Alltagsgeschichten Eine Tageszeitung soll ihre Leser in erster Linie informieren.Nicht nur über Politik, Sport oder Wirtschaft - das beweist diese Geschichte. Über einen Zeitungsartikel wurde eine Bamberger Familie nach 50 Jahren vereint.
von unserem Redaktionsmitglied Sarah Dann
Weichendorf — Ziemlich exakt vor 50 Jahren sahen sie sich zum letzten Mal: Ingrid und Ida, Großnichte und Großtante. Darauf folgten familiäre Turbulenzen aus vergangenen Generationen, sodass man sich aus den Augen verlor.
Wer war wohin gezogen? Wie hatten sich die Lebensumstände verändert?... "Ich wusste ja nicht mal, ob sie noch lebt", sagt Ingrid. Die Familien-Mitglieder teilen zwar gerne ihre Freude am neu gefundenen Beisammensein, möchten aber lieber nur mit ihren Vornamen in der Zeitung stehen.
Bamberger Familien-Stammbaum Niemand wusste vom Anderen, nicht einmal, ob er noch in Bamberg wohne. Und das obwohl beide Frauen gebürtige Bambergerinnen sind. Die Rede ist von einer Großtante und ihrer seit 45 Jahren verheirateten Großnichte mit Ehemann.
Da musste erst der Fränkische Tag direkt nach Neujahr erscheinen und über eine Auszeichnung der Telekomgewerkschaft für langjährige Mitgliedschaft berichten.
Die regionale Tageszeitung gehört bei beiden Haushalten dazu, ob in Weichendorf bei Memmelsdorf oder direkt in Bamberg. Auch wenn in der Stadt nicht immer ganz zur Zufriedenheit der älteren Dame geliefert wird. Denn sie würde sich wünschen, dass die Zeitung ganz in den Briefkasten gesteckt wird, damit sie auch bei Regen noch lesbar ist.
Ein kleiner Zeitungsbericht Jedenfalls, an jenem Neujahrswochenende muss es sich in etwa so bei Ingrid und Wilhelm zu Hause zugetragen haben: Ingrid blätterte durch die Wochenendausgabe des FT, las mal hier einen Artikel, überflog dort den nächsten. Auf der "Bei uns zu Hause"-Seite fiel ihr ein Artikel besonders ins Auge.
Ingrid, die vor 30 Jahren mit ihrer Familie nach Weichendorf gezogen war, entdeckte in einem Artikel ihren Mädchennamen. Es ging um eine "quicklebendige Rentnerin", die für 60 Jahre Mitgliedschaft im Ortsverband der Telekom Bamberg ausgezeichnet wurde. Ein relativ kleiner, unscheinbarer Artikel - der ihrem Ehemann erst gar nicht beim Zeitungslesen aufgefallen war - machte Ingrid nervös, ja hoffnungsvoll.
Nach der ersten Aufregung wurde schnell das Telefonbuch durchsucht. Und: die Eheleute wurden fündig. "Alles andere ging wie im Film", erinnert sich Wilhelm J. Er war es schließlich auch, der zum Telefonhörer griff. Seine Ehefrau traute sich anfangs nämlich gar nicht recht, die Aufregung war zu groß.
Geschichten, die lange her sind Noch am selben Tag, "ach in den nächsten Stunden", sagt Wilhelm, ging es ganz schnell.
"Ich wurde gar nicht lange gefragt", schmunzelt Ida, "um zwei Uhr hat Wilhelm mich angerufen, um drei Uhr saß ich schon zum Kaffeetrinken hier in Weichendorf auf dem Sofa." Auch wenn Ingrid noch ein Kind und Ida eine junge Frau beim letzten Treffen gewesen waren, "wir waren uns nicht fremd oder distanziert, wir haben uns auf Anhieb gut verstanden", sagt Ingrid.
Langer Tag Seit Anfang der 70er-Jahre war Ida davon ausgegangen, keine direkte Verwandtschaft mehr in der Nähe zu haben. "Da fühlt man sich schon alleine", sagt sie. Keine Frage, dass es so viele Jahre später viel zu erzählen gibt. Beim ersten Treffen gleich so viel, dass die Zeit mit Kaffee, Plätzchen und fränkischen Bratwürsten noch zu knapp war.
"Erst spät am Abend brachte ich die sichtlich gerührte, aber auch sehr glückliche Großtante wieder zurück nach Bamberg", sagt Wilhelm.
Eine Fortsetzung der Begegnungen, das Versprechen lebenslang zusammenzuhalten und sich von nun an zu helfen, war ihr persönliches Resultat nach dem Wiedersehen. "Vielleicht finden wir eine Regelung, dass wir uns zum Beispiel immer in der ersten Woche im Monat treffen", schlägt Ingrids Ehemann vor. Schließlich ist eine Familienvereinigung nicht nur Glück, sondern auch eine Aufgabe.
"Wer immer von Familie umgeben ist, kann das gar nicht so schätzen. Da weiß man oft nicht, was Familie bedeutet", sagt Ida. Zu der Verbindung zu ihrem Schwager kommt jetzt noch eine Blutsverwandtschaft. Und in den Wochen, in denen sie sich nicht sehen können, wird über das Internet Kontakt gehalten. E-Mail-Schreiben gehört für die über 80-Jährige nämlich schon lange zum Alltag dazu.