Sollte das Strafgesetz dementsprechend geändert werden, würden den deutschen Gerichten Einzelfallentscheidungen aufdiktiert. "Rechtssicherheit ist das wesentliche Element unseres Staates. Und die kann es nur geben, wenn feste Altersgrenzen gezogen werden - sowohl bei den Tätern als auch bei den Opfern."
Was wäre, wenn die Strafmündigkeit auf 13 Jahre herabgesetzt werden würde und dann ein Zwölfjähriger drei Tage vor seinem Geburtstag jemanden umbringen würde? "Wenn Sie dann einen zwölfjährigen Mörder haben, ist es schwer zu vermitteln, dass der nicht ins Gefängnis kommt. Dann geht die ganze Diskussion wieder los", befürchtet der erfahrene Jugendrichter. Die Frage, ob die Strafmündigkeit herabgesetzt werden sollte, müsse mit gesundem Menschenverstand und nicht mit Emotionen beantwortet werden: "Nur, wenn wirklich Bedarf da ist und belegbare Zahlen vorliegen, ist eine Gesetzesänderung sinnvoll."
Zahlen gehen in andere Richtung
Dass die belegbaren Zahlen genau in die andere Richtung zeigen, erläutert der Kriminologe und ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen Christian Pfeiffer: "Die Wahrheit ist, dass bei keiner Altersgruppe die Kriminalität so stark zurückgeht wie bei Kindern."
Demnach sei die Zahl der tatverdächtigen Kinder pro 100 000 dieser Altersgruppe in den vergangenen zehn Jahren um 42 Prozent gesunken. "Davon, dass die Kinder außer Rand und Band sind, kann nicht die Rede sein."
Weiter berichtet der 75-jährige ehemalige Justizminister Niedersachsens: "Bei Vergewaltigungen gab es im Jahr 2008 noch 85 verdächtige Kinder, 2018 waren es 64 - ein Rückgang um rund 25 Prozent." Eine Tendenz ist laut Pfeiffer ganz deutlich: "Je jünger die Altersgruppe, umso stärker ist die Kriminalität unter ihnen in den vergangenen Jahren zurückgegangen - vor allem bei schweren Gewalttaten." Die gleiche Tendenz zeigt sich im Landkreis Kronach (siehe unten).
Dass sich die CSU, die laut Pfeiffer für ihre solide Innenpolitik und erfolgreiche Bekämpfung der Kriminalität bekannt ist, angesichts solcher Zahlen mit dem Thema ans Volk wendet, könne er nicht nachvollziehen. "Das ist völlig absurd. Da ist bei der CSU wohl der Populismus durchgebrochen."
Mehr Liebe, weniger Hiebe
Dass Kinder immer weniger Straftaten begehen, sei vor allem auf einen Wandel der elterlichen Erziehung zurückzuführen: "Mehr Liebe, weniger Hiebe wurde zum Trend der letzten 30 Jahre." In seinem Buch " Gegen die Gewalt" hat Pfeiffer Fakten und Argumente zu diesem Thema zusammengetragen.Um die stark gesunkene Zahl kindlicher Gewalttäter kümmern sich Polizei, Familiengerichte und Jugendämter sehr engagiert.
Auch, wenn ein kindlicher Straftäter aktuell nicht vom Hammer des Gesetzes getroffen werden kann, bedeutet das nicht, dass es keine Konsequenzen für ihn gibt. Die Instrumente reichen von intensiver Betreuung betroffener Familien bis hin zu der Entziehung des Sorgerechts oder - in besonders schweren Fällen - die Unterbringung in einer Kinder- oder Jugendpsychiatrie, die vom Familiengericht angeordnet wird. Auch die Fachkräfte des Kronacher Kreisjugendamtes betreuen kindliche Straftäter und deren Familien (siehe unten).
Während Kriminologe Pfeiffer nicht glaubt, dass die Forderung der CSU den Weg ins Strafgesetzbuch finden wird, hegt Jugendrichter Fehn die Befürchtung, dass sie am Ende doch eine Mehrheit im Bundestag finden könnte: "Vor dem Gericht, auf hoher See und vor dem Parlament sind wir in Gottes Hand."
Kronachs Kinder werden nicht krimineller
Dass Kinder unter 14 Jahren mehr Straftaten als noch vor einigen Jahren begehen, lässt sich auch im Landkreis Kronach nicht bestätigen. "Im Zehnjahresvergleich ist eine gleichbleibende Fallanzahl von 66 zu verzeichnen", berichtet Alexander Czech vom Polizeipräsidium Oberfranken auf FT-Anfrage. "Eine Steigerung ist nicht feststellbar."
Die Straftaten seien überwiegend bei Rohheits- und einfachen Eigentumsdelikten sowie im Bereich der Sachbeschädigungen und Beleidigungen zu finden. Schwerwiegende Verbrechen wurden von Kindern im Landkreis Kronach im vergangenen Jahr nicht begangen.
Den einzigen Anstieg im Vergleich zu vor zehn Jahren gibt es bei den Rohheitsdelikten, zu denen Körperverletzung und Raub zählt. Die Zahl der einfachen Diebstähle, wie etwa Ladendiebstahl, hat sich laut dem Polizei-Pressesprecher dagegen halbiert. "Jedoch unterliegen diese Deliktsbereiche jährlichen Schwankungen", erläutert Czech. Von einer klaren Tendenz bei der Häufigkeit einzelner Delikte kann deshalb nicht gesprochen werden.
Hilfe für junge Straftäter und ihre Familien
Die Polizei hat im vergangenen Jahr 53 Anzeigen gegen strafunmündige Kinder an das Kronacher Jugendamt übermittelt. (Zum Vergleich: 2018: 31, 2017: 40, 2016: 32, 2015: 30, 2014: 36)
Ladendiebstahl beziehungsweise Diebstahl geringwertiger Sachen, Sachbeschädigung, einfache und schwere Körperverletzungen waren die Straftaten, mit denen es das Jugendamt im vergangenen Jahr zu tun hatte. Die Fachkräfte unterbreiten in solchen Fällen den Eltern ein Beratungsangebot. Vorrangiges Ziel ist immer, die Eltern bei der Erziehung zu stärken.
Können oder wollen die Eltern nicht mitarbeiten, prüft das Jugendamt, ob Anhaltspunkte einer drohenden oder offensichtlichen Kindeswohlgefährdung vorliegen. "Das Begehen einer Straftat allein stellt zunächst noch keinen Gefährdungstatbestand dar", erklärt das Jugendamt. "Die wiederholte und intensivierte Begehung von Straftaten sehr wohl."
In besonders schweren Fällen kann das Familiengericht den Eltern das Sorgerecht entziehen oder, wenn nötig, die Kinder in einer Psychiatrie unterbringen.
Kommentar von Sandra Hackenberg: Wegsperren ist keine Lösung
Als ich im Radio davon gehört habe, dass die CSU das Alter für die Strafmündigkeit herabsetzen will, war mein erster Gedanke: Richtig so.
Doch je länger ich mich mit dem Thema befasst habe, desto mehr wurde mir klar: Wegsperren ist nicht die Lösung.
Ich kann verstehen, wenn sich, angesichts schrecklicher Verbrechen wie der Gruppenvergewaltigung in Mülheim an der Ruhr viele Menschen wünschen, dass auch Zwölfjährige bestraft werden können. Doch - und das soll nicht herzlos gegenüber den Opfern und ihren Familien klingen: Macht es das Leid ungeschehen? Mildert es den Schmerz, den sie ein Leben lang spüren, wenn die kindlichen Täter ins Gefängnis gesteckt werden?
Ich glaube daran, dass - mit der richtigen Therapie - manche dieser Kinder doch Erwachsene werden können, die einen Nutzen für die Gesellschaft haben. Die Politik sollte in Einrichtungen investieren, in denen sie Hilfe bekommen und nicht in größere Gefängnisse. Ich finde: Wenn so nur ein einziges Kind auf den rechten Weg gebracht würde, war es die Mühe wert.