Heute vor 200 Jahren stellte ein Herzogenauracher Landgerichtsdiener den Antrag, den Vehnturm abtragen zu dürfen.
Die Stadtsilhouette von Herzogenaurach wird von den zwei hohen Stadttürmen bestimmt, dem Vehnturm und dem Türmersturm. Sie wurden mit der inneren Stadtmauer angelegt und flankierten jeweils ein Tor, durch das die mittelalterliche Stadt betreten werden konnte.
Für das Jahr 1348 ist belegt, dass am Vehnturm ein Tor angebaut war. Für 1399 konnte nachgewiesen werden, dass eine Wache von Armbrustschützen aufgestellt war. 1497 findet sich der Hinweis, dass das Schießpulver zur Verteidigung der Stadt in einer Truhe im Turm aufbewahrt. Dieser wurde nach einer in der Nachbarschaft wohnenden Familie als Sesselmannsturm bezeichnet. Später gab ihm eine Familie Vehn den bis heute gebräuchlichen Namen.
1675 wurden neue Turmknöpfe und Wetterfahnen auf der Turmspitze und den Scharwachtürmchen angebracht. Im 18. Jahrhundert diente er als Gefängnis.
Mit den Umwälzungen nach der Napoleonischen Zeit und der Eingliederung Herzogenaurachs in das Königreich Bayern hatten alle Stadttürme ihren wehrhaften Nutzen verloren.
Am 26. April 1816 erschien in Herzogenaurach der Landgerichtsdiener Bauereis vor seinem Herrn Assessor und brachte folgendes Anliegen vor: "Unstreitig wird es zur Verschönerung des hiesigen Städtchens viel beitragen, wenn der am Kellermannschen Hause stehende Fehnturm mit dem daran befindlichen Tor abgetragen wird. Unter der Bedingung, dass mir sämtliche Baumaterialien und der Platz, auf welchem der Turm steht, überlassen werden, biete ich dafür einen Kaufschilling von 36 Gulden, welchen ich zu Martini dieses Jahre bar erlege.
Auf solchem Platz würde ich, nachdem der Turm abgebrochen ist, ein Blumen- oder Gemüsegärtchen anlegen."
Der Käufer wollte also mit dem Verkauf der Sandsteine, aus denen der Turm errichtet ist, die ausgelegte Kaufsumme wieder erwirtschaften. Landrichter Müller ließ die fünf Vorsteher der Munizipalgemeinde Herzogenaurach am 3. Mai 1816 ins Gericht rufen. Ihre Meinung dazu war: "Dieser Turm hat zwar der hiesigen Kommune bisher keinen Nutzen gebracht, allein wir stimmen ganz und gar nicht dahin, dass derselbe verkauft oder abgebrochen werden soll!"
Allerdings schlugen sie auch vor, die Abtragung auf Kosten der Kommune besorgen zu lassen, um die Steine auf Partien dann öffentlich zu verkaufen.
Der Platz sollte aber bei der Kommune verbleiben, gepflastert werden und die Steine zum Teil zur Verbreiterung der Brücke über den inneren Stadtgraben verwendet werden.
Mit der Schätzung der zu erzielenden Materialien wurden der Zimmermeister und Munizipalrat Thaler und Maurermeister Thomas Kurr beauftragt. Sie schätzten den Gewinn aus dem Verkauf der Sandsteine auf 140 bis 150 Gulden. Sie berechneten aber zugleich die Kosten für das Abtragen auf 150 Gulden. Allerdings würden durch das Herabwerfen der Steine das Kellermann'sche Wohnhaus (jetzt Bücher, Medien und mehr) sowie das Straßenpflaster Schaden nehmen.
Landrichter Müller wollte aber nichts unversucht lassen, den Turm zu schleifen, und erließ am 10. Mai eine Bekanntmachung, dass Interessenten für den Turm am 28.
Mai, 10 Uhr, am Königlichen Landgericht vorsprechen sollten.
Die Verkaufsbedingungen waren: "Verkauf zum Höchstgebot, der Käufer erhält die Materialien, der Grund verbleibt bei der Stadt. Der Turm muss innerhalb eines Jahres abgebrochen und das Material weggeschafft sein. Die Käufer sind für den Schaden an angrenzenden Gebäuden haftbar. Die Passage durch das Tor darf beim Abbruch nicht behindert werden. Die Kaufsumme ist bar zu bezahlen."
52 Gulden waren zu wenig
Aufgrund dieser Vorgaben fanden sich lediglich zwei Bieter ein, Maurermeister Franz Joseph Kurr und Maurergeselle Teichely, die zunächst 40 bzw. 50 Gulden boten, um dann auf 51 bzw. 52 Gulden zu erhöhen. Landrichter Müller musste einsehen, dass sein Ansinnen gescheitert war.
Aber noch viele Jahrzehnte sollten vergehen, bis der Turm eine Nutzung als Heimatmuseum erfuhr.
Zur Eröffnung des Stadtmuseums von Herzogenaurach im Vehnturm am Sonntag, 28. Juni 1908, lud der historische Verein Herzogenaurach und Umgebung mit seinem Vorsitzenden Bernhard Loritz die Bevölkerung ein.
Die Stadt Herzogenaurach hatte finanzielle Unterstützung geleistet und "hochherzige Gönner" hatten durch die leihweise Überlassung von Altertumsgegenständen den Fundus erweitert. Die treibende Kraft hinter dem Museum waren Baumeister Andreas Kurr, Christof Dassler, der "historisch' Christof", wie er in der Stadt genannt wurde, Vater der Firmengründer Rudolf (Puma) und Adolf (Adidas) Dassler, sowie Wagner Weiss.
Kurr hatte bereits zehn Jahre zuvor die Einrichtung eines Museums im Vehnturm erreichen wollen. Aber erst mit Unterstützung des 1906 gegründeten historischen Vereins, Vorläufer des heutigen Heimatvereins, konnte er das Projekt auf den Weg bringen.
Die Kommune ließ den Turm für rund 600 Mark innen und außen neu herrichten. Dazu zählte der Einbau von Stiegen, Böden und Geländern, um die verschiedenen Etagen für den Ausstellungsbetrieb anzupassen. Am Ausbau war Architekt Georg Kurr beteiligt.
Zur Einweihung spielte die Musikkapelle Lehner, als sich der Festzug zum Museum bewegte. Knaben mit weiß-blauen Fähnchen brachten die Verbindung mit dem bayerischen Königshaus zum Ausdruck, junge Mädchen in malerischer und farbenprächtiger Tracht waren der Blickfang. Fräulein Marie Daßler trug in die Farben der Stadt gekleidet den Schlüssel zum Museum. Begleitet wurde sie von Justina und Hildegard Wirth, Babette Schürr, Margaretha Leisner, Sofia Schneider, Anna Krämer, Margaretha Geisel und Christine Fischer.
Als Gäste konnte Bezirksamtsassessor Bucher von Höchstadt an der Aisch, Stadtpfarrer Johann
Egenhöfer, Liebfrauenhauskuratus Heinrich Pezold und Bürgermeister Christoph Wirth. Anwesend waren auch die Vorstandschaften des Historischen Vereins, des Liederkranz sowie des Veteranen- und Kampfgenossenvereins.
Loritz konnte außerdem Friedrich Will aus Erlangen, Gymnasialprofessor a.D., Anton Jäcklein aus Bamberg und Bürgermeister Michael Kreß aus Falkendorf begrüßen. Kreß hatte auch ein Gedicht für diesen Festtag verfasst.
Gedicht zur Einweihung von Michael Kreß
Aus alter Stadt Vergangenheit
Gerettet ragt noch dieser Turm
Herüber; bis in unsre Zeiten
Erhielt er sich durch manchen Sturm.
Wohl dient er nicht mehr ernsten Zwecken
Als fester Schutzwall oder Hort;
Dient nicht Verbrechern mehr zum Schrecken
Als düsterer Verwahrungsort.
Doch seine altersgrauen Mauern,
Sie sollen fest und stolz und keck
Jahrtausende
noch überdauern,
Zu dienen einem andern Zweck:
Dem Zweck als schützender Behälter,
Der Gegenstände treu umschließt,
Die so ehrwürdig alt und älter
Erscheinen als er selber ist.
Was Sammelfleiß aus Staub und Trümmern
Auswärts und hier, in Dorf und Stadt,
An vielen schönen Altertümern
Erlesen und erworben hat,
Hier feiert es befreit vom Staube,
Vom Rost, ein neues Aufersteh'n.
Nie mehr dem Zahn der Zeit zum Raube,
Wirds hier der Blick verfallen sehn.
Es ziemt sich wohl, daß man das Alte,
Das von vergangener Zeit erzählt
In Einzelbildern forterhalte,
Damit sich dran die spätre Welt
Belehren möge und ergötzen!
und allen dann, die sich erfreun'n
An ihrer Heimat alten Schätzen,
Mag dies selbst auch teuer sein!