Die St. Hedwig-Grundschule in Kitzingen ist eine von nur wenigen "Satellitenschulen" für einen besonderen Modellversuch. Die "Flexible Grundschule" bietet große Chancen - allen voran ein offenes Lern- und Lehrkonzept.
Während Stefanie und Marie noch eifrig schreiben, machen die Jungs am anderen Tisch schon Brotzeit. Die Schulstunden in der Flexiblen Eingangsklasse an der Grundschule St. Hedwig haben eben keinen festen Ablaufplan.
Luca konzentriert sich ganz auf sein Mathe-Heft. Er schaut kurz auf, guckt nach oben, zählt im Geiste. "Ich hab's", flüstert der Siebenjährige dann, schreibt seine Lösung auf und klappt das Heft zu. Die Hausaufgaben gehen dem Erstklässler leicht von der Hand - weil er mit Freude dabei ist, weil er den Sinn versteht, weil er lernen will. Das ist die Grundlage, auf der das Konzept der Flexiblen Eingangsklasse an Grundschulen aufbaut. "Kinder müssen neugierig sein und sich anstrengen wollen", weiß Susette Schuster. Die Pädagogin ist für die erste Flexible Eingangsklasse an der St.
Hedwig-Grundschule verantwortlich.
Für den hiesigen Schulamtsbezirk ist es ein echter Glücksfall, dass mit Kitzingen und Willanzheim zwei ganz unterschiedliche Schulen als "Satellitenschulen" für den Modellversuch ausgewählt wurden. "Darauf haben wir bei der Bewerbung ganz bewusst geachtet und sowohl eine Stadtschule mit mehreren Parallelklassen als auch eine Schule aus dem eher ländlichen Raum ins Rennen geschickt", erklärt Irene Fina, kommisarische Leiterin des Schulamts Kitzingen. Sie erwartet sich durch die ersten, wissenschaftlichen Erhebungen im Herbst wertvolle Erkenntnisse. "Dann wird sich herausstellen, ob der positive Eindruck nur Gefühlssache ist oder sich auch wissenschaftlich erhärten lässt."
Lehrer als Wegbegleiter
Dass die Flexible Grundschule große Chancen bietet, steht für Susette Schuster und Brigitte Ertl, Schulleiterin der St. Hedwig-Grundschule, fest. "Wir können die Kinder dort abholen, wo sie stehen, und sie ihren individuellen Ansprüchen nach fördern", erklärt Brigitte Ertl. "In dieser Arbeitsweise kann jedes Kind Erfolge haben", sagt sie. "Lehrer sind nur Wegbegleiter."
Thorsten Leiner sieht in Susette Schuster die perfekte Wegbegleiterin für seinen Sohn Luca. Er hat die Entscheidung, den Jungen an der St. Hedwig-Schule in die Flexible Eingangsklasse zu schicken, aber nicht nur an der Personalie der Klassleiterin festgemacht. Er sieht Parallelen zu den Leitsätzen der Montessori-Pädagogik, denen er nicht abgeneigt ist. Einer davon: "Hilf mir, es selbst zu tun". Der Vater dreier Kinder findet die Idee gut, dass sich sein Sohn selbstständig entwickeln kann und dabei optimal gefördert wird. Lebhaft und aufgeweckt wie Luca ist, genießt er in der jahrgangsgemischten Klasse manche Freiheit, die ihm nach konventionellem Modell versagt bliebe.
So trifft Luca einen Kollegen aus dem Handballverein oder auch den ein Jahr älteren Nachbarsjungen jeden Tag im Unterricht. Sie unterstützen sich gegenseitig: Während Luca lieber rechnet, tut sich Gabriel beim Schreiben leichter. Der eine zieht den anderen mit, motiviert ihn - vielleicht mehr, als der Lehrer es je schaffen könnte. "Es geht um die Gemeinschaft, die soziale Komponente", weiß Brigitte Ertl. Und wenn die Leistungsgrenze erreicht ist, wird eben eine Pause eingelegt.
Offenes Lehr- und Lernkonzept
Luca kann dann zum Beispiel "Mompitze" ausmalen - lustige Monster, die auch bei den Hausaufgaben die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. "Man vertraut einfach darauf, dass ein Kind sich nicht mehr oder weniger nimmt, als es verträgt", sagt Susette Schuster. Mit dem offenen Lern- und Lehrkonzept falle es dem Nachwuchs leichter, die Verantwortung für sein Lernen zu übernehmen. "Als Lehrerin kann ich nur anbieten und anleiten", meint auch Brigitte Ertl.
In diesem Punkt sieht die Schulleiterin aber auch eine der größten Schwächen des Modells: Die Kapazitäten reichen nicht aus, um den Aufwand zu bewältigen - weder personell noch lernmitteltechnisch oder räumlich. Eine Bundesfreiwillige, eine Lehrkraft aus dem Mobilen Dienst und die Schulleiterin selbst stehen Susette Schuster in der Flexiblen Eingangsklasse zur Seite - eigentlich zu wenig, um alle Differenzierungsstunden abzudecken. In kleineren Arbeitsgruppen ist effektiveres Arbeiten möglich. "Davon gibt es zu wenige", sagt Brigitte Ertl.
Viel Zeit verschluckt auch die notenfreie Bewertung der Schüler. Luca freut sich zum Beispiel regelmäßig über die Lachgesichter, die Frau Schuster in seine Hefte malt. Derzeit lädt Susette Schuster Schüler und Eltern zu Zwischengesprächen ein, dafür gab es kein Zwischenzeugnis. "Das ist eine tolle Erfahrung, vor allem für die Kinder", sagt die Lehrerin. Am Ende steht eine Zielvereinbarung für das zweite Halbjahr, die alle unterschreiben. Die wird Luca immer im Kopf haben, wenn er wieder Mumpitze ausmalt - oder vielleicht doch lieber noch ein bisschen Mathe macht.
Fakten auf einen Blick:
Idee Die Flexible Grundschule will den Schülern die Möglichkeit geben, sich nach ihren Begabungen und Interessen individueller entwickeln zu können.
Ausgangslage In der Eingangsstufe, den bisherigen Klassen 1 und 2, erstellt der Lehrer nach der Ermittlung der Lernausgangslage ein passgenaues Lernangebot. So können manche Abc-Schützen bereits lesen und wollen anspruchsvollere Aufgaben, während mancher Zweitklässler noch Nachholbedarf in grundlegenden Kenntnissen und Fertigkeiten hat.
Größe Die Eingangsklassen sind jahrgangsgemischt, die Zahl ist auf 25 Schüler begrenzt. Jüngere und ältere Schüler profitieren voneinander: Die "Neulinge" bekommen Unterstützung, die anderen fühlen sich als "Profis".
Verweildauer In der Regel dauert der Besuch der Eingangsstufe zwei Jahre, er kann aber je nach Lernfortschritt auf ein Jahr verkürzt oder auf drei Jahre verlängert werden (dieses Jahr wird nicht auf die Pflichtschulzeit angerechnet).
class="artFett">Noten Die Leistungserhebung erfolgt durch individuelle, unbenotete Proben und Lehrgespräche. Das Zwischenzeugnis kann durch ein dokumentiertes Elterngespräch ersetzt werden. Lehrer, Eltern und das Kind sprechen über den Leistungsstand und vereinbaren ein neues Ziel für das zweite Halbjahr.
Kooperation Die individuelle Ausrichtung bedeutet für die Pädagogen, dass sie sowohl mit den Eltern als auch mit den Kollegen aus den Kindertageseinrichtungen sowie mit den Lehrkräften der folgenden Jahrgangsstufen eng zusammenarbeiten müssen.
80 Schulen nehmen bayernweit seit dem Projektstart im Jahr 2010/2011 am Modellversuch Flexible Grundschule teil - 20 Stammschulen und 60 Satellitenschulen (2012/13). Aus dem Landkreis Kitzingen sind die St. Hedwig-Grundschule und die Grundschule Willanzheim dabei.
8 freie Plätze stellt die St. Hedwig-Schule nächstes Schuljahr in der Flexiblen Eingangsklasse zur Verfügung.