Coburger Sexualstraftäter kannte Raum für seine Flucht genau - Polizei wegen Fußfessel unter Druck

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Coburg: Sexualstraftäter musste außerhalb des Saals keine Fußfessel tragen - "eigentlich üblich"
Der geflohene Sexualstraftäter kannte sich am Gericht gut aus - und er musste keine Fußfessel außerhalb des Saals tragen.
Coburg: Sexualstraftäter musste außerhalb des Saals keine Fußfessel tragen - "eigentlich üblich"
NEWS5 / Fricke (NEWS5)

Wie konnte dem mittlerweile gefassten Sexualstraftäter aus Coburg die Flucht aus dem Gericht gelingen? Zwei Punkte haben hierbei offenbar eine entscheidende Rolle gespielt.

Es war eine von vielen kritischen Fragen begleitete gemeinsame Pressekonferenz des Polizeipräsidiums Oberfranken und der Polizeiinspektion Coburg am Dienstagmittag (21. Februar 2023) - obwohl die Verantwortlichen eigentlich einen Erfolg vermelden konnten. Denn nur kurze Zeit zuvor, genauer gesagt, um 11.20 Uhr konnte der verurteilte Sexualstraftäter nach seiner Flucht aus dem Gericht  in Grub am Forst (Kreis Coburg) in der Ebersdorfer Straße festgenommen werden. 

Der 47-Jährige war am Vortag kurz vor seiner Verurteilung während einer Verhandlungspause aus dem Gericht geflohen und fast 24 Stunden nicht auffindbar gewesen. Die Umstände seiner Flucht setzen auch die bayerische Politik unter Druck - denn erst im Januar gelang es einem Mörder in Regensburg während des Prozesses unter ähnlichen Umständen zu türmen. "Es ist nicht hinnehmbar, wenn Gefangenen die Flucht aus bayerischen Gerichten gelingt. Sicherheitslücken sind nicht akzeptabel", hatte der bayerische CSU-Justizminister Georg Eisenreich nach dem Vorfall verkündet. Tatsächlich ergeben sich bei genauerer Betrachtung der Flucht mehrere Fragen hinsichtlich der Sicherung des 47-Jährigen. 

Bürger meldet Sichtung von Sexualstraftäter der Polizei - "auffällig benommen"

"Ein aufmerksamer Bürger hat festgestellt, dass sich eine Person in der Gemeinde Grub am Forst auffällig benommen hat", erklärte Georg Schmelzer, Leiter der Abteilung Einsatz beim Polizeipräsidium Oberfranken, im Rahmen der Konferenz.  "Der Mann hat immer wieder das Gesicht verdeckt, was dem 31-Jährigen verdächtig vorkam, weshalb er den Notruf wählte." Der 47-Jährige sei schließlich in einem Buswartehäuschen von der Polizei angesprochen worden und habe daraufhin zum zweiten Mal die Flucht ergriffen.

"Nach 50 Metern haben ihn die Kollegen in einem Feld einholen können. Wir gehen davon aus, dass der Aufenthalt im Wartehäuschen kein Zufall war, sondern dass er versucht hat, mit dem Bus und auch dem nahegelegten Bahnhof weiter zu flüchten", äußerte sich Schmelzer. Seit Dienstag seien 400 Einsatzkräfte aller oberfränkischen Einsatzstellen und der Bereitschaftspolizei involviert gewesen, auch mit speziell ausgebildeten Spürhunden und per Hubschrauber wurde gefahndet. Der Verurteilte "hatte sein Aussehen stark verändert, der Bart war weg und auch die Haartracht war stark verändert", so der Beamte. "Ich hätte mir schwergetan, ihn zu erkennen", so Schmelzer weiter.

Nun werde geprüft, ob es Helfer oder Helferinnen gegeben habe. "Er muss sich ja irgendwo rasiert haben", sagte der Polizist. "Wir sind froh, dass uns dieser Fahndungserfolg geglückt ist. Nichtsdestotrotz bleiben viele Restaufgaben, das sage ich deutlich", äußerte sich der Abteilungsleiter. Man wolle "die Umstände der Flucht akribisch untersuchen und aufklären" und habe dazu auch "mit den Kollegen, die für die Vorführung zuständig waren, gesprochen". Schmelzer selbst habe sich die Örtlichkeiten im Coburger Landgericht am Dienstag angesehen. "Es ist alles sehr schnell gegangen", sagte er.

"Für Sicherung verantwortlich": Angeklagter trägt keine Fußfessel außerhalb des Saals - Polizei unter Druck

Die Polizei gehe aber "eher davon aus, dass es ein spontaner Entschluss in der dritten Verhandlungspause war, der mit Blickrichtung auf das bevorstehende Urteil und das hohe Strafmaß, gefällt wurde". Man habe daher vermutet, "dass sich der Gesuchte noch im Raum Coburg bewegte". Inwiefern bereits erste Versäumnisse festgestellt wurden, die dem Mann, der seine beiden Töchter (12 und 16 Jahre alt) nach Sicht des Gerichts sexuell missbraucht hat, zur Flucht verhalfen, dazu äußert sich die Polizei nicht konkret - weder bei der Konferenz noch auf Nachfrage. "Wie die Flucht genau abgelaufen ist, ist Gegenstand polizeilicher Ermittlungen", erklärt eine Sprecherin. 

"Außerhalb des Gerichtssaals ist die Polizei für die Sicherung verantwortlich", bestätigt sie jedoch. Hierbei habe es sich um eine Streife aus Kronach mit zwei Beamten gehandelt, wie Christian Barthelmes, Anwalt des verurteilten Mannes, gegenüber inFranken.de bestätigt. Barthelmes selbst sei in der dritten Verhandlungspause auf Toilette gewesen, als er plötzlich laute Rufe aus dem Gerichtssaal gehört habe. "Ich hatte eine Pause zur Prüfung der rechtlichen Hinweise beantragt. Schon aus der Toilette konnte ich hören, dass im Gebäude ordentlich was los war." Danach habe man ihm mitgeteilt, dass sein Mandant "weg ist". 

Als Barthelmes den Saal verlassen hatte, sei der 47-Jährige noch auf seinem Platz gesessen - ohne Fußfessel. "Wenn keine besondere Fluchtgefahr besteht, ist es üblich, dass dem Angeklagten die Fußfessel während der Verhandlung abgenommen werden", sagt Rechtsanwalt Barthelmes. Wie ein Sprecher des Landgerichts Coburg gegenüber inFranken.de erläutert, habe der Sexualstraftäter schließlich den Wunsch geäußert, auf Toilette zu gehen. "Eigentlich ist es üblich, dass ihm dann die Fußfessel wieder angelegt werden. Hätte er diese getragen, muss man bezweifeln, ob er es geschafft hätte, durch das Fenster zu flüchten", so der Sprecher des Gerichts. Diese Entscheidung - sie wurde offenbar durch die Polizeibeamten getroffen - rückt nun immer mehr in den Vordergrund der Aufklärung der geglückten Flucht aus dem Gebäude. 

47-Jähriger kannte den Zeugenraum im Landgericht Coburg - "Ursache nicht alleine das Fenster"

Dass sie geplant war, glaubt aber auch Anwalt Barthelmes nicht. "Mein Mandant hält sich nach meiner Überzeugung für zu Unrecht beschuldigt. Seine Töchter hatten am zweiten Verhandlungstag ihre Aussagen widerrufen. Die Sachverständige ist aber zu dem Schluss gekommen, dass man die alten Aussagen für glaubhaft erachte. Angesichts dessen habe ich meinem Mandanten mitgeteilt, dass aus meiner Sicht mit einer Verurteilung zu rechnen ist. Das hat wohl zu einem Kurzschluss geführt", so der Verteidiger.

Der 47-Jährige habe den Zeugenraum von einer Besprechung am ersten Verhandlungstag gekannt. "Hier mussten wir uns zurückziehen, weil es am Landgericht Coburg kein Anwaltszimmer gab", sagt Barthelmes. Beim zweiten und dritten Verhandlungstag sei der damalige Angeklagte gleichzeitig "ein freier Mann" gewesen, weil das Gutachten damals noch nicht vorlag und "kein dringender Tatverdacht mehr bestand". Hier hätte der Mann also durchaus die Chance gehabt, sich den Raum noch deutlicher einzuprägen. 

Dort riss er laut Polizei mit Gewalt an dem verschlossenen Fenster - und konnte dieses schließlich öffnen. Ein eklatanter Sicherheitsmangel? "Ich glaube nicht, dass man damit gerechnet hat, dass da einfach jemand raus kann", sagt der Sprecher des Landgerichts. "Es handelt sich um einen Türhebel mit Schloss, das abgeschlossen war. Gitterstäbe gibt es aber nicht." Nun müsse man sich "natürlich Gedanken darüber machen, ob das so ausreicht." Beim Landgericht Coburg sieht man allerdings als "Ursache nicht alleine das Fenster" und verweist auf die abgenommene Fußfessel. Die Polizei will sich nach der geglückten Festnahme nun genauer ansehen, wie die Flucht so einfach gelingen konnte. "Dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen soll, ist logisch", erklärt Abteilungsleiter Schmelzer. Jetzt wartet die Öffentlichkeit darauf, dass dieser Bekundung Taten folgen.  

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