Nach dem Ende des fünften Tages der 65. Internationalen Filmfestspiele in Berlin fangen allmählich die Spekulationen an: Wer sind die großen Bären-Favoriten?
Welche vorher heiß gehandelten Kandidaten sind (vermeintlich, denn letztlich entscheidet ja eine unabhängige Jury) aus dem Rennen? Erstaunlich mittendrin sind in dieser munteren Vorhersagerei auch die deutschen Wettbewerbsbeiträge: "Als wir träumten" von Andreas Dresen und "Victoria" von Sebastian Schipper.
Rasende Fahrt durch die Nacht Es ist zwei Filme, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Während "Victoria", ein gelungener cineastischer Versuch mit einer 140-minütigen Kamerafahrt ohne einen einzigen Schnitt, ein klassischer Film für ein Festival und kaum darüber hinaus ist, wird "Als wir träumten" seinen Weg in die deutschen Kinos machen - er hat Ende Februar Bundesstart.
Wobei diese Einschätzung auf keinen Fall heißen soll, dass "Victoria" kein spannender Film ist. Schippers rasende Fahrt durch die Berliner Nacht (okay, das mit den Berliner Nächten ist schon ein alter Hut) zieht das Publikum in seinen Bann. Nach einem zähen Einstieg verfolgt der Zuschauer vier junge Männer, die gemeinsam mit der jungen Spanierin Victoria (die allerdings nicht ganz freiwillig) einen Bankraub durchziehen.
Neue Freiheit genießen Für seinen Film sollte Schippers auf jeden Fall ein Fleißkärtchen bekommen, denn es gehört bestimmt großes Organisationstalent und Akribie bei der Vorbereitung dazu, einen 140-minütigen Handlungsfaden quer durch Berlin in Echtzeit zu drehen. Da sind schon viele Filme mit viel mehr Zeit und viel mehr Schnitten viel schlechter gewesen.
Mit Spannung erwartet und mit großem Applaus verabschiedet wurde am Montag Abend bei der Gala-Vorstellung im proppenvollen Berlinale-Palast (mit 1800 Plätzen derzeit wohl Deutschlands größtes Kino) der neue Film von Andreas Dresen. "Als wir träumten" nimmt das Publikum, zugegeben nicht das erste Mal in der Berlinale-Geschichte seit 1989, mit in die Zeit der deutschen Wiedervereinigung. Immerhin: Nicht mit nach Berlin, sondern nach Leipzig - das ist doch schon mal was.
Dani, Rico, "Pitbull" und Mark sind vier Oberschüler, deren Leben durch die unbeschreiblichen Ereignisse der Wende über den Haufen geworfen wird. Sie genießen die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen, machen erste Erfahrungen mit Drogen, mit Skinheads leider auch, und träumen davon, ganz einfach einmal "die Größten" zu werden.
In Zeit des Umbruchs Wo und wie das gehen soll - ach, das wird das Leben schon bringen. Es bringt es halt nicht: Wie wahrscheinlich zu viele jungen Menschen in dieser Generation, gehen die Leipziger Vier in der Zeit des Umbruchs verloren. Klar ist "Als wir träumten" ein klassisch deutsches Thema. Viele der internationalen Besucher werden mit Dresens (ab und an ein bisschen zu klischeebehafteten) Szenen aus der DDR der Endzeit nicht viel anfangen können. Aber sie sehen dank einer großartigen Besetzungsliste interessante Charaktere: Mark, zum Beispiel, der für sein Leben mit Vollgas am Ende bitter bezahlt.
Gespielt wird der Hitzkopf des Quartetts vom jungen Schweizer Joel Basman, der erst im Herbst bei den Hofer Filmtagen für "Wir sind jung. Wir sind stark" gefeiert wurde. Aber auch sein drei jungen Kollegen (Merlin Rose, Julius Nitschkoff und Marcel Heuperman) sind Namen, die man sich merken soll.
Zweimal wird Deutschland nun bei der Berlinale noch die große Bühne bekommen: Wim Wenders präsentiert am Dienstag Abend seinen neuen Film "Every thing will bei fine", am Donnerstag ist Oliver Hirschbiegels Biografie "Elser" über den Hitler-Attentäter zu sehen.
Einen Bären werden beide Filme nicht gewinnen, sie laufen außer Konkurrenz. Aber wer "Victoria" und "Als wir träumten" gesehen hat, kann sich schon vorstellen, dass bei der Preisverleihung am Samstag der eine oder andere Bär im Lande bleibt.