Tilman Röhrig stellte in der Coburger Buchhandlung Riemann zeitgerecht seinen neuen Roman "Die Flügel der Freiheit" vor.
Dr. Martin Luther sitzt oder besser steht gekrümmt auf der Wartburg und hat Verdauungsprobleme. "Satan hat ihn wieder im Hintern geschlagen". Und Luthers Bewacher Hans von Berlepsch macht mit seiner ekligen Sauermilch alles nur noch schlimmer. Aber vor allem lässt er ihn, auf Befehl des Kurfürsten, nicht weg; da kann in Wittenberg noch so sehr der Teufel wüten. Luthers Sache droht aus dem Ruder zu laufen.
Luther allerorten und Luther in aller Geist in diesem Jubiläumsjahr. Luther erst Recht auch in Coburg und am Mittwoch bei der Buchhandlung Riemann. Tilman Röhrig war zu Gast, um seinen Luther-Roman "Die Flügel der Freiheit" vorzustellen.
Röhrig hat sich mit zahlreichen historischen Romanen zunächst für Jugendliche, dann auch für Erwachsene einen festen Platz auf dem Literaturmarkt erschrieben. Seit seinem bei Piper erschienenen Riemenschneider-Roman, mit dem er 2007 auch schon bei Riemann auftrat, gehört er endgültig zur Fraktion der aus der Masse der Historienautoren herausragenden Schriftsteller.
Eine deftige Zeit?
Röhrigs Anliegen: Alltag und Zeitumstände anschaulich darzustellen. So wie er mit Luthers Leibesbefinden beginnt, lässt er auch auf den folgenden 480 Seiten keine Gelegenheit aus, in lebendigen Szenen und Szenerien mit kleinen und großen Leuten die alltägliche Lebensbewältigung im 16. Jahrhundert vorzuführen, von der Nahrungsbeschaffung über das Management intimer Nöte junger Liebender wie Barthel und Dorothea in rigorosen Zeiten bis dann zum neuen Gedankenkosmos des Reformators.
Selbstverständlich bedient sich Röhrig der Sprache Luthers, wo immer sich Gelegenheit bietet, und die war ja bekanntlich deftig. Und Röhrig hat offensichtlich Vergnügen daran, eben das Deftige der Zeit herauszustellen. Aber wenn's doch so war. - War es so? Jedenfalls hat Röhrig zweieinhalb Jahre für den Roman investiert; an Quellenmaterial ist ja auf diesem Feld wahrlich kein Mangel.
Die Situation spitzt sich zu
Da Röhrig ausgebildeter Schauspieler ist, werden seine Lesungen durchaus auch zum darstellerischen Vergnügen, so auch am Mittwoch bei Riemann.
Wie sich der Beginn der Reformation anfühlte, wird uns im Folgenden des Romans intensiver deutlich. Der als Junker Jörg Getarnte kehrt endlich als Dr. Martin Luther nach Wittenberg zurück und trifft sich mit seinen Getreuen in der Werkstatt Cranachs. Die Situation wird zunehmend brisanter, vor allem weil sich ein Teil von Luthers eigenen Anhängern radikalisiert und zur Gewalt greift.
Luther hat sich mit falschen Propheten auseinander zu setzen, die behaupten Gott spreche unmittelbar zu ihnen, weshalb sie gar keine Bibel bräuchten. Einer der Verblendeten droht Luther ganz ungeniert: Gott selbst habe ihm gesagt, "dass über kurz oder lang solche Pfaffen wie Ihr getötet werden sollen." Aus verschiedenen Erzählebenen entwickelt Röhrig ein anschauliches Zeitgemälde. In der Auseinandersetzung mit dem sich ebenfalls radikalisierenden Thomas Müntzer dringen wir ein in grundsätzliche theologische Fragen.
Tilman Röhrig: Die Flügel der Freiheit, Piper Verlag München, 480 Seiten, 20 Euro. Tilman Röhrig wurde 1945 im Hunsrück als drittes von fünf Kindern des Pfarrers der Bekennenden Kirche Udo Röhrig geboren, der zuvor aus Köln wegen Eintretens für den Glauben, wie er ihn bei Karl Barth gelernt hatte, in den äußersten Süden der Kirchenprovinz ausweichen musste. Tilman wuchs unter einem lieblos strengen Vater, später ohne Mutter, bei einer Pflegefamilie und im Heim auf. Er absolvierte nach dem Abitur zunächst eine Schauspielausbildung in Frankfurt, wo er auch sein Bühnendebüt hatte. Es folgten Engagements in Bonn, Hannover und Köln. Nach dem Erfolg mit dem stark autobiographisch geprägten Jugendbuch "Thoms Bericht" arbeitet Röhrig seit 1973 als frei er Schriftsteller. Er verfasste zahlreiche historische (Jugend) Romane, Sachbücher, Sagensammlungen und Hörspiele. Bücher von ihm sind in neun Sprachen übersetzt. Daneben lieferte er Vorlagen für zahlreiche Radio- und Fernsehsendungen. Tilman Röhrig wohnt bei Köln.
wp