Dem Mindestlohn von 8,50 Euro für alle Branchen sieht man im Landkreis Kitzingen ganz cool entgegen: "Das bricht keinem das Genick".
Segen oder Fluch? Sozialer Quantensprung oder Fußfessel für die Wirtschaft? Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter wie der Mindestlohn für alle Branchen. "Ab 1. Januar 2017 wird niemand in Deutschland weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen", verspricht die neue Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Wie wird sich das im Landkreis Kitzingen auswirken, in dem es jedes Jahr viele Saisonarbeitskräfte gibt und Branchen, in denen das Grundgehalt generell nicht üppig ist?
Heinrich Lang, Obermeister der Gärtner, fordert schon lange die Einführung von Mindestlöhnen in Landwirtschaft und Gartenbau - zwecks Chancengleichheit. "Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man von der eigenen Arbeit auch leben können muss", stellt der Obermeister klar. Bisher habe es quasi ein Wettrennen im Lohndrücken gegeben - jeder wollte schließlich in die Gewinnzone kommen und dort bleiben.
"Mit dem Mindestlohn wird die Ausgangslage aller Betriebe gleich." Und vielleicht werde damit auch die Überproduktion bei landwirtschaftlichen Produkten gestoppt, hofft Lang.
Allerdings sieht Lang auch eine Gefahr: "Großunternehmer könnten abwandern." Sie könnten auf großen Flächen in östlichen Niedriglohnländern - Polen , Rumänien, Bulgarien - produzieren und ihre Waren dann, zum Beispiel über die Discounter, wieder nach Deutschland einführen. Das Gerechteste wäre es deshalb, sagt Heiner Lang, wenn in ganz Europa ein Mindestlohn gelte.
"Wer gutes Geld verdient, kann auch gutes Geld ausgeben", weißt er auf den Wirtschaftskreislauf hin. Derzeit gebe es, vor allem in großen Betrieben Deutschlands, Erntehelfer aus osteuropäischen Ländern, die über Subunternehmer angestellt sind - und diese wiederum zahlen nur einen äußerst niedrigen Lohn.
Bei Reinigungsfirmen und in anderen Branchen laufe das ähnlich. "Eigentlich ist das eine große Schweinerei." Deshalb stellt Lang klar: "Mindestlohn ist gut - aber in der Praxis muss detailliert kontrolliert werden!"
Die Erntehelfer aus Polen und Rumänien, die unter anderem Gärtnern und Blumenhändlern in den Sommermonaten zur Hand gehen, können in den meisten Betrieben kostenlos wohnen, manchmal werden sie auch noch verköstigt. "Im Durchschnitt bezahlen wir jetzt sicher auch schon 8,50 Euro, wenn man Wohnung und Nebenkosten dazuzählt", meint Lang.
Ganz ähnlich sieht das Rudolf Nagel von der Warenbezugsgenossenschaft der Gärtner Etwashausen-Kitzingen eG. "Bei einem Bruttolohn von 7,50 Euro plus Kost und Logis bleibt im Prinzip alles beim Alten." Der Mindestlohn an sich mache ihm nicht wirklich Kopfzerbrechen, betont Nagel.
Auf die Kontrolle kommt es an Auch Marcus Will, Obermeister der Bäckerinnung, schätzt: "Es wird keinen großen Aufschrei in unserer Branche geben." Die 8,50 Euro seien hier als Einstiegslohn im Prinzip schon gang und gäbe. Allerdings stehe die Frage im Raum, wie kontrolliert werden kann, ob der Mindestlohn auch überall eingehalten wird. "Das ist das Entscheidende."
Ein Spezialfall in Sachen Mindestlohn sind die Friseure. Monika Henneberger, Obermeisterin der Friseur-Innung Kitzingen, betont, dass der eigenständige bayerische Friseur-Tarifvertrag für alle Salons in Bayern gilt - egal, ob der Betrieb in der Innung oder der Mitarbeiter Mitglied der Gewerkschaft ist. In diesem Mindestentgelt-Tarifvertrag sei geregelt, dass bundeseinheitlich eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro eingeführt wird - allerdings stufenweise und regional differenzierend.
Henneberger sagt: Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks bewerte die tarifpolitischen Aktivitäten von Arbeitgebern und Gewerkschaft der Friseurbranche als großen Erfolg. "Die Sozialpartner können sehr wohl ohne die Beeinflussung durch die Politik die richtigen Branchen-Lösungen finden", ist sich die Obermeisterin sicher. "Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn kann dies nicht leisten und wird gerade im Hinblick auf die Frage nach der künftigen Entwicklung der Lohnuntergrenzen nur allzu leicht zum Spielball politischer Interessen werden."
Als Betriebsinhaberin geht Henneberger hart mit der Politik ins Gericht: "Uns Mittelständischen wird es sehr schwer gemacht, Einnahmen und Kosten auszugleichen." Die selbstständigen Friseure, die in der Innung organisiert sind, zahlen nicht nur 19 Prozent Mehrwertsteuer auf jede Dienstleistung und jedes Verkaufsprodukt, sondern tragen laut Henneberger sowohl die Kosten
als auch die Verantwortung für die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses. "Der Trend zur Kleinst-Selbstständigkeit macht uns Sorgen. Diese Friseure dürfen steuerbegünstigt arbeiten und haben längst nicht so viele Bestimmungen und Richtlinien einzuhalten wie die Betriebe, die Mitarbeiter beschäftigen und ausbilden."
Reichen 8,50 Euro? Und was sagen die Gewerkschaften zum Thema Mindestlohn? Bernd Bauer, Bezirkssekretär (Medien, Kunst und Industrie) von ver.di, nimmt als Beispiel die Zeitungszusteller: "Die nach Stücklohn bezahlten Kollegen werden möglicherweise davon profitieren." Den Mindestlohn in der Branche durchzusetzen, werde aber "bestimmt auch noch ein hartes Stück Arbeit", sagt Bauer.
Uneingeschränkt positiv bewertet Ibo Ocak das Ziel der Regierung, Dumping-Löhnen einen Riegel vorzuschieben.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), deren unterfränkischer Geschäftsführer Ocak ist, hatte die Mindestlohndebatte mitinitiiert. Ocak, der in Kitzingen lebt, sagt: "Wir haben Branchen, in denen Löhne von 6,90 bezahlt werden, zum Beispiel im Hotel- und Gaststättengewerbe, auch in Küchen oder im Service." Dabei seien zum Beispiel die Hotels in Würzburg gut frequentiert. Auf die Gastzahlen lasse sich die miese Bezahlung der Mitarbeiter also nicht schieben. Ocak findet: "Wir brauchen eine Lohnuntergrenze."
"Wenn Sie mich persönlich fragen, dann sage ich: Das Geld muss einem reichen, um eine vernünftige Familienplanung zu gestalten und um davon zu leben.
8,50 Euro reichen da nicht aus." Auch die Altersvorsorge sei bei Niedriggehältern ein Problem, findet Ocak: Wie solle zum Beispiel eine Kellnerin mit 780 Euro Rente über die Runden kommen?
"Nirgends ein Problem" Aber fallen nicht auch Arbeitsstellen weg, wenn der Mindestlohn auch für leichte und wenig verantwortungsvolle Jobs verpflichtend wird? Ocak schüttelt den Kopf: "Mindestlohn macht keine Arbeitsplätze kaputt!" Es gebe zig Länder in Europa, die einen Mindestlohn eingeführt haben und durchziehen "und da gibt es nirgends ein Problem".
Ocak wählt deutliche Worte: "Wer sich aus der sozialen Verantwortung herausredet und sagt, wir bräuchten keinen Mindestlohn, der kann von mir aus kaputt gehen."