Vom Tante-Emma-Laden zum großen Supermarkt

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Stefan Helmreich in seinem Rewe-Markt in Ebelsbach: die vergangenen Jahre hat sich im Bereich "Ernährung" viel verändert. Eine Low-Carb-Produktlinie "Soulfood" (im Vordergrund) etwa findet guten Absatz, ebenso die Salatbar wird gut angenommen - vor zehn Jahren hätte das kaum funktioniert.Andreas Lösch
Stefan Helmreich in seinem Rewe-Markt in Ebelsbach: die vergangenen Jahre hat sich im Bereich "Ernährung" viel verändert. Eine Low-Carb-Produktlinie "Soulfood" (im Vordergrund) etwa findet guten Absatz, ebenso die Salatbar wird gut angenommen -  vor zehn Jahren hätte das kaum funktioniert.Andreas Lösch

Im Gespräch: Stefan Helmreich, Rewe-Chef in Ebelsbach, und Gerhard Meyer, der in Zeil, Haßfurt und Obertheres Edeka-Supermärkte betreibt.

Man findet ihn kaum mehr heutzutage, aber jeder kennt ihn noch, den "Tante-Emma-Laden". Es gab einst in fast jedem Dorf einen. Großes Parkplatzangebot? Nicht nötig. Die Dorfbewohner liefen hin und besorgten sich, was sie brauchten. Lebensmittel, Haushaltswaren, vielleicht noch Lottoschein ausfüllen, kurz mit den anderen Kunden plauschen. 80 Quadratmeter Verkaufsfläche, überschaubares Angebot, da die Butter, da die Milch, an der Kasse Bonbongläser und Schachteln mit Lakritz.

Heute: über 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche im Supermarkt, 15 Sorten Butter, streichzart, fettarm oder salzig, Milch mit wenig oder viel Fettanteil, Milch aus Soja, Milch für 1,20 Euro und Milch für 50 Cent. Süßigkeiten gibt es an der Kasse immer noch.

Es ist eine Entwicklung, die sich letztlich immer am Kaufverhalten der Kunden und deren Kaufkraft orientiert, wie der Handelsfachwirt Stefan Helmreich erklärt. Und die gerade im ländlichen Raum auch mal wieder in die andere Richtung schlägt: In vielen kleinen Dörfern, die "Weg vom Schuss" sind, also dem nächsten kommunalen Zentrum etwas ferner und schlecht angebunden, entstanden in den vergangenen Jahren sogenannte Dorfläden - sie kommen mit unter 100 Quadratmetern Verkaufsfläche und Artikeln des täglichen Grundbedarfs den früheren Tante-Emma-Läden am nächsten. Oft werden sie beliefert vom nächstgelegenen Supermarkt, der seine Waren über genossenschaftliche Einkaufsverbünde wie etwa die Edeka- oder Rewe-Gruppe bezieht - was es den kleinen Läden überhaupt erst ermöglicht, mit einigermaßen konkurrenzfähigen Preisen zu kalkulieren.

Helmreich ist Chef des Rewe-Einkaufsmarktes in der Bahnhofstraße in Ebelsbach. Der Blick in diesen modernen Supermarkt (etwa 2200 Quadratmeter Verkaufsfläche) verrät: Es gibt dort Waren, die diese Tage als Verkaufschlager rangieren, von denen man vor zehn Jahren bestenfalls als Reformhauskunde wusste, dass sie überhaupt exisitieren. "Gesunder Lifestyle" ist so ein Trend, den die Einzelhändler in ihren Verkaufsregalen abbilden müssen, wie Helmreich sagt. Wer nicht erkennt, was der Kunde will, ist schnell abgehängt. Denn für die meisten, mobilen Kunden bieten sich in ihrem Umkreis mehrere Einkaufs-Alternativen - dann wandern sie ab. Wie erkennt man aber solche Trends? Sagt der Chef dann einfach: "Ach, das würde mir schmecken, das nehme ich ins Sortiment!"? - Helmreich lacht, würde er das machen, er könnte glatt zuschließen. Er achte bei der Sortimentzusammenstellung auf mehrere Dinge, die ihm verraten, was angesagt ist und was nicht. Zum einen ist da die Rewe-Gruppe, die als großer Händlerverbund Großmengen einkauft und an die Supermärkte weitergibt, das Rewe-Franchise liefert auch Designs, Produktempfehlungen und -vorgaben sowie Marketingkampagnen und dergleichen. Zudem gibt es die Lieferanten, mit denen Helmreich immer im Gespräch ist und die ihm Informationen darüber weitergeben, was diese Tage angesagt ist. Und da ist noch der Kunde selbst: Verkaufszahlen sprechen immer für sich.

Zwei große (stabile) Trends der vergangenen Jahre waren laut Helmreich die Bereiche gesunde Ernährung und regionale Produkte. Kunden greifen zum Beispiel gerne nach Äpfeln aus der Heimat, die Herkunft ist auf den Angebotsschildern vermerkt. Manchmal reicht dem Kunden auch, wenn "aus Franken" auf der Packung steht; die Tomaten etwa - mögen sie auch teurer sein als die holländischen. Entscheidend seien freilich nach wie vor Qualität, Geschmack und Preis, nur "regional" allein funktioniert nicht. Aber für die Gewissheit, ein gutes Produkt zu erhalten, das einem regionalen Erzeuger ein Auskommen bietet, geben die Kunden gerne Geld aus. Dann gibt es Entwicklungen, die Helmreich nie hätte voraussehen können, wie er sagt. Im Bereich "gesunde Ernährung" liefern sich Produkthersteller einen Wettbwerb und viele Trends werden bestimmt von Kampagnen aus der Fitness- und Abnehmindustrie: Proteinriegel mit wenig oder keinem Zucker, Low-Carb-Produkte (wenig Kohlenhydrate), gluten- und lactosefreie Produkte. Jüngst etwa hat Helmreich eine Produktlinie "Soulfood" in sein Sortiment aufgenommen, wieder so ein Trend. Backmischungen sind darunter, aus denen sich "Weißbrot" herstellen lässt, das ohne Weizenmehl auskommt. Die Zutatenliste liest sich dann so: Kokosmehl, Flohsamenschalen, Eiklarpulver aus Freilandhaltung... - der Preis für die Backmischung beträgt fast 8 Euro, man erhält daraus knapp 500 Gramm Brot. Helmreich zuckt mit den Schultern: Solche Aritkel verkauften sich gut, auch wenn ihm die Zutatenliste in Verbindung mit dem, was er unter Weißbrot versteht, Rätsel aufgibt.

Diese Art von Trends zu erkennen und bedienen und auf Kundenwünsche einezugehen, ist elementar in der Branche. Sehr erfolgreich in diesem Bereich ist auch Gerhard Meyer. Er ist beim Rewe-Konkurrenten Edeka (Edeka ist abgeleitet aus der Abkürzung E.d.K und steht für "Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler"), aber bei beiden großen, konkurrierenden Vollsortimentern finden sich ähnliche Produkte und Konzepte.

Die Entwicklung von kleinflächigen Grundversorgern hin zum großen Supermarkt hat Meyer in der eigenen Berufslaufbahn miterlebt. "Ich habe ja selbst mit einem kleinen Laden angefangen", sagt er. "Kleine Verkaufsfläche, kleines Sortiment." Mittlerweile hat der in Zeil wohnende Einzelhändler vier Supermärkte aufgebaut, der größte steht in Haßfurt Godelstatt undzählt 2700 Quadratmeter Verkaufsfläche, zwei weitere Edeka-Märkte betreibt er in Zeil und Obertheres sowie den Kupsch-Markt in der Haßfurter Innenstadt, einer der letzten "Nahversorger": Innenstadtbewohner kommen oft mit dem Fahrrad oder zu Fuß und schleppen volle Körbe heim, ganz im Gegensatz zu den heute üblichen Supermärkten in den städtischen Außenbezirken (oft Gewerbegebiete oder extra für den Einzelhandel geschaffene Flächen), wo die Menschen vollgeladene Einkäufswagen über den Parkplatz schieben und ihre "Beute" in den Kofferraum packen.

Wie Helmreich und Meyer den Supermarkt der Zukunft sehen? Schwer zu sagen, finden beide. Meyer sagt, als Vollsortimenter müsse man immer eine Bandbreite an Produkten im Sortiment haben, um die Bedürfnisse verschiedener Kunden abzudecken. Automatische Kassen? Möglich, aber nicht zwingend. Letztlich wieder eine Frage, die der Kunde indirekt mitenscheidet: Wieviel Geld ist er bereit auszugeben? Meyer nennt das Beispiel der ersten Selbstbedienungsmärkte, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkamen, Selbstbedienung ist mittlerweile längst grundlegend im Einzelhandel: "Die meiste Arbeit machen Sie als Kunde", sagt Meyer. Also hinfahren zum Laden, die Ware aus den Regalen nehmen, sie zur Kasse bringen. Würde ein Angestellter die Kunden bedienen, würde sich das im Preis bemerkbar machen, denn die Personalkosten spielen bei den Preiskalkulationen eine Rolle. Das zeige sich am aktuellen Beispiel im Lebensmittelhandel, wo deutschlandweit durch verschiedene Anbieter versucht werde, Heimlieferservices aufzubauen. "Es gibt im Moment in Deutschland keinen, der mit der Lieferung von Lebensmitteln Geld verdient", sagt Meyer. Gemeint sind alltägliche, frische Lebensmittel. Die Kühlkette aufrechterhalten ist sehr aufwändig, zudem ist es hier umgekehrt, der Kunde kommt nicht in den Laden und nimmt, was er braucht, sondern er sagt, was er braucht, jemand muss die Bestellung bearbeiten, verpacken, ausliefern undsoweiter. Das klassische Ladengeschäft wird also sicher noch eine Weile weiter bestehen. Und geht die Entwicklung dahin, dass man bald an sieben Tagen die Woche einkaufen kann, von 7 bis 22 Uhr, wie schon in anderen Ländern wie England oder Spanien der Fall? "Ich hoffe nicht, da bin ich dagegen", sagt Helmreich. "Den Ruhetag braucht man."