Kleinode unterhalb der Fensterbank

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"Befiehl dem Herrn Deine Wege" steht in Latein auf der linken Fensterschütze eines Hauses in Gössenreuth, und "Glücklich ist, wer sich den Armen und Elenden erbarmt" auf der rechten. Foto: Stephan Stöckel
"Befiehl dem Herrn Deine Wege" steht in Latein auf der linken Fensterschütze eines Hauses in Gössenreuth, und "Glücklich ist, wer sich den Armen und Elenden erbarmt" auf der rechten. Foto: Stephan Stöckel
 

So schön wie wertvolle Brokatstickereien, aber nach wie vor auch geheimnisvoll: Brigitte Tausch weiß, warum es im Raum Kulmbach so viele schmucke Fensterschürzen gibt.

Nicht nur Hausfrauen, Köche und Handwerker tragen Schürzen, sondern auch Fenster. Die Fensterschürze ist ein mitunter reich verziertes, rund ein Quadratmeter großes Brüstungsfeld unterhalb der Fensterbank. Diesen Baustil findet man im 18. und 19. Jahrhundert fast ausschließlich an Herrschaftsbauten und hochbürgerlichen Stadthäusern.
Reich an diesen außergewöhnlichen Schmuckformen ist das Gebiet der früheren Markgrafschaft Kulmbach-Bayreuth. Sie wartet mit einer regionalen Besonderheit auf: Hier entwickelten sich vor allem an Bauernhäusern viele Spielformen an Fensterschürzen. Um diese ranken sich viele Geheimnisse. Brigitte Trausch aus Bayreuth brachte auf Einladung des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing im Martin-Luther-Haus ein bisschen Licht ins Dunkel, doch vieles blieb auch nach ihrem interessanten Lichtbildervortrag im Unklaren. "Vieles ist unerforscht. Deshalb beruht etliches, was ich Ihnen heute erzähle, auf Mutmaßungen", eröffnete die Referentin ihren Vortrag.


"Hochburg" Dreschenau

Einige der Häuser stehen leer oder sind dem Verfall preisgegeben. Die Expertin, Vorsitzende des Vereins "Rettet die Fachwerk- und Sandsteinhäuser", bezifferte die Zahl der Bürger- und Bauernhäuser mit solchen Fensterschürzen auf 60. Allein im Neudrossenfelder Ortsteil Dreschenau finde man 20 solcher Schmuckformen. "Ihren Ursprung haben die Fensterschürzen in Bayreuth. Durch die Zusammengehörigkeit von Bayreuth und Kulmbach in der früheren Marktgrafschaft greift das Phänomen auch auf Orte über, die heute im Landkreis Kulmbach liegen."
Die ersten, noch in schlichter Form gehaltenen Fensterschürzen gab es 1750 in Bayreuth. Damals wirkte der französische Baumeister St. Pierre unter Markgräfin Wilhelmine. Die Schmuckfassade am Kulmbacher Rathaus stammt aus seiner Feder. Das Neue Schloss in Bayreuth, an dem sich viereckige Schürzen befinden, wurde unter seiner Leitung gebaut. Davon ausgehend gibt es zwei Mutmaßungen. Die eine bezieht sich darauf, dass die Schürze das Erkennungszeichen der Freimaurer ist. "Man nimmt an, dass sich in den Schürzen Symbole dieser Bewegung widerspiegeln, die aus Steinmetzbruderschaften hervorgegangen ist. Steinmetze trugen bei der Arbeit einen Schurz. Sie waren es, die die Fensterschürzen entworfen haben", erläuterte die Rednerin. Da St. Pierre ein Franzose war, hielt es die Referentin aber auch für denkbar, dass die Schürzen auf Prozessionstücher zurückgehen, die man im katholischen Frankreich aus dem Fenster gehängt habe. "Anschließend wurden Fensterschürzen aus Stein gemeißelt", sagte sie.
Die Tatsache, dass in Trebgast und in Benk bei Bindlach kostbarer und feinkörniger Sandstein abgebaut wurde, ist für Trausch ein wesentlicher Grund für die weite Verbreitung der Fensterschützen in der Markgrafschaft. Um gesehen zu werden, befinden sich die künstlerischen Kleinode vorwiegend zur Straße hin und überwiegend auf der Giebelseite. "Sie sind mitunter so schön wie wertvolle Brokatstickereien", schwärmte die Rednerin. Ob grüne Zweige der Hoffnung, pausbäckige Engelchen, bäuerliche Motive, religiöse Sprüche oder Musikinstrumente - keine Fensterschürze gleicht der anderen. Eine ganz besondere befindet sich im Himmelkroner Ortsteil Gössenreuth. "Befiehl dem Herrn Deine Wege" steht dort auf der linken Fensterschütze eines Bauernhauses. "Glücklich ist, wer sich den Armen und Elenden erbarmt" auf der rechten. "Das ist merkwürdig. Lateinische Inschriften sind nämlich typisch katholisch. Gössenreuth aber ist evangelisch", stellte Trausch fest.