Rund 400 ehemalige Kitzinger leben in den USA - dort, wo am heutigen Dienstag der neue Präsident gewählt wird. Jutta Johnson ist inzwischen in Jacksonville zu Hause, beim Wählen denkt sie aber auch an ihre Freunde in Deutschland.
Ganz Amerika ist in heller Aufregung - nicht nur wegen "Sandy", sondern vor allem am heutigen Tag auch wegen "Barack" und "Mitt": alle wahlberechtigten US-Amerikaner wählen ihren Präsidenten für die nächsten vier Jahre. Jutta Johnson hat ihre Stimme als "early vote" schon vor einer Woche abgeben. Die ehemalige Kitzingerin lebt seit 1972 in Jacksonville im US-Staat Florida, hat ihre ganz eigene Meinung zu den beiden Kandidaten - und zu ihren Mitbürgern selbst.
"Es ist eine Schande, dass so viele Leute keine Ahnung von dem ganzen Wahlprozess haben", wundert sie sich über das geringe Interesse der US-Amerikaner. "Die Hoffnung ist, dass ein jeder, der wählen kann und darf, auch sein bürgerliches Recht, ich möchte fast sagen seine Pflicht, ausübt und wählen geht." Auch Zahlen hat sie parat: 206 Millionen Bürger waren 2008 wahlberechtigt, aber nur 75 Millionen haben sich die Zeit dafür genommen. "Also, Schande über diejenigen, die wählen können und nicht gehen."
Das Interesse fehlt So richtig beschäftigt sich ein Großteil ihrer Landsleute nicht mit dem politischen System, mit Wahlprogrammen oder Parteizielen. "Viele wissen gar nicht, was genau der Präsident eigentlich entscheidet und was nicht." Keine gute Grundlage, um an der Wahlurne eine Entscheidung zutreffen - wenn man überhaupt zum Wählen kommt. Die sogenannten "polling stations" sind inzwischen völlig überlastet, und auf Schlange stehen haben die wenigsten Amerikaner Lust. "Die Polls waren eine ganze Woche offen", empört sie sich darüber, dass so viele ihre Chancen noch nicht genutzt haben - vielleicht, weil sie gar nicht wissen, was sie wählen sollen?!
"Kitzinger Amis" wollen Obama "Ich höre immer: Obama wähle ich nicht, weil er schwarz ist - wie ignorant! Und gleichzeitig höre ich: Romney wähle ich nicht, weil er mormonischen Glaubens ist - noch einmal ignorant." Die "Kitzinger Amis", wie sie sich selbst nennen, sind da um einiges interessierter - und toleranter.
So gibt es in einer Gruppe bei Facebook, die sich "Kitzinger in der USA" nennt, derzeit heiße Diskussionen um den Platz im Oval Office - mit dem eindeutigen Tenor, dass Obama dort bleiben sollte. Es ist nämlich nicht nur Jutta Johnson, die sich für den Amtsinhaber ausspricht und sich wünscht, dass ihm die Amerikaner noch ein bisschen mehr Zeit geben. "Ich glaube, dass er dieses Land langsam, aber sicher auf die richtige Spur bringt." Mit einem unguten Gefühl hat sie in den letzten Wochen beobachtet, wie Romney und sein Team immer weiter aufgeholt haben. Einem Bericht der "Times-Union" führt Romney im Bundesstaat Florida sogar schon.
Hopp oder Top Auch befreundete Ex-Kitzinger aus den Staaten sähen Barack Obama gerne als den Sieger aus den Wahlen 2012 herausgehen - obwohl ihr so mancher die Freundschaft gekündigt hat, nachdem sie ihre Meinung geäußert hatte. "Bestimmt 20 Leute haben mir nicht mehr geschrieben, mich sogar beschimpft oder behauptet, ich würde Obama nur wählen, weil ich mit einem Farbigen verheiratet bin", erklärt sie traurig. Vornehmlich seien die deutschen Zuwanderer den Republikanern und damit Romney zugeneigt - diesen Eindruck hat auch Reinhard Faltermeyer.
Der Kitzinger lebt zwar nicht in den USA, ist aber ständig in engem Kontakt mit den Kitzinger Amis. "Die wohlhabenderen US-Bürger sympathisieren mit Romney", erklärt er. Bei seiner Einschätzung bezüglich der Ex-Kitzinger täuscht er sich aber, schließlich ist der Großteil für Obama. Vielleicht, weil er die Außenpolitik und damit die Beziehung zu Deutschland anders bewertet als sein Kontrahent? "Gegen Obama sind meistens die deutschen Einwanderer, die erst mal seit zwei, drei Jahren in Amerika sind", weiß Rosi Neubert. "Und die wissen im Grunde noch nichts von Amerika." Sie ist froh, dass es auch noch "Republicans" gibt, die Freundschaften nicht vom Ausgang der Wahl abhängig machen. "Es gibt zum Glück auch viele gscheite Leute, die nicht für Obama sind, aber trotzdem andere Meinungen gelten lassen."
Diesbezüglich gibt es in den USA aber nur "Hopp oder Top" - dem Zwei-Parteien-System sei Dank. So erklärt beispielsweise Ulrike Winstead (Kellermann), die als "Neubürgerin" noch nicht wählen darf: "Ich würde Obama wählen, weil das, was er sagt, stimmig ist, während sich Romney dauernd widerspricht - einmal so und einmal so." Freilich sei unterm amtierenden Präsidenten nicht alles wunderbar gelaufen, aber er "kann nicht in vier Jahren alles ins Reine bringen, was jemand in acht Jahren versaut hat".
Ein Rückschritt um 50 Jahre Mindestens genauso deutlich wird Gertraud Schinzel-Watson. "Gott sei uns allen gnädig, dass nicht 'der Andere' reinkommt. Das würde bezüglich der Bürgerrechte und auch der Rechte der Frauen einen Rückschritt um 50 Jahre bedeuten." Nicht zu vergessen das Prinzip "survival of the wealthiest" - nur die Gesündesten überleben.
Mit Galgenhumor sehen Carola Johnston und Regina Simpson die Situation. "Ich würde auf jeden Fall Obama wählen", sagtCarola Johnston. "Er sieht viel besser aus als Romney - ich liebe sein Lächeln." Und Regina Simpson fügt hinzu: "Ich wähle Obama, weil er gut aussieht und weil er hip ist."
Der Einfluss von "Sandy" Bleibt abzuwarten, wie die US-Amerikaner entscheiden. Heute Nacht gegen 1 Uhr MEZ wird ein erstes Ergebnis erwartet - hoffentlich. Jutta Johnson hat da jedenfalls ihre Bedenken. "Die Frage ist, wie dieser furchtbare Sturm die Wahlen beeinflusst." Zum einen könnte die zerstörte Infrastruktur das Prozedere insgesamt verzögern - die kurzfristig eingeräumte Möglichkeit für betroffene Bürger, via Internet zu wählen, ist in Gefahr. "Viele Städte haben keine elektrische Verbindung, so dass das Computersystem zum Wählen nicht zur Verfügung steht", erklärt die Wahlamerikanerin. "Ich habe da nur eine Gedanken... Chaos!"
Zum anderen bleibt abzuwarten, inwiefern welcher Kandidat während der Aufräumarbeiten punkten konnte. Dann sind es nicht nur "Barack" und "Mitt", die Amerika bewegen, sondern auch wieder "Sandy".