Über einhundert Jahre lang übernahmen die Bewohner des "Doppelshauses" den Läutdienst in Haßlach. Anfang Februar wurde der Sandsteinbau jedoch abgerissen.
Einst dominierte das Doppelshaus nicht nur architektonisch das Haßlacher Dorfgeschehen. Das Läuten der Gebetsglocke ließ die Bewohner sogar beim Stammtisch innehalten. Nun wurde der zweigeschossige Sandsteinquaderbau mit Halbwalmdach in der Orlamünderstraße 1 (frühere Dorfstraße 17) zwischen dem 4. und 8. Februar 2019 abgerissen. Damit ging unwiderruflich ein Stück Haßlacher Ortsgeschichte verloren. Denn in diesem Gebäude, das Schneidermeister Martin Doppel (1805-1862) im Jahr 1834 erbauen ließ, übernahmen die Bewohner von Generation zu Generation den Läutdienst.
Auf dem Halbwalmdach befand sich ein stattlicher Turm, dessen Glocke dreimal täglich zum Gebet rief. Und die Haßlacher nahmen diesen Aufruf sehr ernst. Auch beim Tod eines Bürgers ertönte das Glöcklein zum Gedenken. Jedes Jahr dankten die Familien mit einer Spende dem Besitzer des Hauses Nr. 17 für den Läutdienst, zunächst mit acht Kreuzern, dann mit 30 Pfennigen. Ab 1921 bewilligte die Gemeinde dem "Glöckla-Moo" 100 Mark.
Beten wichtiger als Kartenspielen
Wenn sich die Haßlacher gegen 18 Uhr im Gasthaus "Detsch" einfanden, bat der streng gläubige Wirt Johann Detsch (1894-1967) beim Glockenläuten ganz energisch "Zum Gebet!". Dann ruhten für einige Minuten Kartenspiele und Gespräche. Auch heute wird dies noch im Flößerdorf Unterrodach im Gasthaus Seidel praktiziert.
1957 endete das Glockenläuten aus dem Doppelshaus. Die Glocke fand zunächst im Turm des neuen Feuerwehrhauses eine vorübergehende Bleibe. Die Elektrik ersetzte nun den Handbetrieb. Mit der Einweihung des Gotteshauses St. Johannes im Jahre 1978 wurde das Gebetsglöcklein mit dem markanten Bildnis der heiligen Dreifaltigkeit im Eingangsbereich für alle Kirchenbesucher sichtbar aufgestellt.
Ursprünglich war geplant, das Glöcklein ins Geläut der Kirche zu integrieren. Da es aber beschädigt und eine Reparatur nicht mehr möglich war, erhielt es einen Ehrenplatz in der Kirche. Denn die Verantwortlichen der Gemeinde stellten den historischen Wert über den damaligen Materialwert.
Frühere Besitzer ermittelt
Auf der Glocke ist zu lesen: "1856 - 1920, gestiftet von M. Cacallo, Marg. Doppel, Claus Blinzler." Dank den Forschungsarbeiten von Ortschronist Georg Heinlein konnten die jeweiligen Besitzer des Doppelshauses festgestellt werden: Nikolaus Doppel (1833-1905), Johann Blinzler (1876-1956), Adam Blinzler (1918-1996) und Michael Blinzler, der 1952 geboren wurde.
Bis auf Michael Blinzler arbeiteten alle Besitzer als Bergmänner in den Steinkohlegruben von Stockheim und Reitsch. Lediglich Johann Blinzler war für kurze Zeit als Glasmacher in der Champagnerflaschenfabrik "Sigwart & Möhrle" in Stockheim beschäftigt. In einem Chronikvermerk von 1862 steht dazu: "Die Gemeinde Haßlach besteht meistens nur aus armen Bergleuten, die ihre Kinder im Winter wegen Mangel an nötiger Kleidung oft nicht zur Schule nach Reitsch schicken können."