Michael Engelhardt hat ein Buch über seine Krankheit geschrieben. Sehr persönlich schildert er, wie Angst- und Panikattacken sein Leben veränderten.
                           
          
           
   
          Zehn bis elf Stunden. Sechs Tage pro Woche. Monat für Monat, Jahr für Jahr. Das war der Alltag von Michael Engelhardt. Gelernter Maurer, weitergebildet zum Hochbauvorarbeiter. Ein Arbeitstier. Bis August 1989.  
Dann war da dieser Vormittag. Engelhardt und seine Kollegen hatten sich gerade in eine Gaststätte zur Frühstückspause gesetzt, als sich sein Leben veränderte. Atemprobleme, Übelkeit, Schwindelgefühle, das Gefühl, das Herz springe heraus, das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Seine erste Panikattacke kam wie aus dem Nichts - und unglaublich heftig. "Ich habe gedacht, ich sterbe."
  
  Kräftige Statur, ruhige Worte
 
 Seitdem sind 27 Jahre vergangen. Heute ist Michael Engelhardt 55 und dreifacher Großvater. Er ist einer, den man optisch mit der Eigenschaft "gestandenes Mannsbild" beschreiben könnte. 
An seiner Statur lässt sich noch erahnen, dass er einst richtig gut anpacken konnte. Prägnante Hände, kräftige Schultern. Dazu Vollbart und reichlich Lebenserfahrung.
Doch das, was Michael Engelhardt über die letzten 27 Jahre seines Lebens erzählt, passt nur auf den zweiten Blick zu dem, was man aus seinem Optischen schließen könnte. Denn er erzählt eben nicht in großen Worten die Geschichte eines Mannes, der kräftig angepackt und alles so geschafft hat, wie es geplant war. 
  
  Ortsschild als Endstation
 
Im Gegenteil: Er redet zurückhaltend und an manchen Stellen unsicher, spricht ruhig und wählt seine Worte mit Bedacht. Es ist die Geschichte von einem, der von seiner Krankheit immer wieder zurückgeworfen wurde. 
Aber es ist eben auch die Geschichte von einem, der nicht aufgegeben hat und jetzt andere mit einem Buch dazu aufruft, ebenfalls weiterzukämpfen.
"Seit vier, fünf Jahren habe ich es besser im Griff", sagt Engelhardt, der es vorher nicht alleine in unsere Kronacher Redaktion geschafft hätte. "Ich konnte einfach nicht aus Wolfersgrün rausfahren. Am Ortsschild war immer Schluss." Zu groß war sie, die Angst vor der Angst.
 "Ich habe mich ständig mit dem Sterben befasst", sagt der 55-Jährige, der seit besagtem Augustvormittag immer wieder Angst- und Panikattacken hat. "Ich hatte schon einige Operationen, aber selbst alle zusammen waren nicht so schlimm wie eine starke Attacke." Depressionen kamen hinzu, Verhaltensweisen wurden zwanghaft. Parallel dazu hatte er nach den vielen Jahren auf dem Bau chronische Schmerzen an der Hüfte und der Lendenwirbelsäule. 
"Die Situation war für mich selbst schwer ertragbar. 
Und für die Menschen in meinem Umfeld war es natürlich auch sehr schwer, damit umzugehen", sagt Engelhardt. Seine Erfahrungen hat er in seinem Buch aufgeschrieben. Leicht verständlich und unverfälscht. Einfach so wie er sich erinnert hat. 
Unter anderem schildert er, wie lange es gedauert hat, sich die Krankheit einzugestehen und zu akzeptieren, dass sie sein weiteres Leben prägen würde. Vor allem seine Arbeit aufzugeben - seit 2014 ist er offiziell erwerbsunfähig - fiel ihm nicht leicht, hat aber viel gebracht. "Ich mach nur noch, was geht. Belastung und Druck werfen mich zurück", sagt Engelhardt, der schrittweise zurückfindet ins öffentliche Leben; wieder zum Fußball, zu Veranstaltungen und Versammlungen geht. 
Bis dahin war es ein langer Weg. Von seinem Hausarzt wurde er beständig unterstützt, von vielen Psychiatern aber - wie er sagt - falsch behandelt. 
Seinen ersten Klinikaufenthalt hat Engelhardt - auch wegen Angst vor dem Getratsche - bis 1998 hinausgezögert. Und danach gab es immer wieder Rückschläge. "2012 war besonders schlimm", erinnert er sich. Seitdem war er einige Male im Bezirksklinikum Kutzenberg. "Das hat geholfen, es geht mir besser", sagt er.
  
  Kindheit ist eine Ursache
 
Auch mögliche Ursachen sind jetzt klar: Das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter während seiner Kindheit. Der Tod seines Vaters. Die hohe Belastung durch die Arbeit. Ein schlechter Mix, der irgendwann zu viel wurde. "Ich habe einiges über mich und das Leben gelernt", sagt Engelhardt, der sich - auch familiär - nur noch mit denen umgibt, "die mir gut tun". Neben Frau, Kindern und Enkeln zählt er dazu auch seinen "halben Therapiehund" sowie Hasen und Hühner. 
  
  Plan ist 15 Jahre alt
 
Der Plan, sein Schicksal aufzuschreiben, ist schon 15 Jahre alt. Immer wieder machte er sich Notizen, die er Ende 2015/Anfang 2016 binnen zwei Monaten ausformulierte. Das Ergebnis: 131 Seiten, auf denen er aus seinem Inneren heraus berichtet und auch Nichtbetroffene anspricht. Ihnen möchte er zeigen: "Es kann jeden treffen. Wer diese Krankheit hat, ist nicht blöd."
Die Titelseite hat er selbst gemalt - schlicht und einfach. So wie auch sein Buch ist. Mit wenigen Fachausdrücken beschreibt er die Krankheit, von der er noch nicht ganz geheilt ist, zuletzt aber wesentlich besser umgehen kann. Er sagt: "Ich sehe wieder Sinn im Leben." 
Das Buch kostet 14,99 Euro und ist im Internet unter der ISBN 978-3-7418-1204-0 bei amazon oder epubli bestellbar.  
  
Psychologe: "Es ist kein Fachbuch - das ist 
seine Stärke"
 
Michael Degen leitet die Fachdienste für seelische Gesundheit der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Kronach-Lichtenfels. Eine Einrichtung, die pro Jahr rund 700 Menschen mit sozialpsychologischen Problemen betreut. Wir haben ihn zum Buch von Michael Engelhardt befragt.
Herr Degen, ist die Lektüre für Betroffene zu empfehlen?Michael Degen: Das Buch ist wertvoll, da es eben kein Fachbuch ist, sondern ein authentischer Erfahrungsbericht. Das ist seine besondere Stärke.
Was hat Sie beeindruckt?Der Text zeigt die Hilflosigkeit und Vernichtungsangst, die ein Panikzustand auslöst. Er zeigt aber auch einen sehr persönlichen Lösungsweg, um wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. 
Kann das Buch helfen?Ja. 
Es schildert, wie wichtig es ist, sich einzugestehen, dass man krank ist und nicht mehr alles schafft. Das ist der erste Schritt. 
Ist Michael Engelhardt ein klassisches Autorenbeispiel? Nein. Männer tun sich eigentlich schwerer, ihre Probleme zu schildern. Im fortgeschrittenen Alter gehören sie aber oft zu den Betroffenen. Gerade diese Gruppe könnte sich mit dem bodenständigen Text gut identifizieren. 
Ist es ein rein regionales Buch? Nicht direkt. Es ist für jeden von Interesse. Für Betroffene aus der Region bietet es aber den Mehrwert, dass Engelhardt seine Erfahrungen mit der hiesigen Helferszene genau darstellt.
Wie würden Sie das Buch in einem Satz beschreiben?Es ist ein gelungenes Plädoyer fürs Weiterkämpfen, um die passende Hilfe zu finden. 
Das Gespräch führte 
Andreas Schmitt