Vergangenheitsbewältigung in Coburg

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Margaretha Michel hielt als Festrednerin, auch aufgrund der eigenen Betroffenheit, einen authentischen Bericht über Flucht und Vertreibung und die Möglichkeit auf ein gemeinsames Europa. Foto: Edwin Meißinger
Margaretha Michel hielt als Festrednerin, auch aufgrund der eigenen Betroffenheit, einen authentischen Bericht über Flucht und Vertreibung und die Möglichkeit auf ein gemeinsames Europa. Foto: Edwin Meißinger
Die Stadtkapelle Coburg spielte im "Münchner Hofbräu" zum "Tag der Heimat" auf. Foto: Edwin Meißinger
Die Stadtkapelle Coburg spielte im "Münchner Hofbräu" zum "Tag der Heimat" auf. Foto: Edwin Meißinger
 
Für Ihre Treue und ihr hohes Engagement für die Heimatvertriebenen wurden diese Persönlichkeiten ausgezeichnet. (Ganz vorn) Reinhold Schweidler, Margaretha Michel, Roman Seidl, Jürgen Heike. Über diese Würdigung freuten sich mit (hintere Reihe) Marco Steiner, Frank Altrichter, Sebastian Straubel, Thomas Nowak, Manfred Jenke, Martin Stingl. Foto: Edwin Meißinger
Für Ihre Treue und ihr hohes Engagement für die Heimatvertriebenen wurden diese Persönlichkeiten ausgezeichnet. (Ganz vorn) Reinhold Schweidler, Margaretha Michel, Roman Seidl, Jürgen Heike. Über diese Würdigung freuten sich mit (hintere Reihe) Marco Steiner, Frank Altrichter, Sebastian Straubel, Thomas Nowak, Manfred Jenke, Martin Stingl. Foto: Edwin Meißinger
 

Der Bund der Vertriebenen bemühte sich bei seinem "Tag der Heimat" in Coburg um eine Einordnung von Flucht und Vertreibung in das heutige Europa.

Der Bund der Vertriebenen (BdV) des Kreisverbandes Coburg feierte am vergangenen Sonntag im "Münchner Hofbräu" seinen "Tag der Heimat" unter dem Leitwort "Unrechtsdekrete beseitigen - Europa zusammenführen". Dem Bezirks- und Kreisvorsitzenden Roman Seidel oblag die Leitung der Veranstaltung, Frank Altrichter moderierte den Festnachmittag. Wie die Festrednerin Margaretha Michel mitteilte, sei sie gerne gekommen, habe jedoch erst einmal geschluckt, als sie das Thema der Festrede gehört habe. Die gebürtige Nordböhmerin wurde in Leitmeritz/Tschechien geboren. In ihrer Kindheit erlebte sie Vertreibung und Flucht und wusste in ihrer Festrede von vielen menschenunwürdigen Situationen zu berichten, die der Krieg und das Verhalten der Sieger mit sich gebracht hätten. Von ihrer Großmutter erzählte sie, dass diese geäußert habe: "Ich habe mich während der gesamten Zeit des Krieges geschämt, eine Deutsche zu sein. Jetzt sehe ich, dass es die Anderen auch nicht besser machen, das hätte ich nie gedacht!" Auch über ihre Zeit, als sie als Deutsche aus Böhmen in Deutschland ankamen, teilte Michel mit: "Es war ein schwieriges Ankommen."

Nicht gerne gesehen

Gerne gesehen waren die sogenannten Rückkehrer nicht in ihrer ursprünglichen Heimat. Denn wie Michel mitteilte, ging es den Einheimischen auch nicht gut. Jeder war bettelarm und manchmal ärmer dran als sie selbst. Zum Glück gab es auch positive Erlebnisse. So halfen sich Heimatvertriebene untereinander. Da fiel zu bestimmten Zeiten Kohle von einem Zug und konnte von ihrem Vater in seiner Aktentasche eingesammelt werden, da arbeitete die Mutter, eine Ärztin, für Lebensmittel beim Bauern und mancher anderer deutsche Bürger bewies Herz und half uneigennützig. "Wir hatten einen christlichen Hausherrn. Er kam einfach vorbei, hob den Deckel des Kochtopfes an, schaue still hinein und ging wieder. Etwas später brachte ein Kind uns Lebensmittel", berichtete Michel von ihrer Ankunftszeit im jetzigen Deutschland.

Ihr Abitur legte sie in Landshut ab und studierte danach für das Gymnasiallehramt in Erlangen (Mittelfranken). Später lernte sie ihren künftigen Ehemann Heinz Michel kennen, dessen Geschichte im Posener Land, in Polen, seine Wurzeln hat. Michel konnte während ihrer Schultätigkeit ihre eigene Vertreibungsgeschichte an Schüler weitergeben und Schüleraustauschgruppen mit Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern initiieren.

Es gab kritische Fragen

In Coburg wurden der Referentin während ihres Vortrags kritische Fragen gestellt. Ob diese Art des Berichtes denn sinnvoll sei, da fast jeder der Gäste ähnliche Erlebnisse gemacht habe, lautete eine Frage. Michel wies darauf hin, dass man mit der persönlichen Lebensgeschichte immer noch mit jungen Leuten ins Gespräch kommen könne. Auf die Erwiderung, dass diese Geschichten die Jungen nicht mehr interessierten und diese sie ohnehin schnell vergäßen, konterte sie, natürlich müsse man auf die Bedürfnisse der Jungen eingehen und solle die Nachkriegsgeneration nicht mit den eigenen Geschichten überfordern.

Michel erzählte von den Schüleraustauschen mit Tschechien oder Polen und anderen Ländern und betonte, Verständnis und Toleranz seien für ein gemeinsames Europa unerlässlich. Natürlich bedauerte auch die Rednerin, dass damals die Beneš-Dekrete nicht negiert wurden. Jedoch korrigierte sie ihre Aussage dahingehend, dass einige osteuropäische Staaten teilweise Wiedergutmachungen hinsichtlich der Vertreibungen vorgenommen hätten. Am 1. Mai 2004 wurden acht osteuropäische Länder und zwei Mittelmeer-Staaten Mitglieder der Europäischen Union. Es sei wichtig, heute die Menschen zu erreichen und die Geschichte lebendig zu erhalten, betonte die Studiendirektorin a. D.

"Wir vergessen nicht"

Auch Moderator Frank Altrichter hob das erlittene Unrecht der Heimatvertriebenen hervor und mahnte vor zerstörerischem Nationalismus. Altrichter sagte: "Wir vergessen darüber nicht die Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Bevölkerung von Nachbarländern, denen wir heute in Freundschaft verbunden sind, wurden pauschal zu Gegnern erklärt. Wir vergessen nicht die Verbrechen des Holocaust und die Millionen ermordeter Juden. Wir vergessen nicht das Leid, das die NS-Kriegstreiberei über die Bevölkerung anderer Länder gebracht hat. Diese Vernichtungswut schürte den Hass der Völker auf Deutschland. Der Zweite Weltkrieg machte Vertreibung und Rache in einem solchen Ausmaß erst möglich. Doch ein Verbrechen, so furchtbar es auch sein mag, rechtfertigt niemals ein anderes." Frank Altrichter gab zu bedenken: "Jeder Vierte in unseren Städten und Gemeinden in Coburg, in Neustadt, in Bad Rodach und so weiter hat einen persönlichen oder familiären Vertreibungshintergrund."

Die Veranstaltung fand auch von politischer Seite her eine starke Würdigung. Neben Coburgs Drittem Bürgermeister Thomas Nowak waren auch Rödentals Bürgermeister Marco Steiner, Neustadts Dritter Bürgermeister Martin Stingl, Lautertals Bürgermeister Sebastian Straubel und der Staatssekretär im Bayerischen Sozialministerium a.D. Jürgen W. Heike vertreten. Sie alle und der BdV-Ehrenvorsitzende Manfred Jenke überbrachten persönliche Grußworte oder ließen die Grußworte ihrer Städte und Gemeinden überbringen. Dabei berichteten sie teilweise von Vertreibungsgeschichten aus der eigenen Familie.

Ehrungen für besonderen Einsatz

Der BdV ehrte an diesem Nachmittag einige Mitglieder für ihre Treue zum Bund der Vertriebenen oder ihren persönlichen und politischen Einsatz auf den unterschiedlichsten Ebenen. Der BdV-Bezirks- und Kreisvorsitzende Roman Seidl erhielt aus den Händen Margaretha Michel, die Präsidiumsmitglied der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist, die Rudolf-Lodgmann-Plakette für seine Verdienste an den Sudetendeutschen Volksgruppen. Sichtlich bewegt dankte Seidl mit zitternder Stimme für diese hohe Auszeichnung. "Geflüchtet, vertrieben, angekommen. Wenn wir auch so manches abwenden mussten. Wir sind da, haben eine zweite Heimat gefunden", sagte Seidl. Reinhold Schweidler aus Grub am Forst wurde von Roman Seidl für sein hohes Engagement und seine Hilfsbereitschaft im BdV ausgezeichnet. Und auch Jürgen W. Heike erhielt von Frank Altrichter für seine außergewöhnlichen Verdienste um die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler in der Stadt und im Landkreis Coburg die Ehrenmedaille des BdV-Kreisverbandes Coburg. Die Stadtkapelle Coburg untermalte mit ihrer Musik den "Tag der Heimat".