immer gefährdet für solche Aktionen." Stutzig mache ihn allerdings die Tatsache, dass das Militär so dilettantisch vorgegangen ist. "Wenn das wirklich ein Putsch war, dann macht man es doch ganz anders." Fest stehe nun, "dass Erdogan noch viel mehr Druck ausüben wird und dass er jetzt viel härter durchgreifen wird". Da sind sich die Gegner des Präsidenten sicher. "Erdogan hat Probleme mit Ägypten, mit Russland, mit Syrien, auch mit Deutschland. Jetzt das - das ist keine gute Entwicklung für die Türkei", sagt der Mann.
Von Erdogan inszeniert?
"Das ist auch für den Tourismus eine Katastrophe", sagt ein anderer Erdogan-Gegner, der ebenfalls anonym bleiben möchte.
Er und seine Gesinnungsgenossen halten es für möglich, dass der Putsch von Erdogan und seinen Anhängern nur inszeniert gewesen sein könnte, um weiter hart durchzugreifen zu können.
Die Erdogan-Gegner in Kulmbach wissen, dass Presse und andere Medien in der Türkei bereits nicht mehr frei berichten dürfen. Sie zweifeln an den "offiziellen" Darstellungen. Sie verlassen sich lieber auf internationale Berichterstattung.
Tourismus: Türkei-Buchungen eingebrochen
Große Sorgen bereitet die aktuelle Entwicklung in der Türkei der Tourismusbranche. "Kunden, die am Wochenende fliegen sollten, haben wir storniert. Da war die Situation noch unüberschaubar", berichtet Stefan Schaffranek. Deutsche Reiseveranstalter hätten Umbuchungen oder kostenlose Stornierungen angeboten.
Urlauber, die in einer Woche oder später an die türkische Riviera oder nach Antalya fliegen wollen, seien zunächst nicht betroffen. "Wir müssen die Entwicklung abwarten", sagt der Reisefachmann.
Nach seinen Worten könne man auf die Hinweise der großen deutschen Reiseveranstalter vertrauen."Sie haben eigenes Personal vor Ort, die können es wirklich beurteilen." Man versuche, wo es geht, das Risiko zu minimieren.
Allerdings sei trotz des hervorragenden Preis-Leistungs-Verhältnisses zuletzt die Nachfrage nach türkischen Reisezielen eingebrochen. "Wir haben 50 Prozent weniger Buchungen", so Schaffranek. Der Terrorismus und die Politik Erdogans spiele hier ein Rolle.
Stephan Tiroch