Du hast 2011 beim „Supertalent“ viele Menschen begeistert. Wie ging es danach weiter?
Leonie: Ich bereue es auf keinen Fall, mitgemacht zu haben! Aber ich muss auch sagen: Damals ist viel auf mich eingeprasselt. Zum einen habe ich nach der Show zahlreiche Auftrittsangebote erhalten. Zum anderen aber auch ganz schlimme Kommentare…
Schlimme Kommentare?
Leonie: Zum Beispiel auf Facebook. Da waren schreckliche Sachen dabei, bis zu der Aussage, man habe wohl vergessen, die „singende Schlampe zu vergasen“…
Klingt nach hohlen Nazis.
Leonie: Nicht nur, das waren wohl vorwiegend Leute, die selbst ein Handicap haben.
Wie das? Ich dachte, du bist ein Vorbild für Behinderte, sich nicht im Schneckenhaus zu verkriechen, sondern sein Leben zu leben.
Leonie: Nicht alle wollen ihr Schneckenhaus verlassen. Manche trauen sich ihr Leben lang nicht raus, andere gefallen sich in der Opferrolle und sind jedem böse, der das nicht tut.
Aber Du bist nicht der Typ, der sich heulend in die Ecke stellt und niemanden an sich ranlässt, oder?
Leonie: Ich heule schon irgendwann mal. Aber ich packe das Problem trotzdem an, auch wenn ich dann halt mal in Tränen ausbreche.
Kannst du ein Beispiel aus deinem Alltag schildern?
Leonie: In Lidl- und dm-Filialen hat man mich abgewiesen, wenn ich mit Diego gekommen bin. „Der Hund bleibt draußen!“, hieß es, auch wenn auf der Homepage das Gegenteil stand. Dagegen habe ich mich gewehrt. Ich habe zum Beispiel bei der Zentrale angerufen. Daraufhin kam ein Entschuldigungsschreiben und die Versicherung, Diego sei natürlich willkommen. Er ist schließlich ein ausgebildeter Blindenhund, der garantiert nichts kaputtmacht.
(Leonis Managerin): Oft muss man als Behinderter noch für Dinge kämpfen, die eigentlich selbstverständlich sind.
Leonie: Es gibt aber auch positive Beispiele. Bei Tegut und bei Edeka um die Ecke bekomme ich sogar eine Einkaufshilfe, die mir die Waren in den Wagen packt. Da fühle ich mich willkommen. Und das schreibe ich dann auch öffentlich so auf.
Du hast fast 4000 Facebook-Freunde. Deine Meinung wird gehört…
Leonie: Ja. Zurzeit mache ich mich zum Beispiel auch als Restaurant-Testerin nützlich und schreibe auf, wo man als Behinderter problemlos und gut hingehen kann.
Du hast Bilder gepostet, die Dich beim Ladys Run in Nürnberg zeigen oder bei der Iron-Woman-Challenge in Roth – als Teilnehmerin!
Leonie: Ja, in Nürnberg bin ich an Isoldes Hand mitgelaufen. Nach dem Motto: Dabeisein ist alles. Der Platz war nicht wichtig. Ich hab? dort Lucy von den NoAngels getroffen, die mir ihren Preis gewidmet hat.
Womit verdienst du Deinen Lebensunterhalt? Mit Singen?
Leonie: Schön wär?s. Mein absoluter Traum ist ein Engagement auf einer klassischen Opern- oder Operetten-Bühne. So gern würde ich mal die Gretel in Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel singen…
Aber?
Isolde: Die Regisseure scheuen sich davor, eine behinderte Sängerin zu engagieren. Sie könnte stürzen. Außerdem kann Leonie nicht allzu lange stehen. Das erschwert alles.
Leonie: Länger als drei Stunden am Stück bin ich nicht wirklich arbeitsfähig. Aber ich probiere ganz viel! Ich will auf jeden Fall weg von der Grundsicherung und meinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Ein Engagement in einem kleinen Haus würde mir völlig reichen.
Jetzt kommst du erst mal nach Wiesentheid – als „Shootingstar 2018“. Was bedeutet dir das?
Leonie: Ich freue mich riesig. Weil es mir wichtig ist, für eine offene Gesellschaft einzutreten, Vorurteile gegenüber Menschen abzubauen, die irgendwie „anders“ sind. Außerdem möchte ich den guten Zweck der Veranstaltung unterstützen. Und natürlich will ich zeigen, dass man trotz Handicap etwas erreichen kann, wenn man sich nicht auf seiner Behinderung ausruht.
Apropos: Das Wort Inklusion ist in aller Munde. Reicht das?
Leonie: Oft fehlt das Gefühl dafür, was gut und hilfreich ist. Beispiel Schule: Für mich hat das wenig mit Inklusion zu tun, wenn man junge Menschen mit verschiedensten Behinderten zu den „Normalen“ in die Regelschule steckt. Ich für meinen Teil hätte gar nicht lesen können, was an der Tafel steht. In einer Behindertenschule wird man optimal gefördert. Echte Inklusion müsste im Kindergartenalter anfangen, der Umgang miteinander müsste selbstverständlich werden.
Zur Person: Als Kind hat Leonie Neubert von ihrer Oma eine Klassik-CD bekommen. „Obwohl ich auch Bravohits gehört habe, bin ich seitdem vom Klassikvirus infiziert.“ Die Fürtherin besuchte die Blinden-/Sehbehindertenschule in Nürnberg, hatte Klavierunterricht und solistischen Einzelunterricht. Nach einer Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation („Mama hat gesagt, ich soll erst was G?scheites lernen“) absolvierte sie die dreijährige Ausbildung zur staatlich geprüften Sing- und Musiklehrerin. Sie engagiert sich im Fürther Behindertenrat, ist Präsidentin des Brauchtums- & Faschingsvereins „Nürnberger Burgnarren“.
Varieté for Charity – Nacht der Toleranz
Termin: Die „Nacht der Toleranz“ findet am Samstag, 3. März, in der Steigerwaldhalle in Wiesentheid statt. Nach dem „Shootingstar“ Leonie Neubert und Livemusik der Inklusionsband „Mosaik“ mit Steffi List treten Comedy-Acts und Showgrößen aus der Akrobatik- und Dance-Performance-Szene auf. Die Travestie-Stars Elke Winter und France Delon werden mit spitzer Zunge durchs Programm führen.
Ziel: Es geht darum, Brücken zwischen Menschen zu bauen, unabhängig von deren Herkunft, Sexualität, Religion, Alter, Geschlecht oder möglichem Handicap. Veranstalter ist Thomas Sauerbrey alias „Mechthild Lavette“ vom Brunnenhof in Handthal.
Tickets: Karten (22 bis 40 Euro) gibt es online unter variete-for-charity.de oder reservix.de. Aus dem Verkauf jedes Tickets geht ein Obolus an eine gemeinnützige Organisation, die Menschen mit Handycaps unterstützt.
Info: variete-for-charity.de