Die Firma Gaudlitz feiert nächstes Wochenende 80. Geburtstag - aber es musste sich ändern, um zu überleben, sagt Geschäftsführer Niels Roelofsen.
Hanseatisch, geradeheraus, klar in seinen Aussagen: So sieht Niels Roelofsen sich selbst, und so gibt er sich auch im Tageblatt-Gespräch. Seit Jahresbeginn 2014 ist er der Geschäftsführer bei Gaudlitz in
Coburg. Eine Herausforderung: Das Unternehmen schrieb rote Zahlen, Roelofsen sollte es wieder zum Erfolg führen. Das, sagt er, sei gelungen - trotz mancher Widerstände.
Herr Roelofsen, wenn Sie jemandem in drei Sätzen erklären müssten, was Gaudlitz macht, was würden Sie sagen?
Niels Roelofsen: Wir stellen präzise Kunststoffteile her. Wir stellen international her, wir haben Standorte in Tschechien und China. Präzise Kunststoffteile fertigen, jeden Auftrag termingerecht abarbeiten, das können andere auch. Wir aber fangen schon weit vorher an, nämlich bei der Entwicklung gemeinsam mit dem Kunden, beispielsweise in der Substitution von Metall durch Kunststoff. In den letzten Jahren wurden viele neue Werkstoffe entwickelt, deren Eigenschaften auch bei der Konstruktion und der Herstellung der Werkzeuge berücksichtigt werden müssen. Wir unterhalten eine große Entwicklungsabteilung mit eigenem Messlabor. Wir verstehen uns als Problemlöser für technisch hoch anspruchsvolle Bauteile und können diese dann auch prozessstabil in Großserie fertigen in gleichbleibend hoher Qualität. Das Feedback, das wir bekommen, sagt uns, dass wir manches besser können. Wir können unsere Fähigkeiten auch zu wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten. Gerade im Automobilsektor ist dies eine stetige Herausforderung
Gaudlitz gehört laut der Homepage seit 1992 zur Wasag, ist heute ein Teil der H&R & Co KG aA, bezeichnet sich aber immer noch als "Familienunternehmen". Warum?
Ganz früher hieß das Unternehmen Hansen-Rosenthal. Mehrheitseigentümer ist die Familie Hansen in Hamburg. Dass es sich um ein Familienunternehmen handelt, erkennt man an der langfristigen Ausrichtung. Wir denken nicht nur in Quartalen, sondern in längeren Zeiträumen. Wir hatten hier bei Gaudlitz 2012, 2013 bis in 2014 hinein sehr schwierige Jahre. Ich wurde bestellt, um die Umstrukturierung in den drei Gaudlitz-Standorten zu erarbeiten und umzusetzen, was uns mit Abschluss des Geschäftsjahres 2015 auch gelungen ist. Ein Investor, der nur auf Quartalszahlen schaut, hätte da vermutlich schon viel früher die "Reißleine" gezogen. Es zeichnet einen langfristig orientierten Familienbetrieb aus, auch in schwierigen Zeiten Verantwortung für die Mitarbeiter zu zeigen. Wir sind einer der sieben großen Arbeitgeber in Coburg. Wir haben in einer schwierigen Phase 2014/15 ohne betriebsbedingte Kündigungen, ohne Entlassungswellen restrukturiert. Wir wollten die Kompetenz im Unternehmen halten und erhalten. Diese steckt in den Köpfen der Mitarbeiter.
Beliebt sind in solchen Fällen auch Betriebsverlagerungen. Aber Coburg ist weiterhin der größte Gaudlitz-Standort. Welche Vorteile bietet Coburg, die Wuxi in China und Dacice in Tschechien nicht bieten können?
Nun, Wuxi und Dacice bringen gewisse Vorzüge mit sich. Es war leichter, die Standorte in China und Tschechien zu restrukturieren. Die Belegschaft war kleiner, jünger, von der Mentalität aufgeschlossener gegenüber Veränderungen. Wuxi hatte den Turnaround Mitte 2015 geschafft, Coburg erst Ende 2016. Aber wir haben hier langjährige Mitarbeiter, sehr viel Kompetenz und Know-how, mit dem ich die ausländischen Standorte unterstütze. Und wir verkaufen im Ausland auch das Thema "Made in Germany" im positiven Sinne: Attribute wie Qualität, Pünktlichkeit, Präzision. Das erwarten unsere Kunden in Asien, Europa und Nordamerika. Wir gelten als organisiert, planvoll, akribisch. Andernorts greift man bei Problemen zum "Heftpflaster". Unsere Mentalität zeichnet es jedoch aus, Probleme tiefgründig zu analysieren und abschließend zu lösen. Zudem haben wir in Coburg den eigenen Formen- und Werkzeugbau, die Entwicklung, alles unter einem Dach
Was müsste in Coburg oder in Deutschland geschehen, damit Gaudlitz seine Marktposition halten kann? Stichworte: Industrie 4.0, Fachkräftenachwuchs, Entwicklungen Weltmarkt, Entwicklung Automobilindustrie?
Fachkräfte sind ein Thema. Ich habe bei der jüngeren Generation gelegentlich den Eindruck, dass Tiefgründigkeit oder die Bereitschaft sich selbst etwas zu erarbeiten ausgeprägter sein könnte. Schwierig ist es auch, weil wir am Standort Coburg im Wettbewerb zu attraktiven Arbeitgebern stehen. Dabei wird gern übersehen, dass wir anspruchsvolle Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten bieten, sowie die Möglichkeit, international tätig zu sein - es sind nicht immer nur die großen Unternehmen, wo es die spannenden Aufgaben gibt. Wir geben Verantwortung in Abteilungen, an die Mitarbeiter, auch an die jungen. Wir haben dafür gesorgt, dass jung und alt zusammenarbeiten und dabei voneinander profitieren. Die jüngere Generation will Dinge auch mal anders machen, Fehler sind dabei nicht ausgeschlossen. Aber sie regen die erfahrenen Mitarbeiter an, auch mal anders zu denken und neue Wege zu beschreiten.
Unter Industrie 4.0 verstehen ja alle etwas anderes. Wir haben es für uns als die Digitalisierung von Prozessen definiert. Davon haben wir schon einiges umgesetzt, beispielsweise haben wir im Einkauf die Prozesse analysiert, restrukturiert und weitgehend digitalisiert. Natürlich werden wir auch weiter Prozesse digitalisieren sowie automatisieren, und das gilt auch für die Standorten in China und Tschechien.
Sie arbeiten also auch an einer neuen Unternehmenskultur.
JJa. Viele der Themen, die ich angepackt habe, sind für Mittelständische Unternehmen unserer Größenordnung selbstverständlich. Wir hatten zum Beispiel Jahrzehnte lang an der Ausbildung nichts geändert, während woanders bereits die Auszubildenden voll im Tagesgeschäft eingebunden waren - das haben wir zeitgemäß angepasst.
Meine erste Begegnung mit Gaudlitz hatte ich bereits 2003 und fand ein sehr erfahrenes, technisch hervorragendes Unternehmen vor. Schon damals war erkennbar, dass die einen oder anderen Veränderungen in Bezug auf das umfangreiche Produktspektrum oder Agilität erforderlich waren. Damals war die Bereitschaft zu notwendigen Veränderungen noch nicht gegeben. Heute haben wir den Mut und die Bereitschaft flexibel, innovativ und agil zu handeln im Unternehmen geweckt. Wir lassen da wenig unversucht. Denken ist ausdrücklich erlaubt, neue Ideen erwünscht. Denn am Ende werden nicht die Großen die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die Langsamen . Veränderung beginnt in den Köpfen.
In 20 Jahren wird Gaudlitz 100 - was wäre Ihr Wunsch, was die Geschäftsführung 2037 über die Zeit sagt, als Sie das Unternehmen führten?
Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahren versucht, das Unternehmen aus dem "Gestern" in das "Heute" zu führen. Da sind wir angekommen. Wir haben jetzt festen Boden unter den Füßen, so dass wir zum Sprung nach vorne ansetzen und wachsen können. Wir werden spätestens nächstes Jahr mit einem Standort in Nordamerika aktiv sein. Wir werden weitere Märkte, über China hinaus, in Asien erschließen. Wir haben nun den Claim " Plastic Technologies", und nicht mehr "Präzision in Plastik", weil wir uns in den Technologien weiter vorarbeiten wollen. Ich schließe nicht aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren in weiterführenden Technologien aufgestellt sind, oder gar andere Werkstoffe verarbeiten. Sicherlich wird es Elektromobilität geben, aber die Entwicklung in den nächsten Jahren wird generell dahin gehen, Automobile leichter zu gestalten. Da ist Kunststoff sehr weit vorne. Und wir sehen Chancen im Bereich System-Komponenten. Wenn Sie uns in 20 Jahren zum 100 jährigen Firmenjubiläum besuchen, dann wird mein Nachfolger hoffentlich sagen können, dass wir in 2017 den ein oder anderen richtigen Schritte gewagt haben.
Das Unternehmen Gaudlitz
Geschichte Oskar Gaudlitz gründete das Unternehmen zur Duroplastverarbeitung 1937 im Kanonenweg. Nach seinem Tod 1945 führen seine Kinder Elisabeth und Karl das Unternehmen weiter. Sie etablieren 1949 den eigenen Werkzeug- und Formenbau und bauen 1955 ein neues Werk an der Callenberger Straße. 1958 kommt die Verarbeitung von Thermoplast-Kunststoffen dazu, 1970 entsteht das markante fünfstöckige Betriebsgebäude mit dem Buntglasfenster. Auch in den Folgejahren expandierte das Unternehmen: 1986 wurde das Ausbildungszentrum eingerichtet, 1991 die neue Halle für die Thermoplastverarbeitung eingeweiht. 2004 ging das Werk in Wuxi (China) in Betrieb, 2007 folgte die Produktionsstätte in Dacice (Tschechien).
Eigentümer 1992 verkaufte die Familie Gaudlitz das Unternehmen an die Wasag Chemie AG mit Sitz in Essen, die sich damals neu ausrichtete. Die Wasag war ein führender Sprengmittelhersteller gewesen, 2001 wurde die Wasag mit der zur H & R-Gruppe gehörenden Schmierstoffraffinerie Salzbergen GmbH verschmolzen. Inzwischen führt der H&R-Konzern Gaudlitz als eigenes Unternehmen in der Sparte Kunststoffe. Die H&R selbst hat bei ihrer Gründung 1919 als Schwerpunkt den An- und Verkauf von Weißölen und Vaseline. Schon bald gesellen sich eigene Raffinerien und die Entwicklung von chemischen Produkten aus Rohöl dazu - inzwischen werden laut H&R-Homepage über 800 Produkte hergetellt und verarbeitet.