Gar nicht balla-balla

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Tobias Zuckrigl, 23, Auszubildender zum Fachinformatiker, sagt, er könne nirgendwo besser abschalten und „den Kopf freibekommen“, als beim Training mit der Pistole ...
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Konzentrieren, fokussieren, zielen: Der Schießsport ist für (von links) Tobias Zuckrigl, Erich Hammer, Heinrich Ziegler und Udo Bernhardt ein Ausgleich zum hektischen Alltag ...
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Spende für die gigantische Absauganlage (ein Teil davon ist auf der linken Bildhälfte zu sehen): Georg Sulzbacher übergibt einen Scheck über 1.000 Euro an den 2. Schützenmeister Marc-André Behrendt.
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In einem Schützenhaus Ruhe finden? Was paradox klingt, ist in Iphofen Tatsache: Beim Schießtraining geht es darum, zu sich zu kommen. Waffennarren sucht man vergebens.

Es klingt unglaublich. Aber Georg Sulzbacher beteuert, dass die Geschichte stimmt. Vor Jahrzehnten habe er gesundheitliche Probleme bekommen. „Mein Herz hat verrückt gespielt. Ich bin überhaupt nicht mehr zur Ruhe gekommen. Heute würde man sagen: Ich war nah am Burnout.“ Sein Arzt gab ihm damals den Rat, er solle sich ein Hobby suchen, bei dem er ganz bei sich ist und an nichts anderes denkt. „So bin ich zu den Schützen in Iphofen gekommen“, erzählt der Kitzinger Immobilienmakler. „Und die haben mich quasi geheilt.“

Geheilt – das heißt im Fall des 75-jährigen Georg Sulzbacher: „Es geht mir richtig gut, die Herzbeschwerden haben sich schon nach kurzer Zeit im Schützenverein gebessert und waren dann ganz weg.“ Worauf das zurückzuführen ist? Sulzbacher ist sicher: „Dadurch, dass man beim Schießtraining komplett aus der Alltagshektik rauskommt und sich nur auf sich, seine Atmung und sonst nichts konzentriert, kommt der Körper zur Ruhe. Das braucht jeder Mensch mal, das ist einfach gesund.“

Sulzbachers Worte können viele Schützenkollegen bestätigen. Udo Bernhardt zum Beispiel. Den Schießsport fand der Maschinenbautechniker zwar schon immer interessant, doch es dauerte lang, bis ihn der Weg ins Schützenhaus führte. Erst vor gut einem Jahrzehnt „bin ich zusammen mit meinem Nachbarn halt mal hin“, erinnert sich der Iphöfer. Mittlerweile hat er unzählige Stunden in dem zweigeschossigen Schützendomizil gleich neben der Karl-Knauf-Halle verbracht: „Wenn ich schieße, bin ich in einer anderen Welt. Da kann ich komplett abschalten.“ Bernhardt hat seine Treffsicherheit akribisch immer weiter verbessert, gehört inzwischen zu den Besten seiner Wertungsklasse. „Viele von uns sind, wie ich, eher Spätberufene“, sagt der 64–Jährige, „aber dafür mit Leidenschaft dabei.“

Selbst Verantwortung übernehmen

Doch es gibt auch junge Schützenbrüder. Tobias Zuckrigl gehört dazu. „Erst hab' ich Gewehr geschossen“, erzählt der Auszubildende zum Fachinformatiker. „Dann hab' ich spaßeshalber mal Pistole ausprobiert und bin dabei geblieben.“ Im Vergleich zu Mannschaftssportarten wie Fußball gefällt dem Iphofer am Schießsport, dass man mittelprächtige Leistungen nicht auf Mitspieler oder den Schiri schieben kann. „Da muss man schon selbst die Verantwortung übernehmen und sich fragen: 'Woran lag es, was kann ich verbessern?'“

Grundsätzlich schätzt auch Zuck-rigl das Gefühl, beim Schießen „den Kopf freizukriegen und richtig abschalten zu können“. So oft es geht, kommt er deshalb von seinem Ausbildungsort München zum Schießtraining und zu den Vereinsabenden, die dienstags und freitags im Iphöfer Schützenhaus stattfinden.

Am Schießstand lädt er seine Waffe. Er schließt kurz die Augen, konzentriert sich. Sein Atem fließt ganz ruhig. Er blickt auf, hebt den gestreckten Arm, richtet die über ein Kilo schwere Waffe an einer zehn Meter entfernten Zielscheibe aus. Er atmet aus, lässt die Pistole dabei leicht, fast unmerklich sinken. Einen Moment steht er wie festgefroren da. Bevor er wieder Luft holt, drückt er ab.

Per Knopfdruck kommt die an einer Seilanlage befestigte Schießscheibe zu ihm. Direkt in der Mitte ist ein Loch. Ein Zehner, ein guter sogar! Tobias Zuckrigl ist zufrieden und sagt: „Jeder hat so seine eigene Art und Schießtechnik. Manchmal ist man richtig 'im Flow', dann läuft es einfach.“

Im Wettkampf muss jeder Schütze, egal ob mit Gewehr oder Pistole, 50- bis 60mal zielen und schießen. „Das ist dann auch körperlich anstrengend“, betont Marc-André Behrendt, 2. Schützenmeister. Er kam vor etwa 17 Jahren zusammen mit Arbeitskollegen aus dem Schwarzwald nach Iphofen – und blieb. Der Liebe wegen – und ein bisschen auch der Schützen wegen. „Dieser Sport hat etwas Meditatives, das mir sehr gut gefällt.“

Blei wird abgesaugt

Sobald man eine körperliche Routine entwickelt und seine eigene Erfolgstechnik gefunden habe, werde das Mentale immer wichtiger. „Richtig gute Schützen zeichnet es aus, dass sie körperlich und mental auf den Punkt fit sind.“

Alkohol und Drogen sind No-Gos, psychische Defizite ebenso. „Beim Schießen ist auch die Körperbeherrschung sehr wichtig. Für einen sauberen Schuss müssen Atem-, Ziel- und Abzugstechnik sowie ein sicherer Anschlag optimal zusammenspielen.“ Ein besonders gutes Auge sei dagegen nicht vonnöten: „Eine durchschnittliche Sehkraft reicht völlig und eine Brille ist kein Hindernis.“

Aber ist Schießsport wirklich gesund? Immerhin können giftiger Staub und Bleidämpfe, die beim Platzen der Munition entstehen, Veränderungen im Blutbild hervorrufen, eine Art Bleivergiftung sogar. „Bei mir war das der Fall“, erinnert sich Udo Bernhardt. „Ich habe jahrelang nach dem Training die Munitionsreste zusammengekehrt.“ Ein Arzt attestierte ihm zu hohe Bleiwerte. Eine moderne Lüftungsanlage tat Not. Aber eine solche ist sehr teuer, vor allem in einem so großen Raum.

Bernhardt und seine Schützenkollegen ließen jedoch nicht von der Idee ab. Mit viel Eigenleistung, Eigenkapital, einer Kreditaufnahme, der Unterstützung von Stadt, Sportförderung, einem staatlichen Zuschuss und Spenden gelang es, den 25- und 50-Meter-Schießstand im Untergeschoss des Schützenhauses – direkt unter der Karl-Knauf-Halle – mit einer topmodernen Lüftungsanlage nebst Bleiabsaugung zu versehen. 110.000 Euro mussten dafür aufgebracht werden – trotz enormer Eigenleistung. So hat etwa Udo Bernhardt das Stahlgestell für neue, massive Naturkautschuk-Splitterschutzmatten vor der Bleiabsaugung selbst konstruiert und gefertigt.

Die Luft wird gereinigt

Vor kurzem ging der „Riesensauger“ mit zwei 25-kW-Motoren in Betrieb. „Wir blasen hier zirka 27.000 Kubikmeter Luft pro Stunde durch“, sagt Erich Hammer und zeigt auf die großen Luftschächte an beiden Enden der langen Halle. „Die Luft kann vor dem Eintritt in die Halle angewärmt werden, was vor allem im Winter nötig ist. Beim Austritt wird sie gereinigt.“ Eine gewisse Luftgeschwindigkeit ist zwar nötig, aber die – so versichern sämtliche Schützen – störe beim Schießen nicht.

Dafür können nun sämtliche Feuergewehre – Kleinkaliber, Großkaliber und Pistole – im Untergeschoss verwendet werden. Auch Jäger können kommen und ihre Jagdbüchsen am 50-Meter-Stand einschießen. „Während des Schießbetriebs sorgt eine Aufsichtsperson für einen geregelten Ablauf und die Sicherheit aller“, erklärt Erich Hammer.

Der erfahrene Schütze ist sicher, dass vom Schießsport generell keine Gefahr ausgeht: „Bei uns geht es nicht um Freude an Waffen oder gar die Lust, wild umher zu ballern“, stellt Hammer klar. „Wenn es in unserem Land ein Problem gibt, dann nicht mit legalen, sondern mit illegalen Waffen.“ Hammer verweist auf die Unfallstatistik: „Der Schießsport zählt zu den sichersten Sportarten. Genau genommen ist er die zweitsicherste: Nur beim Schachspiel passieren noch weniger Unfälle.“

Was sind Sportschützen?

Definition: Sportschießen ist der verantwortungsvolle, sportlich motivierte Umgang mit Schuss- und Bogenwaffen nach internationalen Regeln. Die Waffe wird als Sportgerät verwendet, ähnlich dem Speer beim Speerwerfen, dem Degen oder Säbel beim Fechten oder dem Kleinkalibergewehr beim Biathlon. Der Deutsche Schützenbund hat über 1,3 Millionen Mitglieder und ist der viertgrößte Sportverband Deutschlands.

Waffenschein? Sportschützen haben normalerweise keinen Waffenschein, sondern eine Waffenbesitzkarte. Diese berechtigt zum Besitz bestimmter Waffen, die nach den gesetzlichen Vorgaben zugriffssicher aufbewahrt werden müssen. Erst ab 18 Jahren darf mit Großkaliberwaffen geschossen werden. Für Kleinkaliberwaffen gilt das Mindestalter von 14 Jahren nebst Zustimmung der Eltern. Mit Luftdruckwaffen darf ab 12 Jahren trainiert werden.

Die Kgl. priv. Schützengesellschaft Iphofen: Rund 150 Mitglieder gehören der SG aktuell an. Sie trainieren mit Luftgewehr und Luftpistole, Kleinkaliber- und Großkaliberwaffen an Zehn-Meter-, 25-Meter- und 50-Meter-Schießständen und nehmen an Rundenwettkämpfen und Meisterschaften in verschiedenen Wertungsklassen teil. Alle Infos: www.schuetzen-iphofen.de; Kontakt: 1. Schützenmeister Rudolf Rüttger, Tel. 09232/ 5239, 2. Schützenmeister Marc-André Behrendt, Tel. 0171/ 8897001, Jugendleiter Christian Keysers, Tel. 0174/ 2713637.