Rafiq Iqbal wäre der erste deutsche Landrat mit Migrationshintergrund. Er weiß aber noch viele weitere Punkte, warum die Bürger ihn am 23. September wählen sollten.
Das erste Ziel Ihrer Nominierung war, den Wählern eine Alternative zu geben - das haben Sie erreicht. Was ist das neue Ziel?
Rafiq Iqbal: Die Wahlfreiheit
gehört zum Fundament der Demokratie, und politische Parteien müssen es auch hinbekommen, dass sie Kandidaten aufbauen und aufstellen. Daran hat der Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen und ödp seit der letzten Landratswahl konsequent gearbeitet. Mein Ziel ist es, den Landkreis nicht nach juristischer Methodik zu verwalten, sondern den Landkreis und seine Bürger nach vorne zu bringen. Ich will mich dafür einsetzen, einen energieautarken und gentechnikfreien Landkreis bis 2020 zu schaffen, der uns wirtschaftlich nach vorne bringt.
Das ist ein sehr anspruchsvolles Ziel. Gerade wir in unserem ländlichen Landkreis haben die Potenziale, wirtschaftliches Wachstum durch einen autarken Landkreis zu erzielen.
Viele politische Akteure reden darüber, energieautark zu werden, können es jedoch selbst nicht anpacken, da ihnen die Kompetenz fehlt. Die Situation hier im Landkreis erinnert an einen Blindflug. Die Energiekosten steigen in den nächsten Jahren weiter. Der Landkreis müsste kompetente Entscheidungen treffen und diese auch umsetzen.
Wie ist denn ein energieautarker
Landkreis beschaffen?
Energieautarker Landkreis bedeutet, dass hier vor Ort Energie
produziert wird, die im Landkreis benötigt wird. Wir sprechen dann von regionaler Wertschöpfung. Es ist ja so, dass es vom Stromnetz aus betrachtet eigentlich gar keine 16 Bundesländer gibt, sondern nur vier. Das deutsche Stromnetz ist wie ein Spinnennetz aufgebaut, welches vier Konzernen gehört, die das Netz unter sich aufgeteilt haben. Ringsherum um dieses "Spinnennetz" sitzen Großkraftwerke, die Energie einspeisen.
Von der Energieerzeugung bis zur Ankunft an Ihrer Steckdose sind fast 30 Prozent verpufft. Für den Ausbau der Leitungen kommen aber die Steuerzahler auf. Wenn ich regional Energie erzeuge, benötige ich keine Energieautobahn mit
380 000 Volt Höchstspannung. Man kann es mit dem Straßennetz vergleichen: der Hauseigentümer, der seinen Nachbarn mit Energie versorgt, ist an das Niederspannungsnetz angeschlossen. Windkrafträder und Solarfreiflächenkraftwerke, die höhere Mengen an Energie zur Verfügung stellen, werden an die Mittelspannung angeschlossen, die nicht mehr dem Gemeindeweg, sondern eher einer Bundesstraße gleicht. Dezentrale Energieerzeugung benötigt keine teuren Energieautobahnen.
Und das ist der springende Punkt: Es macht keinen Sinn, den Ausbau dieser Autobahnen mitzufinanzieren, wenn ich eigentlich nur die Gemeindestraße brauche. Lasse ich meine Energie über die Autobahn anliefern fließt der Gewinn nicht in den Landkreis, sondern geht an die Großkonzerne.
Dezentrale Energieerzeugung bedeutet für den Landkreis dezentrale Gewinnausschüttung.
Wie kann das im Landkreis konkret aussehen? Schließlich gibt es strukturell große Unterschiede.
Das funktioniert nur individuell. Man muss sich da jede Gemeinde ganz genau anschauen und die Potenziale herausfinden. Im historischen Stadtkern von Iphofen wird es zum Beispiel nicht möglich sein, dass jedes Haus eine Photovoltaikanlage aufs Dach bekommt. Aber es gibt rundherum Weinberge, es fällt Abfall an, man könnte etwas mit Biogas einplanen - und dabei wird noch vermieden, dass nur Mais in der Anlage landet. Es muss mehr Geschwindigkeit in die Ausweisung der Flächen für Windkraftanlagen kommen, damit diese nicht ortsnah gebaut werden. Bisher sind die Bürgermeister stark gefordert, und wir fragen uns: Warum soll sich ein jeder einzeln damit beschäftigen wie die technologischen und verwaltungstechnischen Hürden zu meistern sind.
So kommen wir nicht auf die Geschwindigkeit, die wir bis 2020 brauchen. Deshalb muss die Kompetenz gebündelt im Landratsamt liegen, das die Gemeinden dann individuell berät.
Sehen Sie in dieser Hinsicht Versäumnisse der Kreisverwaltung?
Ich sehe diese Versäumnisse seit
drei Jahren. Es wird schon sehr lange geredet, und auch immer wieder stolz das Energiegutachten benannt, das für viele tausend Euro erstellt wurde. Dieses sehe ich eher als Schildbürgerstreich an. Ich habe Verständnis dafür, dass man nicht alles können kann. Aber wenn ich als Chef des Landratsamtes weiß, dass ich ein Thema mit solch hoher Priorität mangels Erfahrung nicht bearbeiten kann, dann muss ich dementsprechend zeitig dafür sorgen, dass ich jemanden bekomme, der etwas davon versteht und nicht mit aufbereiteten Zahlen über die fehlende Kompetenz hinwegtäuschen.
Nun mussten etliche Punkte aktuell behandelt werden, zum Beispiel die Thematik Klinik Kitzinger Land.
Ist es da nicht verständlich, dass andere in den Hintergrund rücken?
Gerade die Energiepolitik bietet Kommunen im ländlichen Raum eine Riesenchance, um Geld zu verdienen. Wir könnten den Landkreis nach vorne bringen, wenn wir unsere Stärken nutzen würden. Das Thema Klinik Kitzinger Land rückte durch die anstehende Entscheidung, ob Neubau oder Sanierung, in den Vordergrund, sie fiel für die Sanierung. Was mich daran nur stört ist, dass nicht an die Mitarbeiter gedacht wurde, trotz Fachkräftemangel. Familienfreundliche Arbeitsmodelle werden nur im Landratsamt selbst praktiziert.
Wie würden Sie das Thema Familienfreundlichkeit denn angehen?
Da können wir ja gleich bei der Klinik bleiben. Es fehlt bis heute ein Klinik-Kindergarten. Die Leute, die dort arbeiten, müssen in der Früh einen Spagat machen, um ihre Kinder rechtzeitig
unterzubringen - als Vater weiß ich, welche Herausforderung das ist.
Im Klinikkonzept hätte man gleich einen Kindergarten einplanen können. Hierdurch könnte mit der Klinik als Arbeitsplatz ein echtes Aushängeschild geschaffen und strategisch Fachkräfte gezielter gewonnen werden.
Was gehört für Sie noch zur Familienfreundlichkeit?
Hier hilft mir auch mein ehrenamtliches Engagement als Vorstand innerhalb des deutschen Kinderschutzbundes: Laut Bertelsmann-Stiftung ist die Armut von Kindern im Landkreis Kitzingen sehr verbreitet. Dabei ist es nicht so schwer, jungen Eltern das Leben ein bisschen einfacher zu machen - und damit meine ich nicht nur die Windeltonne. Schließlich passiert es in dieser Zeit ganz schnell, dass man in soziale Abhängigkeiten abrutscht. In der sensiblen Phase des Familienzuwachses, brauchen auch die Eltern die meiste Unterstützung. Hier muss die Zusammenarbeit zwischen Landratsamt, Amt für Jugend und soziales, der Arge und den beteiligten Professionen viel besser synchronisiert werden.
Die Familiestrukturen haben sich in den letzten 25 Jahren sehr verändert. Früher hieß es, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Heute sind Eltern häufiger alleine. Auf diesen Wandel muss sich der Landkreis einstellen. Es ist doch bekannt, dass jeder investierte Euro in die Kinder- und Jugendhilfe als doppelte Gewinnausschüttung wieder zurückkommt.
Synchronisierung als Schlüssel
Die Bertelsmann-Stiftung hat zudem ganz aktuell festgestellt, dass im Landkreis Kitzingen 11,6 Prozent aller Kinder unter drei Jahren per Definition in Armut leben - im Landkreis Würzburg ist es "nur" knapp die Hälfte. Der Schlüssel ist die Synchronisierung zwischen dem, was die junge Familie benötigt und dem, was der Landkreis bieten kann und was weitere Organisationen, Verbände und Einrichtungen zu bieten haben. Dazu benötigt der Landkreis qualifizierte Mitarbeiter.
Schließlich geht es nicht nur ums Ausfüllen von Formularen. Wer gut geschult ist, sieht die Potenziale die Eltern mitbringen, wird sein Netzwerk innerhalb des Landkreises nutzen und die Eltern mit den richtigen Stelle und gegebenenfalls anderen Einrichtungen zusammen bringen. Die Menschen sollen keine Bittsteller sein, sie sind unser produktives Potenzial für höhere Einnahmen in unserem Landkreis. Wenn wir frühzeitig unterstützend einwirken, gelingt Vieles, das später nur noch schwer zu korrigieren ist.
Sie selbst sagen ja aber, dass der
Landkreis ohnehin schon hoch verschuldet ist. Sind solche Investitionen überhaupt möglich?
Wenn es um Sozialausgaben geht, heißt es ja oft, dass das Geld nicht da ist. Aber die Frage ist: Wo ist es sinnvoll, Geld zu investieren. Und wo nicht. In unseren Nachwuchs zu investieren ist auf jeden Fall nachhaltig und wichtig.
Wo ist es nicht nachhaltig?
Es werden hier Straßen ausgebaut, die kaum befahren sind.
Und am Ortseingang muss man noch etwas hinbauen, damit die Autofahrer wieder abbremsen, weil sie mit zu hoher Geschwindigkeit angefahren kommen.
Natürlich gibt es auch Ortschaften, wo der Straßenbau absolut Sinn macht. Gaibach braucht unbedingt eine Umgehungsstraße. Die Lkw fahren in Marktbreit von der Autobahn, brettern durch bis Volkach, kriechen dann durch Gaibach und nach Kolitzheim geht es dann wieder mit voller Geschwindigkeit bis Schweinfurt durch. Das ist möglich, weil man diese Straßen ausgebaut hat. Eine Umgehung in Volkach macht - im Gegensatz zu Gaibach - keinen Sinn, sie verstärkt den Verkehr sogar noch. Darum wäre es am besten, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer zu reduzieren - dann könnte der Tourismus weiter wachsen und die Anwohner würden auch endlich zu dem kommen, was sie seit Jahren wollen: Ruhe.
Das wäre eine krasse Veränderung
- aber Sie selbst sagen ja: "Die Menschen wollen eine Veränderung". Haben Sie die
Landkreisbürger auf ihrer Wahlkampftour so
erlebt?
Ja, das habe ich schon gespürt, dass die Menschen hier eine Veränderung wollen. Es sind vor allem zwei Altersgruppen: Nicht unbedingt meine Generation, also die 40- bis 50-Jährigen, sondern eher die Älteren, und die Menschen zwischen 20 und 25, denen es nicht gefällt, wenn Politiker immer mal wieder in die Kamera grinsen oder ein Lätzchen hochhalten, aber in Wirklichkeit nicht spürbar sind. So sprachen mich die eigentlich klassischen CSU-Wähler an, und es war für mich eine tolle Erfahrung. Ich habe nicht damit gerechnet, dass gerade die sagen: "Wir wollen das so nicht mehr".
Viele waren erstaunt, da es ihnen ungewöhnlich erschien, jemanden wie mich in Anzug und Krawatte anzutreffen, der trotzdem Grüne Themen diskutieren wollte - und konnte.
Wie haben Sie den Wahlkampf an
sich empfunden? Fiel er nicht insgesamt fast ein bisschen seicht aus?
Er war schon bissig - es wurde leider nur
nicht viel darüber berichtet. Die überregionalen Medien waren viel mehr daran interessiert als die lokalen. Ich wurde zum Beispiel von zwei Fernsehsendern angerufen, weil sie es interessant fanden, dass da ein Unterfranke mit indischem Migrationshintergrund als Landrat kandidiert. Bis zu meinem ZDF-Interview in der "heute"-Sendung war mir gar nicht so klar, dass auch meine interkulturelle Kompetenz solche Wellen schlagen kann. Wie die Wahl auch ausgeht, Kitzingen wird auf jeden Fall ein Medienecho erhalten - erst recht, wenn es dann auch den Landrat mit Migrationshintergrund in Kitzingen gibt. Der Landkreis kann eine Vorreiterrolle einnehmen.
Wie sehen Sie ihre Chancen? Hat
die ein oder andere Panne, die im
Vorfeld der Wahl am 23. September passiert ist, diese vielleicht geschmälert?
Ich denke, die Chancen stehen gut, jedoch bin ich auf jede einzelne Stimme angewiesen.
Die Recherche-Arbeit der Medien wurde manchmal offensichtlich nicht so ernst genommen. Es fing damit an, dass behauptet wurde, es gäbe keinen Gegenkandidaten. Aber weder wir Grüne noch die ödp wurden gefragt. Bei der ersten Schlagzeile wurde ich dann auch nicht mit Namen genannt, sondern als "der Inder" bezeichnet.
Dann gab es da noch den angeblichen, formalen Fehler bei Ihrer
Nominierung und den falschen
Wohnort auf dem Wahlzettel...?
Es gibt zwei Formen der Nominierung, intern und öffentlich. Ich wurde intern nominiert. Trotz einer Pressedarstellung gab es dabei keinen Fehler. Da meine Person einigen nicht bekannt war, entschieden wir uns zusätzlich für eine öffentliche Nominierung. Durch die irritierende erste Schlagzeile bei welcher ich nicht mit Namen, sondern als "Inder" erwähnt wurde fragten uns Menschen über unsere Homepage an: "Kann der überhaupt deutsch?". Die öffentliche Nominierung haben wir daher auch gefilmt.
So konnten die Menschen mich sehen und sprechen hören oder jetzt auf meiner Homepage ansehen.
Das Drucken der Wahlzettel dagegen, ist wirklich ganz dumm gelaufen. Wir bekamen am 8. August eine E-Mail, in der geschrieben stand, welche Daten auf dem Wahlzettel stehen werden.
Darin war mein Name falsch geschrieben und die Berufsbezeichnung noch nicht korrekt. Vom Wohnort war keine Rede. Der Mitarbeiterin, die mit der Aufgabe betraut war, hatte ich jedoch mitgeteilt dass ich nicht mehr in Marktbreit, sondern in Tiefenstockheim wohne, auch wenn für ihren Einwohnermeldeabgleich die selbe Verwaltungsgemeinschaft (Marktbreit, Anm. d. Red.) zuständig gewesen wäre. Und so passierte eben auch das Malheur.
Und wie fühlen Sie sich so kurz vor
der Wahl?
Sehr gut, der Wahlkampf war eine große Bereicherung. Das liegt natürlich auch an den vielen positiven Erlebnissen, die ich mit den Menschen hatte.
Die Sehnsucht nach einem Wandel, zu einem menschlicheren Landkreis, in dem mehr das Gestalten als das Verwalten im Vordergrund stehen sollte, war oft spürbar. Die kommenden Tage vor der Wahl sind mir absolut wichtig. Viele entscheiden erst jetzt, für wenn sie stimmen werden. Deshalb werde ich in der letzten Woche noch einmal auf den Marktplätzen als "bürgernaher Kandidat" sehr präsent sein. Es folgen
noch Veranstaltungen mit Abgeordneten. Auf meiner Homepage können die anstehenden Tour-Termine nachgelesen werden. Da freue ich mich auf weitere, schöne Erlebnisse und dann auf einen spannenden Wahltag.
Das Gespräch führte Julia
Riegler.
... unverblümt zu sagen: über 25 Prozent kommt er gegen die amtierende Landrätin am 23. September nicht hinaus!!!