Wenn man chic essen geht, dann steht dabei ja gerade auch das Gesellige im Vordergrund. Es geht um den Austausch und darum, bei guter Küche wunderbaren Gesprächen beizuwohnen. Auf diese Weise pflegt m...
Wenn man chic essen geht, dann steht dabei ja gerade auch das Gesellige im Vordergrund. Es geht um den Austausch und darum, bei guter Küche wunderbaren Gesprächen beizuwohnen. Auf diese Weise pflegt man bei Kerzenschein eine Kultur des Behagens zwischen Vorspeise und Dessert, zwischen Voltaire und Descartes. Aber so weit muss es ja nicht kommen, es kann auch so geschehen, wie vor wenigen Wochen in einem Lichtenfelser Restaurant.
Da geriet ich bei Tisch nämlich in die Gesellschaft eines Ehepaares. Sie verbeamtet, er seriös. Manchmal, wenn man essen geht, wird einem ja nicht nur das Essen serviert, sondern auch noch die Gesellschaft an den Tisch gesetzt, weil die anderen Tische schon reserviert sind. Nun betrat noch eine Freundin der Beamtin das Restaurant und wie sich herausstellte, war sie eine Beamtenkollegin der Frau. So saßen wir also zu viert beisammen und langsam entspann sich ein Gespräch. Wirklich erst bei der Vorspeise angekommen, ging es bei meinen Tischgenossen um sexuelle Praktiken. Nichts Originelles, alles noch absolut im Rahmen des Üblichen.
Aber so ein bisschen wärmte mir das Zuhören das Herz, denn ich kenne auch verklemmte Beamte, und so war es doch schön zu sehen, dass es diese Volksgruppe auch anders gibt. Bald würde auch der Moment kommen, in dem ich in das Gespräch integriert werden sollte. Darum suchte ich mir vorsorglich ein Thema zurechtzulegen und schwankte dabei noch ein bisschen unsicher zwischen Vielzahl der Neophyten und Woody Allens letztem Film. Aber glücklicherweise wurde in diesem Moment das Wort an mich gerichtet, und das Ehepaar gab das Thema vor.
Es bestand in der Frage, weshalb ich alleine zum Essen gehe und ob ich keine Frau habe. Tatsächlich musste ich einräumen, dass ich derzeit gerade nicht verheiratet bin, dies meinen Appetit auf Vitello Tonnato nebst Pomodoro Mozzarella mit Ricotta-Walnusspesto (Vorspeise), Bruschetta con Gamberone e Fagioli zu Trüffel-Risotto (Hauptgericht) und Tiramisu plus Torta al cioccolata al morbide (Dessert) aber kaum beeinträchtigen würde.
Nun glaubte ich mit diesem Bekenntnis durchzukommen und das Thema wechseln zu können, aber das genaue Gegenteil war der Fall.
So wurde ich gefragt, ob ich derzeit wenigstens eine Freundin oder eine Affäre hätte. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass in diesen Äußerungen ein leiser Vorwurf lag. Auch deshalb, weil seitens des Ehepaars noch die Bemerkung fiel, dass ein Mann meines Alters verheiratet sein sollte. Oder wenigstens Alimente oder Hausraten zahlen. Da saß ich nun und hatte heftige Gewissensbisse, aber was soll ich machen, ich sehe mich derzeit nicht händchenhaltend bei Sonnenuntergang Strandspaziergänge unternehmen. Mir würde schon die Gesamtausgabe aller Columbo-Filme auf DVD genügen. Und das äußerte ich auch, zumindest so ähnlich. Wörtlich sagte ich: "Ich habe bezüglich Beziehungen momentan einfach keine Vision." Einen Moment lang herrschte Stille bei Tisch, dann prusteten meine Tischgenossen los. Wozu man eine Vision brauche, wenn man doch Spaß haben könnte, meinte die Beamtin. "Genau", pflichtete der Seriöse bei. Was die Beamtenkollegin sagte, weiß ich nicht. Sie lag lachend unterm Tisch. Jedenfalls zeigten sich meine Tischbekannten ob meiner Haltung bald bestürzt, und vor allem der Seriöse begann mit dem Lobpreis von Beziehungen. Oder wenigstens Ehen. Wie sich herausstellte, wollte der Seriöse nie im Leben ein Haus besitzen. Nun zahlt er gemeinsam mit seiner Frau auf ihren Wunsch hin eines ab. Mittlerweile war auch die Beamtenkollegin unterm Tisch wieder aufgetaucht und pries mit. Auch sie zeigte sich als vehemente Befürworterin von Beziehungen und brachte vor, dass wir Menschen nur dazu auf der Welt seien, um uns in Beziehungen die Sterne vom Himmel zu holen. Da half es auch nicht, als ich erwähnte, dass, während man mit einem Stern vom Himmel zurücksteigt, vielleicht schon gar nicht mehr erwartet wird. Irgendwie schafften es die drei Mitesser, Beziehungsangst nach Charakterschwäche aussehen zu lassen. Dann lachten wir, aßen auf und bezahlten.
Beim Hinausgehen fiel mir auf, dass die Aktentasche des Seriösen wahnsinnig feminin aussah, und ich sprach ihn darauf an. Um ein Haar wäre er es gewesen, der mir darauf antwortete, dass es das von seiner Frau für ihn ausgesuchte Modell war. Gemeinsam zu speisen ist eine wirklich schöne Sache. Und so erhellend.