Das "Panorama"-Rahmenprogramm als zweitwichtigste Schiene der internationalen Filmfestspiele in Berlin war schon immer für Überraschungen gut.
Manch großer Film, der es aus nicht selten unverständlichen markttaktischen Erwägungen heraus nicht in den Wettbewerb schaffte, wurde dort erst zum Publikums- und danach zum Kino-Erfolg. Aber seit drei, vier Jahren tut sich das "Panorama" ein bisschen schwer. Und es scheint nicht besser zu werden.
Erschreckende Lebensgeschichte Dabei mangelt es an bekanten Namen nicht, man denke da nur an Rosa von Praunheim. Der immer ein bisschen streitbare Regiestar der deutschen Homosexuellen-Szene präsentierte dem Publikum mit "Härte" eine erschreckende Lebensgeschichte: Andreas "Andy" Marquardt war in den 80-er und 90-er Jahren nicht nur einer der erfolgreichsten Karatekämpfer in der Welt, sondern als brutaler Zuhälter ein Berlin eine "Sau", wie Marquardt heute, nach acht Jahren im Gefängnis, einräumt.
Von Praunheim erzählt mit einer, in jeder Beziehung anstrengenden, Mischung aus Theaterszenen und aktuellen Statements die brutale Geschichte von Marquardt, der schon als Kind von Vater und Mutter missbraucht wurde. Ein bisschen zu sehr Anwalt seiner Hauptperson "Andy" ist der Regisseur dabei, aber der inzwischen geläuterte Marquardt ist zweifelsohne eine dieser deutschen Geschichten, die erzählt werden müssen. Ende April wird der Film (ziemlich sicher nicht überall) in deutschen Kinos zu sehen sein - und sicher irgendwann einmal auf einem Fernsehsender mit Niveau.
Gleich in rekordverdächtigen drei Filmen ist heuer der smarte James Franco in Berlin dabei - zweimal im Wettbewerb ("Queen of the dessert" und "Every thing will bei fine") und einmal auch im Panorama. Dort spielt er die Hauptrolle in "I am Michael", der wahren Geschichte von Michael Glatze.
Der war einst als Herausgeber einschlägiger Magazine eine Kultfigur der amerikanischen Schwulenszene, wandte sich aber nach jahrelanger quälender Selbstreflexion der Kirche zu und predigt dort seit einigen Jahren nahezu fanatisch gegen die Homosexualität.
Glatze, heute wenig überraschend einer der "Stars" der konservativen Kirche in den USA, kommt in "I am Michael" nicht besonders gut weg. Ob dies von Nachwuchsregisseur Justin Kelly klar beabsichtigt oder nur ein bisschen sorglos inszeniert ist - diese Frage ließ sich bei der Berlinale nicht klären. Jedenfalls wirkt Michaels Rückzug aus seiner jahrelangen Partnerschaft mit seinem Freund Bennett genauso unentschlossen wie die das Ende des Films bildende Eheschließung mit einer jungen Studienkollegin.
Nichtsdestotrotz: "I am Michael" verfolgt intensiv die Wandlung Glatzes und vermittelt zumindest einen vorsichtigen Einblick in die konservativen kirchlichen Kreise, die gerade in den USA noch ein bisschen konservativer sind als sonstwo auf der Welt.
Probieren und provozieren "Härte" und (ein bisschen weniger) "I am Michael" sind zwei der wenigen sehenswerten Filme, die das "Panorama" bislang zu bieten hatte. Vielleicht wird derzeit in dieser Programmsparte ein bisschen zu viel ausprobiert und provoziert - dafür wurde aber bei der Berlinale eigentlich vor Jahrzehnten das "Forum" für junge Filmemacher geschaffen.
Der Wettbewerb hingegen könnte eine zweite starke Reihe mit Platz auch für (natürlich nur gute) massentaugliche Filme gebrauchen. Das wäre doch eine Aufgabe für die Zukunft, das "Panorama" müsste sich da halt ein bisschen zurück besinnen.