Schicksal Der Asylbewerber Uchenma Umezurulke lebt in Lichtenfels. An Weihnachten wird er erstmals seinen Sohn sehen. Das zu ermöglichen, ist nicht ganz einfach, denn Asylbewerber unterliegen der Residenzpflicht.
von unserem Mitarbeiter markus häggberg
Lichtenfels — Mittwoch, 17. Dezember 2014 - der Mann, der während der Lebensmittelausgabe gegen 15 Uhr den Schnäppchenmarkt betritt, lebt in einem Irrtum. Er weiß es noch nicht. Zumeist sind Menschen enttäuscht, sobald sie ihre Irrtümer erkennen. Seiner aber wird ihn zu Freudentränen rühren. Uchenma Umezurulke hat viel mitgemacht im Leben. Er freut sich auf Weihnachten, denn er wird erstmalig seinem Sohn begegnen.
Rückblende: Seine Mutter sei bei seiner Geburt gestorben, erzählt der Mann aus Libyen. Das war sein Start ins Leben. Der Libyer kramt seine Papiere hervor. Sie sind beschädigt, so wie das Leben, von dem sie in Eckpfeilern künden. Staatsangehörigkeit libysch, Eltern nigerianisch, geboren am 8. Dezember 1980. Es ist ein besonderes Datum, dieser 8. Dezember 1980, es ist John Lennons Todestag.
Diesen Namen hat Umezurulke nie gehört, er hatte überhaupt kaum Kontakt zur westlichen Welt.
Bis zum Jahr 2011. Ab da geriet seine Welt aus den Fugen, denn was unter der Bezeichnung "Arabellion" in die Geschichtsbücher eingehen mag, griff auch in seinem Land um sich. Und Gaddafis Truppen griffen nach ihm. Tränen kullern über seine Wangen, wenn er an dieses 2011 zurückdenkt. Der Mann streift sein T-Shirt zur Seite und gibt den Blick auf eine beschädigte Schulter frei. Mit Eisenstangen habe man ihn zu rekrutieren versucht, gefoltert, durch die Backe gestochen. Während dieser Zeiten wird seine Frau Lovett Tochter Florine zur Welt bringen. Gebrochen wirkt der 34-Jährige nicht, verloren aber doch. Jetzt steht er hier, ein Christ aus dem arabischen Afrika in einem Lichtenfelser Dezember. In einem hiesigen Asylbewerberheim ist der Mann aus Libyen untergebracht und an Weihnachtsstimmung ist bei ihm nicht zu denken.
Frau und Kinder leben woanders, Weihnachten ohne sie ist traurig.
Der Weg nach Lichtenfels Es ist laut im Schnäppchenmarkt. Am heutigen Tag wird Essen an sozial schwache Menschen für einen geringen Unkostenbeitrag ausgegeben. Babylonisches Sprachengewirr. Die Menschenstehen Schlange für Lebensmittel. Ukrainer, Äthiopier, Syrer, Tadschiken - und eben auch der Libyer aus dem Süden von Tripolis. Beisammen geblieben ist seine Familie in diesem unübersichtlichen Geschehen nicht, sie hat sich aufgeteilt: Er kam über die Stationen Dortmund und München nach Lichtenfels, seine Frau hingegen hat ein Kind in Moers zur Welt gebracht und lebt nun in Duisburg. Es ist sein Kind und drei Monate alt.
Kani heißt der Junge, der von seinem Vater noch nie gesehen wurde. "Vor zehn Monaten habe ich meine Frau zum letzten Mal gesehen", erzählt der ehemalige Bäcker in gutem Englisch.
Als er das ausspricht, nimmt er Anlauf für die neuerliche Hürde, von der er glaubt, dass das Leben sie ihm stellt. Seit geraumer Zeit quält ihn der Gedanke, dass er, um Weihnachten bei seiner Frau und seinen Kindern verbringen zu dürfen, einen Vaterschaftstest machen muss. 2000 Euro soll ein solcher kosten, aber das Geld hat er nicht.
Hilfe von der Sozialpädagogin So lange er nicht nachweisen kann, der Vater des kleinen Keni zu sein, dürfe er den Landkreis nicht verlassen. Noch dazu soll ihm der Vaterschaftstest berechnet werden. Das ist sein Kenntnisstand in dieser Angelegenheit, aber der ist nicht ausreichend präzise informiert. Vielmehr ist er ausreichend nervlich bedient. Doch, es stimme schon, pflichtet die Sozialpädagogin Beate Ehl bei, als sie von einer "Residenzpflicht" spricht, der Asylbewerber häufig unterliegen.
Die diplomierte Sozialpädagogin der Caritas hat seit drei Jahren schon so manchen Mittwoch hier zugebracht, um Asylberatung anzubieten und sozial schwachen Mitmenschen Behördengänge zu erleichtern.
Sehnsucht nach Zusammensein Es ist für Asylbewerber nicht möglich, ohne genaue Beleuchtung und Erfassung von Lebensumständen oder Verwandtschaftsverhältnissen Landkreisgrenzen zu verlassen. Das weiß Beate Ehl, das weiß auch Uchenma Umezurulke und es macht ihn traurig. Denn es wird Weihnachten werden und er wird nicht bei seiner Frau sein, nicht bei Florine und nicht bei Kani. Das hält er sich seit Wochen quälend vor Augen.
Aber der Mann irrt und das seit Wochen. Ja, die Pflicht zum Vaterschaftstest besteht. Von dieser kann er nicht entlastet werden, aber ein solcher Test steht im Zusammenhang mit einem gänzlichen Verziehen nach Duisburg.
Einen längeren Weihnachtsbesuch bei seiner Frau und seinen Kinder berühre das nicht, so die Sozialpädagogin plötzlich aufhorchend. Noch während sie sich im Gespräch mit einem Klienten befand, kam ihr der Fall des drei Meter entfernt stehenden Libyers zu Ohren. Seinen Irrtum klärt sie auf und erzählt davon, dass er für einen bloßen Weihnachtsbesuch in Duisburg keinen teuren Vaterschaftstest machen müsse - der stehe auf einem anderen Blatt. Lediglich ein Ticket nach Duisburg und eine hiesige behördliche Genehmigung benötige er. "Für Weihnachten - das kriegen wir auf die Reihe!", erklärt die patente Sozialpädagogin und zwinkert dem Mann Mut zu. Sie nennt sich "einen Behördenwegweiser" und hat Einfluss. Ihre Aufmunterung zeigt Wirkung im Gesicht, denn eine hoffende Vorfreude beginnt ungläubiges Erstaunen abzulösen - Uchenmar Umuzerulke lächelt und weint doch. Seine Weihnacht wird schön werden.