Wie definieren Sie das "Darknet"?
Stefan Mey: Ein Darknet ist ein digitaler Ort, der sich vom großen, weltweiten Internet abschirmt und versucht, Anonymität herzustellen. Theoretisch gibt es verschiedene Darknet-Technologien. Durchgesetzt hat sich aber eine Technologie: das Darknet auf Basis der Anonymisierungstechnologie Tor. Tor verschleiert IP-Adressen. Das sind so etwas wie digitale Postadressen, über die alle Webseiten und alle Nutzerinnen und Nutzer erreichbar sind. IP-Adressen sind aber auch die Basis für Überwachung und für Zensur.
Welche Vor- und Nachteile bietet es Ihrer Ansicht nach?
Beim normalen Internet sind Überwachbarkeit und Zensierbarkeit quasi in die DNA eingeschrieben, das ist politisch problematisch. Das Darknet ist ein Gegenmodell, bei dem weitgehende Anonymität und Zensurresistenz Grundzustand zählt. Vor allem die Anonymität hat Sonnen- wie Schattenseiten. Am übelsten ist, dass das Darknet zum Tausch von Kinderpornografie genutzt wird, also von Bildern und Videos des Missbrauchs von Kindern.
Politische Nutzungen der Darknet-Anonymität sind Postfächer für Whistleblower, beispielsweise verfügen die Süddeutsche Zeitung, die taz und der britische Guardian über solche Darknet-Postfächer. Über die Auswirkungen der illegalen Drogenmarktplätze im Darknet gibt es geteilte Meinungen. Einige Konsumentinnen und Konsumenten von Drogen sowie Teile der Suchtforschung sehen durchaus gesellschaftliche Chancen.
Aufgrund eines Systems von Nutzerbewertungen ist es im Darknet beispielsweise möglich, die Gefahr gefährlicher Verunreinigungen von Drogen zu minimieren. Andere hingegen halten die Drogenmarktplätze nicht nur für illegal, sondern auch für kriminell im ethischen Sinn.
Gibt es Dinge, die Sie im Internet mit Ihrem heutigen Wissensstand, nicht mehr tun würden?
Nein.
Ihre These lautet: "Wenn es das Darknet nicht gäbe, dann müsste man es erfinden." Wie kommen Sie zu dieser Meinung?
Die umfassende Überwachbarkeit im normalen Internet finde ich sehr gefährlich. Die Daten der halben westlichen Welt laufen auf den Datenbanken der fünf großen Unternehmen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft zusammen. Seit Edward Snowden wissen wir, dass auch westliche Geheimdienste die Internettechnologie nutzen, um auf unverschämte Art das digitale Leben möglichst aller Menschen auszuspähen.
Eine Ballung von Daten ist eine Ballung von Macht und Datenmacht kann leicht missbraucht werden. Insofern bin ich der Meinung, dass es dringend ein Gegenmodell zum normalen Internet braucht. Mit dem momentanen Zustand des Darknets kann niemand zufrieden sein, aber es ist zumindest ein digitales Gegenmodell.
Sie haben Julian Assange, Programmierer und Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks, interviewt. Was nehmen Sie aus diesem Erlebnis für immer mit?
Damals war ich noch Blogger und kein klassisch professioneller Netzjournalist. Das Interview mit Julian Assange hatte viel Aufmerksamkeit erregt, im deutschsprachigen Raum und auch international. Das war für mich toll und ein großer Ansporn, mit dem Bloggen weiterzumachen. Julian Assange war ein sehr charismatischer, intelligenter und redegewandter Mensch, der sehr schlaue Ansichten über die Funktionsweise des Medienbetriebs hatte. Es war einfach ein unfassbar interessantes Gespräch.
Sie verfügen über ein großes Expertenwissen rund um das Darknet. Wurden Sie wegen Ihres Wissens schon einmal bedroht?
Nein, ich hatte keinerlei problematische Erfahrungen. Ich habe per Computer Interviews mit Betreibern von Drogenmarktplätzen geführt und Leute interviewt, die im Darknet Drogen und verschreibungspflichtige Medikamente handeln. Die waren nach anfänglichem Misstrauen erstaunlich höflich und hatten ein fast professionelles Verständnis von Pressearbeit.
Es kann sein, dass ich durch meine Recherchen in den Fokus von Überwachungsbehörden gelangt bin, aber als Journalist bin ich in Deutschland gut geschützt und habe kaum Repressalien zu befürchten. Ich weiß, dass Journalistinnen und Journalisten in anderen Ländern Probleme bei ihrer Arbeit haben, wie wir sie uns in Deutschland kaum vorstellen können.
Und auch in Deutschland kann journalistische Arbeit manchmal gefährlich sein, etwa wenn man im Nazi-Milieu recherchiert. Insofern habe ich keinen Anlass, mich über etwas zu beklagen.