Der Dechsendorfer Florian Dürrbeck wollte mit Freunden die Berge, die Sonne und das Radfahren genießen. Es hätte sein letzter Tag sein können.
Um es auf den Punkt zu bringen: Florian hätte tot sein können. Die Anzahl seiner Schutzengel muss extrem hoch gewesen sein, denn ein Einzelner hätte die ihm gestellte Aufgabe gar nicht bewältigen können.
Was war passiert? Im Sommer war der Dechsendorfer Florian Dürrbeck mit seiner Freundin und einem weiteren Pärchen in Österreich. Urlaub. Endlich ein Hobby intensiv betreiben, das er zwar auch Zuhause ausübt, dass aber in der Bergwelt rund um Elmau erst richtig Spaß macht: Mountainbike fahren.
Florian gehört nicht zu den "Brachialfahrern". Für ihn gibt es klare Direktiven: "Auf den Wegen wird gefahren." Und dazu kommend: "Gegenseitig wird Rücksicht genommen!" Also nicht nur Radler auf Radler, sondern auch vom Radler auf die Wanderer, auf die Spaziergänger.
"Wir nutzten die Wege gemeinsam und da begegnen wir uns halt auch", schildert er seine Erlebnisse mit dem "Fußvolk". Er weiß aber auch von denjenigen, die mit seinem Hobby nicht zurechtkommen. "Die meinen wir zerstören alles, das ist aber nicht der Fall."
Der 25-Jährige wirkt beim Gespräch ganz ruhig, es entspricht seiner Art, wie er auch seinen Sport betreibt. Doch eines schwingt bei den Erzählungen mit: Er hätte tot sein können.
Nüchterne Abfahrt Es war "nur" ein Draht - ein Stacheldraht der "alten" Sorte. Kein NATO-Draht. Zwei Millimeter dick, aus unlegiertem Stahl. Der aber war auf etwa eineinhalb Meter quer über einen Wanderweg gespannt. Warum? Die Frage stellt sich der Dechsendorfer noch heute.
Aus Bösartigkeit? Aus Spaß? Aus Hass gegenüber den Mountainbikern, die ja angeblich alles zerstören?
Genau dieser Draht wurde Florin zum Verhängnis. Bei der Talfahrt, die an dem sonnigen Tag nach der beschwerenden Bergtour und einem Aufenthalt auf einer Alm anstand. "Trotz Alm, getrunken wird kein Alkohol, das ist bei dem Sport viel zu gefährlich", berichtet er von dem Nachmittag. Drei Stunden hoch, etwa eine Stunde runter - so war der Plan. "Wegen der beiden Anfänger ging es gemütlich runter", ein Umstand, der vielleicht Schlimmeres verhindert hat.
Oder auch die Ausrüstung: Denn Helm und Protektoren sind Pflicht, Gottvertrauen alleine nutze bei einem Sturz nicht. Das kann bei solch einer Schotterpiste wie sie gewählt wurde halt auch mal passieren.
Was dann passierte? "Ich lag halt plötzlich am Boden." Unverhofft. Nicht wissend, was passiert war. "Der erste Blick fiel auf mein Rad.
Die ersten Gedanken schossen durch meinen Kopf: Scheiße, Scheiße, das neue Rad." Florian atmete auf, als er sah, dass das 3000-Euro-Bike scheinbar nicht beschädigt war. "Schwein gehabt", war noch so ein Gedanke, bevor er an sich hin unterschaute. Zerrissenes T-Shirt, kaputte Handschuhe und überall Rot.
Draht bei Häusling Der Rest der Gruppe, Melanie, Julia und Martin, hatte auch nicht mitbekommen, was da ein paar Meter unterhalb passiert war. Ein seltsamer Schrei sei es gewesen, dann habe der Freund auf dem Boden gelegen. Sonst war nichts, erzählen die anderen später.
Dann kam der Blick auf die Unterarme. Der Stacheldraht hatte sich tief ins Fleisch gefressen. Bis auf den Knochen, wird ihm der behandelnde Arzt später sagen. "Komischerweise hatte ich keinerlei Schmerzen."
Auch hier in der Region hat es bereits solche Angriffe gegeben.
Im August geschah solch ein heimtückischer Anschlag bei Häusling. In einem dortigen Waldstück fuhr ein 43-jähriger Erlanger nachmittags mit seinem Fahrrad auf einem Waldweg westlich der Ortsverbindungsstraße Häusling und Steudach. Dort hatte ein bislang noch unbekannter Täter eine dünne Nylonschnur in Form einer Schlinge zwischen den Bäumen gespannt — und zwar genau in Kopfhöhe. Der Radfahrer übersah das Hindernis und geriet mit seinem Kopf in diese Schlinge. Bei dem Sturz hat sich der Radler eine blutende Halswunde sowie weitere Verletzungen im Gesicht zugezogen.
Für Florian ging es irgendwie über mehrere Stationen ins Krankenhaus. Die Blutung hatte er mithilfe der Materialien seines Erste-Hilfe-Sets ("Das habe ich immer dabei!") notdürftig gestoppt. Am Abend ging es dann auch noch zur Polizei.
Alkoholtest bei ihm - der negativ verlief, der Versuch von Erklärungen.
"Vielleicht hat ein Viehbesitzer seine Tiere abgrenzen wollen!" Mit einem Stacheldraht quer über einen normalen Wanderweg. Florian ist viel in Österreich unterwegs. Er kennt die Kuhgatter, er kennt kleine Pforten - aber ein quer gespannter Draht?
In Deutschland wäre es einfach: Strafanzeige wegen eines Vergehens nach Paragraf 315b StGB, auch wenn nix passiert ist. Da geht es um den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Wenn etwas passiert ist und es hat sich jemand verletzt oder wurde getötet, kommen unter Umständen noch hinzu Anzeigen wegen gefährliche Körperverletzung oder Totschlag, so die Auskunft der Staatsanwaltschaft.
Bilder im Kopf Die Beamten in Österreich haben Bilder gemacht, auch vom Tatort. Sie erklären,, dass die Wucht heftig war. "Das Blut spritzte bis zu den Holzpfosten", sagten sie dem Verletzten.
Das wiederum lasse auf einen Einschlag mit 25 bis 30 km/h zurückschließen - beim Abwärtsfahren keine Geschwindigkeit, "es hätten auch 60 km/h sein können", erzählt der Biker.
"Ja, ich habe viel Glück gehabt", sagt Florian. Er hätte tot sein können. Doch mit dem Glück ist das so eine Sache. Denn die sichtbaren Narben auf dem Arm bleiben auf alle Fälle. Sie werden ihn immer an den Sonnentag in Elmau erinnern. Dass das Taubheitsgefühl wegen der verletzten Nerven irgendwann weggeht, darauf hofft der 25-Jährige.
Was im Kopf abgeht, hat dann mit Glück nicht so viel zu tun. "Es fühlt sich nicht gut an, wenn ich auf das Rad steige." Zwei, drei Mal sei er schon wieder unterwegs gewesen. Immerhin ist er der Leiter eines Fahrradgeschäftes in Höchstadt, da hat das eigene Fahrradfahren auch mit Werbung zu tun.
Es kommt schon blöd, wenn er ausschließlich auf motorisierte Fahrzeuge setze.
"Im Wald ist mir besonders mulmig" - dort, wo man nicht sieht, was zwischen den Bäumen gespannt ist. "Ich glaube nicht, dass es Angst ist, aber ich bin mental angespannt", versucht er das Gefühl zu erklären. Er fahre noch vorausschauender, "ich bin sensibilisiert", der Genuss des Radfahrens trete noch nicht ein. "Du konzentrierst dich nur noch auf die Strecke, der Blick schweift selten in die Landschaft ab." Irgendwann wird das Gefühl wieder kommen, da ist er sich sicher, doch es braucht Zeit. Den Idioten, der den Draht gespannt hat, wird er wohl nie begegnen. Vielleicht zum Glück.