Nach dem Sieg in Melsungen folgten drei Niederlagen des HSC Coburg.Vor dem Duell am Freitag in Lemgo stellt sich der Trainer kritischen Fragen.
Ein freundlicher Gruß nach rechts, ein gezwungenes Lächeln nach links. Von der ganz großen Anspannung ist in diesem Moment jedenfalls noch nichts zu spüren, doch wenn Jan Gorr mit seinem Trainerteam zwischen den Spalier stehenden Cheerleaders schreitet, brodelt es bereits im 38-Jährigen.
Und oft dauert es auch nicht lange, bis der Handball-Vulkan in der HUK-Arena ausbricht. Am Spielfeldrand gestikuliert das Energiebündel wild, redet quasi permanent auf Schiedsrichter und Spieler ein.
Für den Trainer des HSC 2000 Coburg gibt es während des Spiels ständig Redebedarf. Kaum vorstellbar, wenn man Gorr außerhalb der Halle begegnet. Der Hobbyangler ist dann die Ruhe selbst, wirkt ausgeglichen, immer sachlich.
Und vor allem freundlich ohne seine Affinität zum Handballsport auch in diesen Augenblicken leugnen zu können, geschweige denn zu wollen.
"Ich versuche auf jeden Fall, in Ruhe vorher zu Hause noch einen Kaffee zu trinken, gehe nochmal meinen Matchplan durch. Schaue, dass ich an alle wichtigen Sachen, die man im Vorfeld beeinflussen kann, gedacht habe und dann geht's in die Halle", beschreibt er die Stunden vor einem Spiel.
Nach dem Umziehen pflegt er dann ein kleines Ritual: "Draußen zu sitzen und beim Aufwärmen zuzuschauen, ein bisschen die Atmosphäre einzufangen. Wer tickt wie, wer ist wie drauf und dann mache ich mich aber spätestens wenn das Torwart-Einwerfen ansteht, auf in die Kabine und will nochmal ein bisschen meine Ruhe haben.
Da brauche ich nicht unbedingt jemanden drum herum".
Vorbei mit "gorrischer Ruhe"
Wenn die Partie dann erst einmal läuft, ist es mit der "gorrischen Ruhe" schnell vorbei. Harsche Kritik an den Referees, Tadel für seine Spieler. Lösungsansätze, Verbesserungsvorschläge - Lob hat eher Seltenheitswert. Aufmerksamen Beobachtern blieb zuletzt nicht verborgen, dass der HSC-Chefanweiser längere Phasen bei den ersten beiden Heimspielen in der 1. Liga gegen die Rhein-Neckar Löwen oder auch gegen Leipzig mit verschränkten Armen und dabei relativ lange wortkarg an der Seite stand und mit versteinertem Blick die Aktionen verfolgte.
Haben die Niederlagen erste Spuren hinterlassen? Im Tageblatt-Interview betrieb der Handballlehrer Ursachenforschung und stellte sich dabei den kritischen Fragen der Sportredaktion.
Hallo Herr Gorr, dem Auftaktsieg folgten drei Niederlagen.
Wie ist die Stimmung in Ihrer Trainingsgemeinschaft, gerade vor dem wichtigen Spiel in Lemgo?Jan Gorr: Die Stimmung ist grundsätzlich gut und die Jungs arbeiten sehr intensiv. Natürlich wäre es angenehmer, man hätte mehr Erfolgserlebnisse aber es war ja schon im Vorfeld klar, dass genau das eben ein großer Unterschied zu den letzten Jahren sein wird. Von daher ist es wichtig, dass wir uns als Mannschaft neben den Zahlen vor allem an der Verbesserung von bestimmten Inhalten messen. Es gibt nun mal einen Qualitätsunterschied zu vielen unserer Konkurrenten. Und unser gemeinsames Ziel ist es, diesen nach und nach zu verringern.
Gegen Leipzig war mehr drin. Lassen Sie uns ein wenig Ursachenforschung betreiben. Fangen wir mit den Torhütern an. Jan Kulhanek hielt zu Beginn zwei Siebenmeter, doch dann war seine Quote schwach.
Nur sechs Paraden bei 17 Gegentoren (26 Prozent). Oliver Krechel hielt nach der Pause bis zum 15:22 auch nur einen Ball, steigerte sich erst, als das Spiel fast schon entschieden war. Seine Quote war ordentlich (10:16/42 Prozent). Trotzdem: Beide müssen sich steigern, oder?Jan Kulhanek war so lange gut, wie wir es mit unserer Abwehr geschafft haben, den Gegner unter Druck zu setzen. Leipzig hat dann zusehends bessere Abschlussmöglichkeiten herausgespielt und vor allem durch freie Kontersituationen seine Tore erzielt. Da fällt es jedem Torwart schwer, auf eine gute Quote zu kommen.
Ähnlich gelagert war es auch in der 2. Halbzeit. Zu Beginn haben wir es Leipzig zu einfach gemacht und erst im Laufe des 2. Spielabschnitts konnten wir wieder mehr Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen.
Zusätzlich hat Olli einige "Hundertprozentige" vom Gegner entschärft und dann konnte die Mannschaft auch über sich hinauswachsen und wieder zurück ins Spiel finden. Alleine hieran sieht man, dass wir nur am absoluten Leistungslimit aller Beteiligten echte Siegchancen haben.
Zum Rückraum. Von der halbrechten Position kam bisher zu wenig. Stefan Lex zeigt gute Ansätze, hat aber viel zu viele Ballverluste. An Girts Lilienfelds läuft die Saison bisher vorbei. Was muss passieren, damit die Mannschaft auch von dieser Seite mehr Gefahr und Spielwitz entwickelt?Was genug und was zu wenig ist, ist immer eine Frage der Erwartung. Wenn wir von Girts und Stefan eine Durchschlagskraft wie z.B. von Nationalspieler Steffen Weinhold erwarten dann war das in der Tat zu wenig. Aber beides sind ganz andere Spieler und auf ihre Art für unsere Mannschaft wichtig.
Ich bin sicher, dass sich beide nach einer gewissen Anpassungszeit in der ersten Liga nochmal steigern.
Initiative ergreift dagegen immer wieder Roman Kirveliavicius. In Gummersbach sah er schon vor der Pause eine vielleicht mit spielentscheidende rote Karte. Gegen Leipzig erzielte er bis zum 24:27 nur ein Tor - und das bei sieben Versuchen. Danach platzte bei ihm der Knoten. Warum so spät?Kiwi ist ein Spieler, der eine ganze Menge an Durchschlagskraft und Potenzial mitbringt. Genau deswegen haben wir ihn nach Coburg geholt und das hat er in vielen Situationen auch schon bewiesen. Und genau diese Eigenschaften sind extrem wertvoll für uns. Allerdings muss er definitiv noch konstanter werden und in manchen Situationen cleverer agieren. Das geschieht aber nicht von Heute auf Morgen. Das ist ein längerer Lernprozess.
Wenn er mit seinen Möglichkeiten insgesamt schon der komplette Handballer wäre, dann würde er vermutlich in Flensburg oder Kiel spielen, aber nicht in Coburg.
Nico Büdel konnte die glänzende Form während der Vorbereitung nicht in die Punktspiele mitnehmen. Warum? Und der zweite Mittelmann, Adnan Harmandic, spielt zunehmend "Alles oder Nichts". Ist das in Ihrem Sinne und so abgesprochen?Dass ein neuer Spieler wie Nico Büdel als Spielgestalter noch einige Zeit zum vollständigen Einspielen benötigt, ist ganz normal und wird auch noch andauern. Absprachen mit den Nebenleuten im Bundesligastress zu treffen ist naturgemäß anders als in der Vorbereitung.
Fakt ist, dass er ein echter Gewinn für unsere Mannschaft ist und wir noch viel Freude an ihm haben werden. Und bei Ado haben wir seine großen individuellen Stärken in der 2.
Hälfte gesehen, als er selbst torgefährlich war und auch aus dem Rückraum Gefahr ausgestrahlt hat. Das hatte er in der Rückrunde der letzten Saison verloren. Was mir nicht gefallen hat war die hektische Phase vor der Pause. Das kann er besser steuern, aber das weiß er selbst ganz genau und passiert ihm selten.
Auffallend ist auch, dass sich keiner der drei Kreisspieler bisher entscheidend in Szene setzte. Kelm und Hagelin beißen sich an diesen Erstliga-Abwehrverbänden die Zähne aus und Weber kommt auch noch nicht wie erhofft zum Zug. Alle drei waren gegen Leipzig schwer anspielbar und als Sperrensetzer für die Halben fehlte ihnen das Durchsetzungsvermögen. Wie wollen Sie das ändern?Eine der Hauptaufgaben der Kreisläufer im Handball ist es, vor allem für die Rückraumspieler Räume zu schaffen.
Wenn daraus dann im Weiterspielen eine gute Torgelegenheit über den Kreis selbst entsteht ist das natürlich umso besser. Dieses gute Weiterspielen fällt uns momentan noch schwer. Wir laufen uns zu schnell fest und kämpfen teilweise aussichtslose Kämpfe mit unseren Gegnern. Da ist noch mehr Raffinesse und, wie schon oft betont, Präzision nötig. Das sieht man sehr deutlich. Aber es reicht nicht, nur darüber zu reden. Diese Sachen müssen wir auf dem Platz zeigen und beweisen.
Die Stimmung in der Halle war trotz der Niederlagen gegen die "Löwen" und gegen Leipzig fantastisch. Die Fans stehen voll hinter dem Team und verzeihen bisher auch die Schwächephasen.
Verstehen Sie die Sorgen Ihres Geschäftsführers Steffen Ramer, der von der Resonanz enttäuscht ist und gegen Stuttgart endlich eine volle Halle fordert?Natürlich haben wir den Wunsch, noch mehr Fans in die Halle zu bekommen. Die ersten drei, vier Spieltage hatten wir in den letzten Jahren immer nur knapp 2000 Fans aufgrund von Ferien, Urlaub etc. Im Vergleich haben wir in dieser Saison ca. 500 Zuschauer mehr. Das finde ich nicht so schlecht.
Und was die Stimmung in der Halle anbetrifft so ist es in der Tat fantastisch.
Am Freitag Lemgo und dann zu Hause gegen Stuttgart. Die dabei zu vergebenen Punkte sind im Abstiegskampf besonders wichtig.
Aber ist es nicht übertrieben, wenn extern, aber überraschend auch intern beim HSC bereits nach vier Spieltagen von Schicksalsspiele gesprochen wird? Alle waren sich doch bewusst, dass es eine extrem schwere Saison wird.Intern weiß beim HSC jeder, dass wir in dieser Saison vom 18. und damit letzten Tabellenplatz in die Saison starten. Und deswegen haben wir jetzt auch keine Schicksalsspiele. Das wissen auch unsere Fans. Wir sind mit Coburg Teil der stärksten Liga der Welt und wir werden um diesen Platz mit allen unseren Möglichkeiten kämpfen. Favorit sind wir in dieser Saison in keinem Spiel. Auch das ist ein Unterschied zu den letzten Jahren...
Die Fragen stellte
Christoph Böger