In den Flüchtlingsunterkünften ist es laut. Es ist dreckig und riecht unangenehm. Religionen prallen aufeinander und es gibt nur Streit - und das Personal ist überfordert. Vorurteile oder Wahrheit?
Michael Busch
Das Erste, was den Besuchern in der dezentralen Flüchtlingsunterkunft in Herzogenaurach entgegenschlägt, ist der Geruch von frischen Bratkartoffeln. Dazu ein nicht definierbares Gemenge an Gewürzdüften, die vor allem die Eigenschaft haben, den eigenen Magen zum Brummen zu bringen. Hungergefühl stellt sich ein, es ist Mittagszeit. Einer der Flüchtlinge bietet bereitwillig seine Kartoffeln an. Die Gäste, ASB-Geschäftsführer Jürgen Seiermann, die ASB-Mitarbeiterin Carola Pröbstle und der Reporter des Fränkischen Tages, Michael Busch, lehnen dankend ab. Erst einmal dem Duft widerstehen, denn die Aufgabe ist eine andere. In drei Unterkünften, die durch den Arbeiter-Samariter-Bund betreut werden, geht es auf Spurensuche. Es geht darum herauszufinden, was hinter den Kulissen passiert, wie die Mitarbeiter der Rettungsorganisation dort arbeiten.
Aber auch von diesen aus erster Hand zu erfahren, wie das eigentlich ist, mit den Fremden aus den verschiedensten Nationen dieser Welt umzugehen.
Blick hinter die Kulissen
Jürgen Seiermann gibt die Regeln vor: "Sie dürfen alles fragen, Sie dürfen fast überall hinschauen, lediglich der private Raum der Flüchtlinge soll privat sein. Außer Sie fragen und dürfen schauen." Es ist die erste Überraschung, denn immer wieder liest man, dass es an Transparenz mangele. Journalisten dürfen nicht in die Unterkünfte, dürfen nur ausgewählte Mitarbeiter fragen. Fotos sind generell nicht erlaubt. Seiermann bietet das Gegenteil an.
Allerdings gehören die "üblichen Regeln" beachtet. Immerhin sind ja auch Nicht-Flüchtlinge zu fragen, ob sie überhaupt in die Zeitung wollen.
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Menschen in diesen Lagern auch um Personen handelt, deren Familien zum Teil noch in den Heimatländern leben, die unter Umständen weiteren Repressalien ausgesetzt sind, ist es vielleicht gar nicht mehr so überraschend, dass diese auf ein Foto in der Öffentlichkeit gerne verzichten.
So zum Beispiel auch Mussa Abdin aus Dschibuti. Das Land in Ostafrika ist hochgradig unterentwickelt; die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei über 60 Prozent. Das Ein-Parteien-System verfolgt politische Gegner, genau der Grund, warum Abdin nach Deutschland geflohen ist. "Ich möchte gerne Deutsch lernen und eine Ausbildung machen", bestätigt der junge Mann, der fließend Französisch und Arabisch spricht.
Die wenige Zeit, die er bereits in Deutschland verbracht hat, hat gereicht, um einen passablen Wortschatz zu entwickeln, um eigenständig das Leben in die Hand zu nehmen.
Lernwillige Menschen
"Ich hätte gerne einen Intensiv-Deutschkurs", erklärt der 24-Jährige. Doch damit scheitert er letztlich an einer Banalität. Carola Pröbstle erklärt das: "Die Menschen in diesen dezentralen Einrichtungen sollen eigenständig leben. Sie sind im Status der noch nicht anerkannten Flüchtlinge, sollen sich aber letztlich auf ein Weiterleben in Deutschland vorbereiten." Die Sprache werde als wichtiger Schlüssel von allen Beteiligten anerkannt. Und doch gibt es ein Problem: "Wir haben zu wenige Lehrer in diesem Bereich.
Die Flüchtlinge wollen lernen, aber es gibt zu wenige Menschen, die unterrichten." Und Mussa Abdin bräuchte die Sprache, um einen Arbeitsplatz zu finden.
Das ist eines der Probleme, mit denen die Helfer des ASB immer wieder zu kämpfen haben. "Es sind die Ressourcen, die fehlen", erklärt Seiermann. Damit meint er sowohl die menschlichen Ressourcen als auch Material.
Vier ASBler sind zuständig in der Eichelmühlgasse, in der dezentralen Einrichtung. Eine kleine Einheit, denn diese Art der Unterbringung bringt es mit sich, dass es ein verringertes Angebot für die Flüchtlinge gibt. Kein Sicherheitsdienst, keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Hier geht es um die Vorbereitung auf die Zukunft, das Einstimmen auf ein Leben in Deutschland.
Es geht um die Organisation von Sprachkursen, Verwaltungsfragen, Arztgänge und bei einer Anerkennung des Flüchtlingsstatus um die Wohnungssuche.
Diplom-Sozialpädagogin Kerstin Will weiß um die Probleme der Flüchtlinge. Und dass die Bewältigung der Realität alles andere als einfach ist. "Klar sind da Menschen dabei, die schwer traumatisiert sind." Das macht einen Wiedereinstieg in ein normales, geregeltes Leben nicht einfach. Da wird schon mal an die reguläre Arbeitszeit eine Ehrenamtsstunde angeschlossen, um humanitäre Hilfe zu leisten. Oft ist das die Fähigkeit, zuhören zu können.
Lagerkoller nicht ausgeschlossen
Was Will nicht machen muss sei, die Rolle einer Vermittlerin einzunehmen. "Die Nationalitäten verstehen sich gut bei uns.
Es gibt keinen Ärger, weder national noch religiös begründet." Das liege bei der dezentralen Einrichtung aber auch daran, dass es für die Flüchtlinge mehr zu tun gibt. Sie bereiten sich auf die sogenannten Interviews vor, die Gespräche im Erstaufnahmelager in Zirndorf, wo sie erzählen sollen, warum sie nach Deutschland gekommen sind, wie die Situation in der Heimat ist, welche Gefahren ihnen dort drohen. Gespräche, die bis zu drei Stunden dauern können. Je nach Fall.
Außerdem besteht in der Regel keine Residenzpflicht mehr. "In den ersten drei Monaten müssen die Flüchtlinge im Regierungsbezirk bleiben, hier also in Mittelfranken. Dann haben sie die Möglichkeit, auch außerhalb dieses Bezirkes Verwandte und Freunde zu besuchen." Es werden Praktika vermittelt, es werden Arbeitsstellen auf Ein-Euro-Basis gesucht und gefunden.
So richtig Langeweile taucht nicht mehr auf, auch wenn der Lagerkoller nicht ganz ausgeschlossen sei.
Dem treten die Profis des ASB allerdings entgegen. "Die Helferkreise sind für uns in dem Zusammenhang ganz wichtig", erklärt Seiermann. "Hier werden die gesellschaftlichen und sozialen Kompetenzen gefördert." Die Flüchtlinge seien in den Vereinen aktiv, "Sport spielt da eine wichtige Rolle", betont der ASB-Chef.
Im Erstaufnahmelager im ehemaligen Praktiker sieht es allerdings ein wenig anders aus. Sind in der Eichelmühlgasse etwa 40 Menschen untergebracht, können es in der Herzogenauracher Ohmstraße bis zu 500 Menschen werden, maximale Obergrenze. "Zur Zeit sind es 180 Menschen", erklärt Hausleiter Sinan Ilgar. Und er kann bestätigen, was bereits in der ersten Unterkunft festgestellt wurde: "Asyl ist Stress." Das Warten und die eigene Geschichte, kombiniert mit den langen Wartezeiten, ist mentaler Stress.
Deutsch für Anfänger
Im Deutschkurs findet Unterricht statt. Ein ehrenamtlich engagierter Herzogenauracher bringt Erwachsenen und Kindern gleichermaßen wichtige Sätze bei. Kein Geschnörkel, keine unnötigen Worte. Es sind einfache Sätze, die alle wiederholen, peinlichst darauf achten, dass sie keine Fehler machen. "Der Schuh ist zu groß!"; "Das Hemd passt!"; "Der Pulli ist zu klein!" Der Unterricht findet im ersten Stock statt, freiwillig. Lediglich die Kinder werden auch mal gedrängt, den Schulunterricht zu besuchen.
Gleich nebenan ist die Krankenstation. Ismael ist der Dolmetscher im Haus. Mehrere Sprachen machen es ihm leicht, mit den Flüchtlingen zu reden. Aber dafür ist er ein viel gefragter Mann, wie alle, die mit mehreren Sprachen glänzen können. "Ich bin in der Sprechstunde dabei", sagt er. Immer im Wechsel zwischen Arzt und Patient.
In der Regel sind es eher kleine Wehwehchen. "Wetterbedingte grippale Infekte, Heiserkeit - da gibt es dann die entsprechende Versorgung." Aber es sind auch mal größere Wunden, die es zu versorgen gilt. Überbleibsel aus der Heimat, Kennzeichnungen der Flucht.
"Es gibt da natürlich auch Betreuung für unsere Mitarbeiter", sagt Seiermann. Gesprächsangebote, die Möglichkeit der Verarbeitung. Nicht immer einfach, hört man aus den Worten heraus. Es haut den einen oder anderen Helfer auch mal um. Umso wichtiger sei es, dass die Arbeit nicht nach Hause mitgenommen wird. "Schwierig", erzählten alle Gesprächspartner bei den Besuchen der Flüchtlingseinrichtungen. Nur wenige können ganz abschalten und die Tür unbelastet hinter sich ins Schloss fallen lassen.
Kim Katholing gehört dazu.
"Ich höre den Menschen zu, ich bin für diese da", erzählt die junge Mitarbeiterin in der Hemhofener Notunterkunft, einer dritten Art der Unterbringung. Aber wenn die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, lässt sie die Probleme zurück. Was nicht heißt, dass sie nicht empathisch sei. Das bringe der Job zwangsweise mit sich. Ihr Kollege Christian Felger bestätigt das. "Wir leisten hier humanitäre Hilfe, das ist etwas anderes als in anderen Firmen."
Skepsis nicht bestätigt
Das Frustpotenzial sei bei den Flüchtlingen manchmal hoch, Zu viel haben sie erlebt, zu schwierig ist es, in einer "Parksituation" zu sein und damit nicht zu wissen, wie es weitergeht. Ein Monat ist in der Notunterkunft geplant, die Praxis zeigt, dass die Menschen dort eher drei Monate verweilen.
"Es fehlt an Wohnungen", erklärt Felgner, der in Hemhofen wohnt und daher auch eine recht genaue Einschätzung der Lage vor Ort geben kann.
"Vorurteile? Die gab es. Aber nicht eines hat sich bestätigt." Die Anwohner in Hemhofen waren skeptisch. Aber weder Lärm noch Schmutz existieren als Störfaktoren, geschweige denn eine hohe Kriminalitätsrate. "Die Polizei musste bei uns nicht aktiv werden", sagen die zwei Mitarbeiter in Hemhofen stolz. "Es gibt einfach auch keinen Grund dafür."
Liegt das nun an den Führungen der Häuser? Ist es eine Frage der Art der Unterkunft? Gibt es irgendwo doch Bestätigung für die Vorurteile, die von größeren Gruppen gepflegt werden? Wir sind dem genau nachgegangen. Die drei in diesem Bericht erwähnten Einrichtungen hat der Fränkische Tag genauer angeschaut. Sie werden in drei Teilen in den kommenden Wochen vorgestellt. Und vielleicht findet es sich dann doch noch: das endlich bestätigte Vorurteil!