So durfte wer wollte bei Mephistos verwegener Geldschöpfung auch an EZB-Chef Draghi und seine ultralockere Geldpolitik denken.
Rohstoff für Assoziationen
Glücklicherweise zwangen Al Khalisi und Broll-Pape Goethes Menschheitsparabel nicht in das enge Korsett einer bis ins Detail ausformulierten Gegenwartskritik. Vieles blieb Anspielung, dem Zuschauer überlassener Rohstoff für freies Assoziieren.
Und dennoch: In seiner Genusssucht, die keinen Aufschub duldet, und seinem Machbarkeitsglauben, der blind ist für dessen Nachtseiten, war unmissverständlich der Gegenwartsmensch adressiert. Konsequenterweise steckte Bühnenbildnerin Trixy Royek Faust und Mephisto in den Casual Chic unserer Tage: Chinos, Pullover, teure Sneakers. Anders als bei Goethe ist der Bamberger Faust auch kein Ausnahmemensch. Wie Mephisto ist er eine Durchschnittstype.
Nur sollte man die Durchschnittlichkeit ihrer Figuren nicht mit einer schauspielerischen Blässe Ullrichs und Wehlans verwechseln. Gerade weil ihr Spiel nicht in exzentrische Selbstverausgabung kippte, rückte Wehlan seinen Mephisto und Ullrich seinen Faust den Zuschauern nahe.
In der Tragödie zweiter Teil lässt Goethe in Szenen zersplittern, was im ersten Teil noch dramaturgisch dicht gewirkt ist. Das hatte Folgen für die Bamberger Inszenierung. Wer aus Schule oder nachholender Lektüre nicht mindestens grob über "Faust II" orientiert war, drohte sich am Freitag in dessen verschwenderischen Kulissen zu verlaufen. Um im Reigen der Figuren und Bezüge nicht Geduld und Lust zu verlieren, mussten die zeitweilig Orientierungslosen unter den Zuschauern Halt bei berückenden Bildern suchen. Es gab sie gottlob in ausreichender Zahl:
Helena (Carlotta Freyer) hinter Glas; Euphorion (Denis Grafe) mit Raketenantrieb um die Schulter; eine Videoeinspielung, die in graustichiger Militärästhetik Raketenangriffe zeigt; Goethe schließlich, dem Broll-Pape im Kostüm eines Wanderers einen Auftritt bei den tattrig alten und zugleich der Zeitlichkeit enthobenen Baucis und Philemon spendierte.
Geschlossene Leistung
Die Premiere trug das Ensemble gemeinsam auf den Schultern. Im Jargon der Sportberichterstattung wäre von einer geschlossenen Mannschaftsleistung die Rede. Keiner spielte die anderen an die Wand, auch die kraft ihrer Rollen im Mittelpunkt stehenden Wehlan und Ullrich reihten sich ins Ensemble ein.
Am ehesten noch Ewa Rataj ragte heraus, ihrer Ausstrahlung und kristallklaren Sprache wegen. Einige Schauspieler schienen sich erst nach der Pause von Druck und Anspannung freigespielt zu haben. Die Körperhaltung straffer, die Aussprache deutlicher, die Präsenz intensiver. Am größten war die Verwandlung bei Carlotta Freyer und Clara Kroneck.
Von Beginn eins mit seinem Können war Daniel Klein. Am Schlagzeug untermalte er die Szenen nicht nur. Er dramatisierte sie, rhythmisierte und schärfte sie zu. Dass Klein mit den Schauspielern gleichberechtigt auf der Bühne saß, unterstrich seine künstlerische Bedeutung.
Am Ende applaudierte das Publikum nicht nur verdientermaßen lang den Schauspielern und der Regisseurin, sondern vielleicht ein wenig auch sich selbst. "Faust 1 in 2" bedeutete anspruchsvolle Geistesarbeit. "Faust 1 in 2" bedeutete aber gerade deshalb eine befriedigende Erfahrung.
Im geistig-schöpferischen Tätigsein liegen Sinn und Selbstgenuss. Das erkannte in der Sekunde seines Todes Heinrich Faust. Ensemble und Publikum erwiesen sich dieser Erkenntnis am Freitag als würdig.