Die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Römerstädter pilgerten zum 70. Mal zum Käppele. Aus der Wallfahrt ist eine enge Stadt-Verbindung entstanden.
Es war nur eine kurze Rede, die Marcela Stankova hielt. Aber ihre wenigen Worte hatten eine enorme Symbolkraft. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Rymarov, dem früheren Römerstadt, hielt ihre Rede in Deutsch. Sie sprach die Festgäste mit "liebe Landsleute" an und sie überbrachte die Grüße der Menschen aus Römerstadt.
Das klingt auf den ersten Blick nicht spektakulär. Aber vor dem Hintergrund der Geschichte markieren Marcela Stankovas Worte, dass nach den schlimmen Zeiten von Krieg und Vertreibung ein neues Kapitel zwischen zwei Städten in Tschechien und Deutschland aufgeschlagen ist, das von Gemeinsamkeit, Zusammenarbeit und Austausch geprägt wird.
Zeils Bürgermeister Thomas Stadelmann bestätigte den Willen zur Kooperation. "Wir blicken gemeinsam in die Zukunft", sagte er beim Festabend der Heimatvertriebenen aus Römerstadt am Samstagabend im Gasthaus "Zeiler Esszimmer". Stadelmann weiter: "Wir sind nah beieinander. Lassen Sie uns weiter Brücken bauen."
Doppeltes Jubiläum
Anlass für das Treffen am Wochenende war ein Doppeljubiläum. Die Römerstädter Wallfahrt zum Zeiler Käppele fand zum 70. Mal statt. Und: Vor 45 Jahren hatte die Stadt Zeil die Patenschaft für diese Wallfahrt übernommen.
Die Römerstädter Wallfahrt geht auf ein Gelübde aus der Pestzeit zurück. Im Jahr 1714 hatten die Bürger in Römerstadt und Umgebung im Altvatergebirge (Mähren) das Versprechen gegeben, alljährlich die Anna-Wallfahrt zum nahe gelegenen Lindenkirchl als Dank für die Errettung vor der Pest zu veranstalten. Nach der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg (1946) war das Lindenkirchl für die Römerstädter nicht mehr erreichbar. Als Ersatz für das Lindenkirchl wählten sie das Zeiler Käppele, um damit die Tradition der Wallfahrt fortzusetzen. Seit 1947 kommen die Heimatvertriebenen des Heimatkreises Römerstadt aus ganz Deutschland nach Zeil - wie auch jetzt wieder am Wochenende.
Vor der Wallfahrt am Sonntagvormittag zur Bergkapelle trafen sie sich zum Heimat- und Festabend. Die Festrede hielt der frühere Zeiler Bürgermeister Christoph Winkler. Zusammen mit Karl Heinz Schübert, dem Kreisobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Kreis Haßberge, und dem Zeiler Heimatforscher Ludwig Leisentritt sowie weiteren Helfern hat er die Geschichte der Römerstädter aufgearbeitet. Dokumentiert wird sie im "Treffpunkt Heimat", der im Dokumentationszentrum "Zeiler Hexenturm" untergebracht ist.
In seiner Festrede blickte Winkler in die Geschichte. Mit vielen Bildern beschrieb er die Vertreibung der Sudetendeutschen als Folge des Zweiten Weltkriegs. In den Jahren nach dem Krieg hatte Zeil, das damals etwa 2500 Einwohner hatte, rund 1000 Heimatvertriebene aufgenommen, die sich im Laufe der Jahre in die Stadt integriert und zu deren Aufbau beigetragen haben.
Unter den Vertriebenen waren auch viele Menschen aus Römerstadt. Sie verteilten sich im Laufe der Jahre über ganz Deutschland. Aber einmal im Jahr kommen sie seit 1947 in Zeil zusammen: zu ihrer Anna-Wallfahrt zum Zeiler Käppele. In Zeil selbst leben nach Einschätzung von Karl Heinz Schübert aktuell noch fünf Vertriebene aus Römerstadt.
Die Zahl der Teilnehmer an der Wallfahrt sinkt seit Jahren, weil viele der Vertriebenen inzwischen gestorben sind und die Nachfolgegenerationen weniger Interesse an dieser Tradition haben. Anfangs waren noch 1000 bis 2000 Römerstädter gekommen. Am Wochenende waren es noch einige Dutzend. Christoph Winkler stellte daher die Frage, wie es mit der Wallfahrt weitergehen wird. Die Antwort gab sein Nachfolger: "Wir werden daran arbeiten, dass wir diese Wallfahrt erhalten", versprach Thomas Stadelmann.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 haben sich neue Möglichkeiten in den Beziehungen über die Landesgrenze hinweg eröffnet. Delegationen aus Zeil reisten nach Rymarov. Tschechische Besuche in der Stadt am Main folgten. Zeil und Rymarov vertieften ihre Verbindung. Sie gipfelte 2014 darin, dass beide Städte eine offizielle Partnerschaft besiegelt haben. "Wer hätte das vor 70 Jahren gedacht?", fragte der Festredner Christoph Winkler in die Runde.
Nach seiner Erfahrung und auch nach der Einschätzung von Karl Heinz Schübert klappen der Austausch und die Zusammenarbeit auf Ebene der beiden Städte - und vor allem zwischen den Menschen. Es gebe das gegenseitige Verstehen der Situation des jeweils anderen, sagte Winkler. Die große Politik vermöge das bisweilen nicht, bedauerte der frühere Zeiler Erste Bürgermeister.
Die guten Beziehungen zwischen Zeil und Römerstadt brachte Martin Dzingel mit folgendem Satz zum Ausdruck. "Ich fühle mich hier zuhause", sagte der Präsident der Landesversammlung der 22 deutschen Vereine in Tschechien. Seine Organisation bemüht sich nach seinen Worten, die deutsche Kultur und Sprache in Tschechien zu erhalten. Bei den Partnerschaften zwischen Städten aus Deutschland und Tschechien spiele die Vereinigung eine wichtige Rolle, und sie initiiere viele Projekte, vor allem auch mit Jugendlichen.
Ein gemeinsames Projekt wollen Zeil und Römerstadt in naher Zukunft umsetzen. Das städtische Museum in Römerstadt und der "Treffpunkt Heimat" in Zeil kooperieren. In der Form, dass das Museum in Rymarov die Geschichte der Vertriebenen aufnimmt. Dazu trafen Zeil und Rymarov eine Vereinbarung am Wochenende. In der permanenten Ausstellung im Museum Römerstadt sollen folgende Kapitel dargestellt werden: Erfahrungen der deutschen Bevölkerung in der Zeit des Zweiten Weltkrieges sowie der Vorkriegszeit, inklusive deren Exil; Erfahrungen der sudetendeutschen Bevölkerung in der amerikanischen Besatzungszone; Erfahrungen der Sudentendeutschen in der Bundesrepublik und dem heutigen vereinten Deutschland; zeitgenössische Erfahrungsberichte und Informationen zur aktuellen Situation sowie der jüngsten Geschichte.
Die Vertreibung als Folge des Zweiten Weltkrieges
In mehreren Wellen hat die Regierung der Tschechoslowakei nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Deutschen aus dem Sudetenland vertrieben. Rund drei Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Dabei kamen rund 240 000 Flüchtlinge ums Leben. Allerdings ist diese Opferzahl umstritten, weil es verschiedene Definitionen über die Begriffe zur Vertreibung gibt. Ursache für die Vertreibung war die brutale Gewaltherrschaft der Nazis in den Kriegsjahren in der 1939 annektierten Tschechoslowakei, nachdem bereits 1938 die sudetendeutschen Gebiete dem Deutschen Reich angegliedert worden waren.
Rund 250 000 Deutsche durften (oder mussten) nach Ende des Krieges in der Tschechoslowakei bleiben und wurden nicht vertrieben. Dafür gab es drei Gründe: Das waren Personen, die auf ihren Arbeitsstellen nicht ersetzt werden konnten. Das waren Männer oder Frauen in Mischehen. Und das waren Gegner oder Opfer des Nazi-Regimes.
Heute leben in Tschechien etwa 40 000 Deutsche. Diese Zahl nannte Martin Dzingel unserer Zeitung. Er ist der Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine in der tschechischen Republik. Die Deutschen sind, wie er in Zeil darstellte, in Tschechien als Minderheit anerkannt. Nach seinen Angaben gibt es 22 deutsche Vereine mit 7000 Mitgliedern unter dem Dach der Landesversammlung. Martin Dzingel ist Jahrgang 1975. Er stammt aus dem Raum Römerstadt und lebt heute in Prag.
ks