Für die Milchbauern gilt ab Mai 2015: Die Milchquote ist Geschichte. Wilfried Löwinger, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands und selber Landwirt, sieht die Gefahren für die Bauern nicht im Wegfall, sondern der Preisdrückerei des Handels.
Herr Löwinger, die Milchquote wird nach 30 Jahren gekippt. Welche Konsequenzen hatte denn die Einführung der Regulierung 1984 für die Bauern? Erstmals wurde für Milch eine Mengensteuerung festgesetzt. Keiner durfte mehr Milch liefern als vereinbart. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat sich damals fortgesetzt, die Betriebe mussten sich vergrößern. Das Problem: In Deutschland hat man die Quote quasi zum Besitz gemacht. Das heißt: Jeder konnte Kontingente kaufen und verkaufen oder mit Flächen zupachten. Da mussten Unsummen Geldes in die Hand genommen werden, die letztlich der eigentlichen Produktion nicht zur Verfügung standen. Dabei ist es ein Unding, dass ich etwas kaufen muss, bevor ich überhaupt herstellen und liefern darf.
War die Quote sinnvoll?Vor den Hintergrund der damaligen Schwemme war es richtig, aber in die heutige Zeit passt es nicht mehr. Es ist eine Zwangsjacke, die den Bauern angelegt wurde und die jetzt abgestreift wird. Wir dürfen nicht vergessen: Milchbauern arbeiten mit Tieren, die nicht wie Roboter die immer gleiche Leistung bringen. In manchen Jahren ist die Milchleistung, auch oft bedingt durch eine gute Futterqualität - dann aber hatte man überliefert und musste Strafabgaben zahlen. Hier alles auf den Punkt zu steuern, ist unmöglich.
Sehen Sie mit der Abschaffung eher positive oder negative Auswirkungen auf die bäuerlichen Betriebe in der Region?Das ist ganz schwer vorhersagbar. Gut ist: In Zukunft kann sich jeder Betrieb entwickeln, egal wie groß. Dann regeln Angebot und Nachfrage den Preis. Bei Getreide und Fleisch ist das gang und gäbe.
Beim Fleisch sind die Preise leider total im Keller. Schwierig wird es, wenn in dieser Zeit die Quote ausläuft und ein Markteinbruch dazu kommt. Dann sind die Politiker gefordert, dagegen zu steuern. Sonst bricht das System zusammen. Mit der Milchquote hat man leider auch den Export aus den Augen verloren und vergessen, neue Märkte zu erschließen wie beispielsweise China oder andere Schwellenländer.
Bleiben wir im Osten: Durch das Embargo der EU gegen Russland schwappen aktuell große Milchmengen aus Polen in den deutschen Markt. Gerät so der Preis nicht noch weiter unter Druck? Das sind kurzfristige Dellen. Die Waren werden für gewöhnlich ja nur umgeleitet. Aber im Prinzip wird auf der Welt die mehr oder weniger immer gleiche Menge Milch benötigt, nur die Transportwege ändern sich.
Welcher Preis für den Liter Milch wäre denn für Erzeuger vonnöten, um ein halbwegs gesichertes Auskommen zu haben?Auf Erzeugerseite brauchen wir in jedem Fall über 40 Cent. Und dieser Preis muss sich alle Jahre anpassen, weil auch Landwirte Kostensteigerungen etwa für Energie unterworfen sind.
Sind Discounter die Preisdrücker?Der Lebensmittel-Einzelhandel ist schier übermächtig. Natürlich hat auch da eine Marktverdrängung stattgefunden. Der Preiskampf innerhalb der verbliebenen Großen wie Aldi, Lidl oder Edeka wird auf dem Rücken der Bauern ausgetragen. Um nochmals auf Russland zurückzukommen: Die Discounter reden vor diesem Hintergrund die Preise kaputt. Butter wird zu Schleuderpreisen verhökert. Die Branche macht unnötig Druck, ohne dass es auch von Verbraucherseite verlangt würde.
Und es gibt eben auch Molkereien und Lieferanten, die auf diesen Zug aufspringen, weil sie dann die Ersten sind, die wiederum ein Geschäft wittern.
Lässt sich der Verbraucher für das Preisproblem sensibilisieren?Ja, in der Tat muss sich der Verbraucher selber hinterfragen, was er mit seinem Einkaufsverhalten bewirkt und ob die immer währende Verbilligung der Lebensmittel nicht Strukturen begünstigt, die wir alle nicht wollen können. In den 1950er Jahren hat jeder Deutsche im Schnitt noch mehr als die Hälfte seines Einkommens für Essen und Trinken ausgegeben - heute sind es knapp zehn Prozent. Die Gefahr besteht, dass sich die bäuerlichen Betriebe immer weiter zurückgedrängt sehen und an ihre Stelle eine gnadenlose Industrialisierung tritt.
Dann reden wir nicht mehr von Ställen mit 50 oder 100 Kühen, dann reden wir von Großeinheiten mit mehreren tausend Tieren.
Würden Sie einem Junglandwirt guten Gewissens zuraten, in die Milchviehhaltung zu investieren?Das ist natürlich jedem selber überlassen. Für mich ist Landwirt der schönste Beruf der Welt. Aber: Die Landwirte von morgen werden die Gängelungen und bürokratischen Schikanen nicht mehr mitmachen. Die Gefahr besteht, dass vor dem Hintergrund von Diskussionen etwa zum Thema Tierschutz der Berufsstand immer weiter in Verruf zu geraten droht.
Und was die Investitionen angeht, so besteht hier ein grobes Missverhältnis: In keiner anderen Branche muss pro Arbeitskraft derart viel investiert werden. Wer heute einen Stall baut, bei dem geht es um Millionen Euro an Vorleistung. Der Kapitaldienst muss geleistet werden - und es soll noch etwas zum Leben übrigbleiben. Da muss man heutzutage knallhart unternehmerisch denken. Wer da zu sensibel oder ängstlich ist, der sollte besser die Finger davon lassen.
Das Gespräch führte Jochen Nützel.