Wie schätzen die Bürgermeister in der Stadt Coburg ihre ersten drei Jahre im Amt ein? In dieser Folge: Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD).
Natürlich muss man sich fragen, ob Norbert Tessmer (SPD) der richtige Kandidat ist für so ein Halbzeit-Gespräch. Befragt wurden die Bürgermeister in ihrer ersten Amtszeit. Tessmer hat eigentlich schon 18 Jahre als Bürgermeister hinter sich: Sechs Jahre als ehrenamtlicher Dritter Bürgermeister, sechs als hauptamtlicher Dritter und sechs als hauptamtlicher Zweiter Bürgermeister. Doch obwohl er in einem Alter zum Oberbürgermeister gewählt wurde, in dem andere ans Aufhören denken (mit 61), legte Tessmer noch mal einen Zahn zu, was sein Arbeitspensum angeht. Im Gespräch erzählt er so nebenbei, dass er an einem Papier des Deutschen Städtetags zum Thema "Innerstädtischer Einzelhandel" mitgeschrieben hat und dass er nach Pfingsten nach Berlin muss, weil er bei einer Veranstaltung des Deutschen Vereins zum 7. Altenbericht der Bundesregierung mit auf dem Podium sitzt. "Es ist wichtig, dass man gut vernetzt ist und in solchen Gremien mitarbeitet", sagt er. Deshalb habe Coburg zum Beispiel früher als andere Kommunen einen Pflegestützpunkt einrichten können, weil er, Tessmer, beizeiten über die Fördermöglichkeiten informiert gewesen sei.
Norbert Tessmer ist seit 1984 Mitglied des Stadtrats, war ab 1994 Fraktionsvorsitzender und ab 1996 Dritter Bürgermeister.
1.
Sie sind jetzt seit gut drei Jahren Bürgermeister. Haben Sie sich dieses Amt und die damit verbundenen Aufgaben in etwa so vorgestellt? Vor drei Jahren herrschte nach der Wahl zunächst einmal die Überraschung des Neuen. OB zu werden, das war nie meine Lebensplanung. Aber wenn man die Chance bekommt, was geschehen ist, dann muss man sie nutzen. Von der anfänglichen Euphorie habe ich nichts eingebüßt - sie ist mit der Zeit eher noch größer geworden. Je mehr man eintaucht, umso mehr erschließen sich die Möglichkeiten, die man hat. Man muss sie nur nutzen.
2.
Welche Projekte konnten Sie bereits umsetzen und anstoßen? Wir haben in kürzester Zeit einen Rahmenplan für das Areal Güterbahnhof/Schlachthof erarbeitet. Die Altlastenbeseitigung ist im Gange, die Pakethalle kann zwischengenutzt werden, mit der Brücke und der südlichen Zufahrt befinden wir uns im Zeitplan. Die Firma Ros zieht von der Bamberger Straße in den südlichen Bereich dieses Areals. Was die Nachnutzung der freigewordenen Flächen der Firma Ros angeht, so finden derzeit gute Gespräche statt. Wir werden Parkplätze am ICE-Bahnhof Coburg schaffen, auch wenn die DB da kein leichter Verhandlungspartner ist.
Auf dem Brockardt-Milchhofgelände wird gebaut; es entstehen ein neuer Supermarkt und ein Wohnviertel. Auch hier waren Gespräche im Hintergrund mit Eigentümern notwendig, um die Voraussetzungen für all das zu schaffen. Viele andere Dinge sind noch in Arbeit beziehungsweise werden uns in den nächsten Jahren noch stark beschäftigen: Die Generalsanierung des Landestheaters, als Folge davon - wegen der Umnutzung des Palais Kyrill - die Zusammenführung von Kinderhaus und Lutherschule zum "Bildungshaus Lutherschule". Das Bürglass-Schlösschen wird zum Beratungszentrum, weil wir dort die Betreuungsstelle, die Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen und andere Beratungsstellen ansiedeln. Dafür zieht das Sozialamt in angemietete Räume am Viktoriabrunnen. Nicht zu vergessen die Interimsspielstätte, die wir für die Dauer der Generalsanierung bauen müssen, und die Generalsanierung der Heiligkreuz-Schule, die bis 2020 dauern wird. Verwaltungsintern haben wir zum 1. November 2014 eine "Zentrale Beschaffungsstelle" eingerichtet, weil das Vergaberecht immer komplexer wird und man bei Verstößen dagegen auch Zuschüsse verlieren kann. Diese Stelle hat inzwischen schon Vergabeverfahren mit knapp 16,5 Millionen Euro durchgeführt, und sie wird heuer die elektronische Vergabe einführen. Damit sind wir schneller, als der Gesetzgeber verlangt. Eine solche Stelle ist vielerorts noch gar nicht eingerichtet. Viele Kommunen sind interessiert an unserem Know-how.
3.
Was war das bislang prägendste Projekt oder Ereignis, mit dem Sie zu tun hatten?Mit die prägendsten Ereignisse waren der Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck im Dezember 2016 und die Eröffnung der bayerischen Landesausstellung "Ritter, Bauern, Lutheraner". Darauf haben wir sieben Jahre lang hingearbeitet. Es war anfangs gar nicht sicher, dass die Ausstellung zum Reformationsjubiläum in Coburg stattfindet!
4.
Gab es schon Enttäuschungen im Amt? Das Leben ist kein Ponyhof, und Sterntaler gibt es nur im Märchen. Enttäuschungen gab und gibt es immer wieder im menschlichen, im politischen und anderen Kontexten. Ins Mark gingen auch Beleidigungen und üble Hetzattacken im Zusammenhang mit dem Thema Max-Brose-Straße. Da war einiges auszuhalten. Auch bemerke ich hier und da den Trend, sich immer mehr auf sogenannte "Gefühlte Wahrheiten" und "Alternative Fakten" zu verlassen. Bewiesene Wahrheiten werden oft einfach außer Acht gelassen. So empfinde ich zum Beispiel in Teilen die Diskussion um einen neuen Verkehrslandeplatz. Da wird immer noch das Märchen verbreitet, dass der Betrieb auf der Brandensteinsebene vollumfänglich weitergeführt werden könnte. Aber auch, dass die Prozesse immer komplexer werden und alles viel zu lange dauert, das sind Ärgernisse.
5.
Was würden Sie bis zum Ende der Wahlperiode noch gerne erreichen?In erster Linie müssen wir die begonnenen Prozesse und Maßnahmen weiter bzw. zum Ende führen und gleichzeitig neue beginnen. Status quo ist bereits Stillstand, das darf und wird es nicht geben. Wobei immer das Ziel vor Augen ist, die Stadt Coburg zu stärken, und zwar in allen Bereichen. Beispiel Verkehrsinfrastruktur: Uns ist es bereits gelungen, die anfänglich nur zwei geplanten ICE-Zugpaare ab Dezember 2017 auf drei zu erhöhen. Das kann aber nur der Einstieg in das Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn sein. Bereitstellung einer Verkehrsinfrastruktur heißt auch, dass wir einen leistungsfähigen und sicheren Verkehrslandeplatz brauchen. Das ist nichts Neues, sondern lediglich das, was seit über 50 Jahren Bestand hat, worauf sich die Firmen verlassen und bei der Auswahl ihrer unternehmerischen und standortpolitischen Entscheidungen eingerichtet haben. Das BGS-Gelände bietet sich für einen Gesundheitscampus, für ein Klinikum neuen Stils an, da der Standort Ketschendorfer Straße kaum Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Coburg muss sich weiter als attraktiver und bedeutender Wirtschafts-, Bildungs- und Familienstandort profilieren und unsere Zentralität halten. Ohne Digitalisierung in allen Bereichen wird das nicht gehen, Verwaltung 4.0 ist da das Stichwort. Wir fangen da nicht bei Null an, aber es umfasst viele Bereiche: Kommunikation und Transparenz der Verwaltung genauso wie Datensicherheit. Und wir wollen die Digitalisierung nutzen, um weitere Synergien zu heben und Doppelstrukturen abzubauen. Wir bieten auch weiter unsere Bereitschaft zur interkommunalen Zusammenarbeit an. Gute Beispiele sind hier die gemeinsame Bildungsregion und der Pflegestützpunkt mit dem Landkreis, ebenso die gemeinsame Führerschein- und Zulassungsstelle. Wo früher Defizite entstanden, sind heute Erträge zu verzeichnen. Zu nennen ist die Zusammenarbeit mit einzelnen Gemeinden im Standesamtswesen. Es gilt, Win-Win-Situationen zu schaffen.
6.
Gibt es bereits eine schöne oder lustige Anekdote, die Sie uns aus Ihrem Bürgermeisterleben erzählen können? Es kam am Anfang meiner Amtszeit immer wieder vor, dass ich als "Oberbürgermeister Norbert Kastner" begrüßt wurde, weil wir ja beide Norbert heißen. Einmal wurde ich sogar in der Ketschengasse von einem Ehepaar angesprochen: "Sie sind doch der Herr Kastner?" Ich habe natürlich Nein gesagt. Darauf die Frau: "Komisch, Sie sehen ihm total ähnlich."
Das Gespräch führte Redaktionsmitglied Simone Bastian.