Ärzte finden kein Rezept

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Wenn eine Praxis ersatzlos schließt, müssen sich die Patienten auf die Suche nach einem neuen Arzt machen - haben aber nur teilweise Erfolg. Einen Mangel gibt es rein statistisch trotzdem nicht.

An diesem Tag hat sich Kathrin Schöller (Name geändert) richtig schlecht gefühlt. Kopfschmerzen, eine verstopfte Nase und schlimme Halsschmerzen plagten die 27-jährige Einzelhandelskauffrau - ans Arbeiten war nicht zu denken. Eine Krankschreibung musste her, beziehungsweise ein Termin bei ihrem Hausarzt. Als sie in der Praxis anrief, schaltete sich der Anrufbeantworter ein: "Liebe Patienten, wir schließen zum 1. April. Sprechstunden werden nicht mehr gehalten. Bitte holen sie bis zum 28. März ihre Unterlagen bei uns ab." Dr. Karl-Otto Kroiß hatte für seine Praxis im Alten Krankenhaus an der Neuen Mainbrücke keinen Nachfolger gefunden - und da könnte er nicht der letzte Hausarzt in Kitzignen gewesen sein.

Patienten stehen auf der Straße

Auf seine Kollegen vor Ort mussten nun die weit über 1000 Patienten aufgeteilt werden - ein
unmögliches Unterfangen. "Ab einer gewissen Zahl verschlechtert sich der Service", erklärt Hausärztesprecher Harry Biemüller. Er selbst habe Patienten aufgenommen, inzwischen gelte aber in fast allen Kitzinger Arztpraxen Annahmestopp. "Jede Praxisschließung hat eine kleine Katastrophe zur Folge", weiß Biemüller, der in wenigen Jahren selbst in den wohlverdienten Ruhestand geht. Die Nachfolgerfrage treibt auch ihn um. "Es will sich einfach niemand mehr niederlassen", sagt er und erhält Bestätigung von Dr. Christian Pfeiffer, Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes und praktizierender Allgemeinmediziner in Giebelstadt.

"Der Trend geht immer mehr zum Angestelltenbereich", erklärt er. "Die praktizierenden Ärzte sind noch echte Workaholics." Die junge Generation sei da anders - zumal es immer mehr Kolleginnen gebe und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein noch wichtigerer Punkt sei als es ohnehin schon der Fall ist. Die lange, wenig attraktive Ausbildung zum Allgemeinmediziner sei ebenso ausschlaggebend für den Nachwuchsmangel wie die große Verantwortung und die betriebswirtschaftlichen Aufgaben, die bei der Niederlassung auf einen Arzt zukämen.

Jüngster Arzt ist auch fast 50

Kein Wunder, dass nicht nur Dr. Kroiß keinen Nachfolger für seine Praxis fand - obwohl Kitzingen laut Christian Pfeiffer eigentlich attraktiv für die Ansiedlung einer Arztpraxis ist. "Wir reden ja nicht vom platten Land, sondern von einer lebenswerten Kleinstadt", so Harry Biemüller. Die Problematik ist inzwischen deutlich spürbar - wird in einigen Jahren aber noch drastischer. "Unser jüngster Kollege in Kitzingen ist knapp unter 50. Da kann man sich etwa ausrechnen, wie die Situation in fünf Jahren aussieht."

Dabei ist Kitzingen rein statistisch gesehen gar nicht unterversorgt. Das geht aus einer Berechnung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen hervor. "Bundesweit betrachtet haben wir nicht zu wenig Ärzte - sie sind nur nicht gut verteilt", erklärt Pressesprecherin Claudia Widmaier. "Solange wir neben einer regional drohenden Unterversorgung das gleichzeitig vorhandene Problem der Überversorgung nicht angehen, werden wir keine Lösung finden."

Den Vorschlag, finanzielle Anreize zu schaffen, damit Jungärzte sich in unterversorgten Regionen niederließen, hält Harry Biemüller für wenig sinnvoll. "Es geht gerade jungen Ärzten immer auch darum, wie die Infrastruktur ist. Kein Mensch möchte mehr auf dem flachen Land eine Praxis übernehmen." Dass es nun schon in Städten wie Kitzingen keine Nachfolger für die Hausarztpraxen mehr gibt, sei wirklich bedenklich - aber auch abzusehen. Schon seit einigen Jahren weisen die Verantwortlichen immer wieder darauf hin, dass die Altersstruktur bedenklich sei, in Ausbildung und bezüglich der Arbeitsbelastung etwas verändert werden müsse.

"Hier wurde es versäumt, zu handeln", erklärt Harry Biemüller. "Eine Lösung ist nicht in Sicht." So werden sich in den nächsten Jahren immer wieder Patienten einen neuen Hausarzt suchen müssen - so wie Kathrin Schöller. "Ich habe beim ersten Kitzinger Hausarzt angerufen, der auf der Ansage des Anrufbeantworters genannt worden war." Dort sagte man ihr, dass die Praxis bereits voll sei und sie es bei einer anderen probieren sollte. Keine schöne Situation für die Patientin - aber das gute Recht der Praxisleitung.

"Es ist oft so, dass Patienten in einer neuen Praxis nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden", weiß Dr. Christian Pfeiffer. Schließlich seien die meisten Ärzte ausgelastet und sie entscheiden selbst, wie viele Patienten sie behandeln können und wollen. "Gibt es zu viele, bleibt für den einzelnen zu wenig Zeit", weiß Christian Pfeiffer. "Außerdem leidet die eigene Lebensqualität."

Am besten gesund bleiben

Der zweite Versuch brachte Kathrin Schöller noch mehr Ernüchterung. "Man könne nur noch Privatpatienten aufnehmen, hieß es dort", erinnert sie sich. Aber auch diese Ablehnung war im Grunde rechtmäßig. "Ich halte es für problematisch, in diesem Maße zu selektieren", erklärt zwar Christian Pfeiffer. Eine Vorschrift gibt es diesbezüglich allerdings nicht. Claudia Widmaier schreibt auf Anfrage: "Von wenigen Ausnahmen abgesehen besteht (...) grundsätzlich die Verpflichtung, Kassenpatienten zu behandeln." Sie dürfen also nicht willkürlich von der Behandlung ausgeschlossen werden." Der Arzt muss die Ablehnung der Krankenkasse gegenüber begründen - es reicht allerdings, die Aus- oder Überlastung der Praxis mitzuteilen. Und das liegt ja wiederum in der Einschätzung des Arztes.
Beim dritten Arzt hatte Kathrin Schöller schließlich Glück - aber auch dort wurde sie gefragt, warum sie sich nicht in ihrem Heimatort oder der unmittelbaren Umgebung einen Hausarzt suche. "Dort gibt es ja noch weniger", sagt die junge Frau - und hofft, dass sie nicht irgendwann chronisch krank wird.