Kann dieses Gefühl der Hilflosigkeit zu ernsthaften, gesundheitlichen Folgen führen?
Durch die aktuellen äußeren Belastungsfaktoren kann das Risiko für anfällige und vorbelastete Menschen zunehmen, dass eine psychische Krankheit ausgelöst oder verstärkt wird. Die häufigsten sind Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen, durch die auch das Risiko für Selbsttötungen zunehmen kann.
Das klingt ja furchtbar. Was empfehlen Sie, um gegenzusteuern?
I m Grunde ist alles gut, was den negativen Stress reduziert und das Immunsystem stärkt. Erlaubt ist ja weiterhin, sich alleine oder mit einem Familienangehörigen in der Natur an der frischen Luft zu bewegen, wo man ja auch kaum jemandem begegnet. Insofern ist dies gesund und sicher, reduziert den Stress-Level, hilft auf andere Gedanken zu kommen und verbessert die Lungenfunktion. Mit dem Sonnenlicht wird Vitamin D produziert, was das Immunsystem stärkt (kann zusätzlich als Tablette eingenommen werden).
Sich zu Hause im Familienkreis in den Arm zu nehmen und Körperkontakt zu pflegen, führt zu Oxytocin-Ausschüttung (Kuschelhormon), was das Stresshormon reduziert und die Stimmung verbessert. Wenn man zusammenlebt, lässt es sich ja eh nicht vermeiden, sich gegenseitig anzustecken, insofern kann man das ruhig tun.
Wer jetzt mehr Zeit hat durch Kurzarbeit oder Homeoffice kann sich überlegen, etwas zu tun, wofür sonst nicht so viel Zeit bleibt: ein Buch lesen, ein Musikinstrument spielen, sich gegenseitig eine Massage geben, mit den Kindern spielen, sich mit dem Haustier beschäftigen - das ist allemal besser, als sich den ganzen Tag mit Corona zu beschäftigen, was nur den negativen Stress verstärkt. Einmal am Tag reicht doch vollkommen aus.
Denn der Mensch tut sich sehr schwer, Risiken richtig einzuschätzen. Das Hirn glaubt, je mehr Angst ich habe, desto gefährlicher ist das Problem. Man sollte also alles unterlassen, was dazu beiträgt, dass man sich hineinsteigert. Besonders gefährlich ist da das Internet.
Wie lange hält ein Mensch (im Durchschnitt) so eine Situation aus?
Die meisten Menschen dürften psychisch stabil genug sein, so eine Situation einige Monate auszuhalten (auch wenn sie für uns ziemlich ungewohnt ist), solange sie darin einen Sinn sehen und die Grundversorgung sichergestellt ist.
In Kriegsgebieten und von Hungersnöten heimgesuchten Regionen haben die Menschen wesentlich gravierendere Probleme und müssen damit oft jahrelang irgendwie zurechtkommen. Sich dies vor Augen zu halten, kann helfen, die Situation etwas zu relativieren.
Für die Menschen, die durch die Maßnahmen beruflich und wirtschaftlich existenziell bedroht werden, wird es natürlich immer schlimmer, je länger das ganze dauert. Für die ist es eine große Herausforderung, damit klarzukommen und im günstigen Fall Chancen für einen Neuanfang zu erkennen.
Wer dem Ganzen etwas Positives abgewinnen kann - die Luftverschmutzung wird ja zum Beispiel weniger- , für den spielt die Dauer dieser Ausnahmesituation keine so große Rolle.
Das Interview führte
Heike Paulus