Die Altenpflege krankt und leidet an Zeitnot

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Sie sind mit Leib und Seele Pflegerinnen: Michaela Lindner, Erika Bietz, Carola Fischer und Renate Kantenwein möchten keinen anderen Beruf haben - aber weniger Bürokratie und Zeitdruck. Foto: Diana Fuchs
Sie sind mit Leib und Seele Pflegerinnen: Michaela Lindner, Erika Bietz, Carola Fischer und Renate Kantenwein möchten keinen anderen Beruf haben - aber weniger Bürokratie und Zeitdruck.  Foto: Diana Fuchs
Die Pflege liegt am Boden - das symbolisierten Pflegekräfte bei der ersten "Flashmob"-Aktion kürzlich in Kitzingen. Foto: Oppel
Die Pflege liegt am Boden - das symbolisierten Pflegekräfte bei der ersten "Flashmob"-Aktion kürzlich in Kitzingen.  Foto: Oppel
 

Alt zu sein ist nicht immer leicht. Alt und krank zu sein, erst recht nicht. Wer alt, krank und auch noch gebrechlich ist, für den hält das Leben oft nur noch wenige kostbare Momente bereit. Und die Menschen, die für diese schönen Momente sorgen, werden immer mehr unter Druck gesetzt.

Die Uhr tickt. Der nächste Patient wartet schon. Einmal Bettwäsche wechseln? Macht 4,04 Euro. Kämmen kostet 1,01 Euro. Für eine Ganzkörperwäsche werden 12,61 Euro fällig. Das sind die Preise nach dem Pflegeversicherungsgesetz, das alle Wohlfahrtsverbände anwenden müssen. Wer bei einem mobilen Pflegeservice arbeitet und täglich Patienten zuhause hilft, der muss für jeden Menschen Akten führen und haargenau vermerken, welche Leistungen wann erbracht wurden. "Das ist an sich sinnvoll. Aber leider wird die Bürokratie immer schlimmer und absurder - und das geht zu Lasten der Menschen", stellt Erika Bietz fest, die Leiterin der Diakonie-Sozialstation Castell.

"Wenn mich ein älterer Herr, dem ich beim Anziehen helfe, zum Beispiel fragt, ob ich ihm mal eben den juckenden Rücken eincremen könnte, dann müsste ich ihm eigentlich sagen: 'Hautpflege haben wir in Ihrem Kostenvoranschlag aber nicht ausgemacht. Deshalb ist dafür auch keine Zeit eingeplant.'", schildert Bietz' Stellvertreterin Michaela Lindner eine typische Situation.

Soll sie den Senior nun mit seinem Juckreiz sitzen lassen? Oder, weil sie ein guter Mensch ist, schnell eine Creme holen und auftragen? Und dafür halt ein bisschen mehr Gas geben auf der Fahrt zum nächsten Patienten? "Der Nächste sitzt dann vielleicht im Dunkeln, weil die Glühbirne kaputtgegangen ist, oder er hat Durst, weil kein Sprudel mehr da ist." Glühbirne austauschen und Wasser holen stehen aber auch nicht auf der Leistungsliste. Was also tun? Tagtäglich finden sich Mitarbeiter der Pflegedienste in solchem Zwiespalt wieder - in einem Dilemma zwischen Seele und Uhr.

"Die Versorgung daheim wird immer diffiziler", weiß Erika Bietz. "Jeder Schritt soll vorher geplant sein, aber das geht nicht." Die Pflege, sagt sie, braucht selbst dringend Hilfe.

Stress, Frust, Angst

Viel Arbeit - schwere Arbeit - für zu wenig Fachkräfte, kaum Zeit für die Patienten, dafür bergeweise Schreibkram: Von Pflegenotstand ist allenthalben die Rede. Nicht nur bei Pflegediensten, auch in Altenheimen und Krankenhäusern ist das Pflegepersonal zum Teil überlastet und oft frustriert.

Die latente Angst, den Job zu verlieren, hält so manchen davon ab, die Situation offen zu kritisieren. Bei Protestaktionen aber - zum Beispiel bei Flashmobs, wie sie auch in Kitzingen stattfinden - machen Altenpfleger und Krankenschwestern auf das "Unheil in der Heilbranche" aufmerksam.

Erika Bietz, ihre Stellvertreterin Michaela Lindner sowie die Leiterinnen der Diakonie-Stationen Kitzingen und Markt Einersheim, Renate Kantenwein und Carola Fischer, kennen beide Seiten: die der Pflegenden und die der Organisierenden. Sie finden: Die Sätze für die häusliche Pflege sind vielfach zu niedrig angesetzt.
Ein Beispiel: Ein Senior kommt gebrechlich aus dem Krankenhaus heim, braucht früh und abends umfassende Pflege. Diese kostet mit Anfahrt pro Tag 60 Euro. Das sind pro Monat 1800 Euro. "Der Stufe-3-Satz für die häusliche Krankenpflege endet aber bei 1550 Euro." Also fangen die Menschen an, einzelne Leistungen herauszurechnen, weil sie sich größere Zuzahlungen nicht leisten können oder wollen.

Diese Problematik kennt Jochen Keßler-Rosa. Der Pfarrer und Geschäftsführer der Diakonie Kitzingen will zwar nicht von einem "Pflegenotstand" sprechen. Er bestätigt allerdings, dass die Suche nach geeignetem Personal schwierig ist, und wünscht sich die Möglichkeit, höhere Löhne zahlen zu können, ohne darüber in die Verschuldung zu rutschen. Auch eine höhere Kostenerstattung durch die Kranken- und Pflegekassen fordert er. "Dann würden sich bei besseren Rahmenbedingungen auch mehr jüngere Leute für den so sinnvollen Beruf in der Krankenpflege entscheiden."

"Pflege tritt in den Hintergrund"

So aber werden viele abgeschreckt - auch dadurch, "dass die Anerkennung für unseren Beruf fehlt", findet Erika Bietz. "Pflegen ist anspruchsvolle Arbeit!"

Renate Kantenwein nickt. Sorgen machen der Stationsleiterin auch der "Dokumentations-Wahnsinn" sowohl per PC als auch auf Berichtsblättern, die zeitintensive Beratung der Angehörigen, die die komplexen gesetzlichen Vorgaben nicht überblicken können, und der zunehmende Schriftverkehr mit den Kranken- und Pflegekassen. "Wir pflegen Papier wie blöd", formuliert Michaela Lindner anschaulich.

Trotz allem machen sie und ihre Kolleginnen ihre Arbeit nach wie vor gern: "Weil wir spüren, wie sehr wir gebaucht werden", bringt Carola Fischer die Sache auf den Punkt. Oft sind Schwestern und Pfleger dem Patienten und seiner Familie jahrelang verbunden. "Wir bekommen viel Dankbarkeit zurück."

Angst vor der Zukunft haben die Schwestern trotzdem: "Die eigentliche Pflege tritt ja immer mehr in den Hintergrund."

Auch Jochen Keßler-Rosa sagt: "Wenn es nicht zu klaren Verbesserungen der Arbeitssituation kommt, dann weiß auch ich nicht, wer mich mal pflegen soll." Er wünscht sich eine bessere und angemessene Wertschätzung aller Pflegedienste, ambulant und stationär.

"Ich würde die entscheidenden Politiker gern mal ein paar Tage lang zu den Patienten mitnehmen", sagt Carola Fischer. "Das wäre bestimmt heilsam."


Nächster FLASHMOB

"Pflege braucht Wärme"

Am Samstag, 14. Dezember, findet deutschlandweit ein weiterer Flashmob (eine Kurzdemo) "Pflege am Boden" statt. In Kitzingen ist von 16 bis 16.10 Uhr am Platz der Partnerstädte Stillliegen angesagt (auf Iso-Matten, Decken etc). Eingeladen ist jedermann, der die Politiker darauf aufmerksam machen will, dass die Pflege "dringend Wärme braucht".