Ein Lehrer aus Dreuschendorf im Landkreis Bamberg erkundet Europa regelmäßig mit dem Fahrrad. Diesmal war Baku das Ziel.
Wenn unsereins schon nach zehn Kilometern mit dem Fahrrad außer Puste ist und eigentlich schon längst mit einem E-Bike liebäugelt, dann lächelt Heinrich Bickel nur freundlich. Der 48-jährige Realschulfachlehrer für Werken und Informationstechnik an der Realschule Ebermannstadt fährt bei seinen Touren am Tag manchmal bis zu 300 Kilometer mit seinem alten italienischen Rennrad, Baujahr 1988. Radfahren ist für ihn seit der Grundschule "sein Sport" und "seine Leidenschaft".
Viele europäische Hauptstädte hat er bereits mit seinem Fahrrad erkundet und auf dem Weg dorthin immer Orte mit geschichtlicher beziehungsweise weltpolitischer Bedeutung besucht. So unter anderem Stalingrad, das KZ Auschwitz, die Wolfsschanze, die Sperrzone von Tschernobyl oder Srebrenica, wo es 1995 zum Massaker an 8000 Bosniern kam.
Nachdenkliche Momente
Der bedrückendste Ort, den er je besucht hat, war für ihn als Lehrer jedoch auf seiner diesjährigen Reise die Turnhalle von Beslan in Nordossetien. 2004 kam es hier zu einer Geiselnahme von knapp 1000 Menschen, überwiegend Schüler, durch tschetschenische Terroristen, die von einem russischen Kommando blutig beendet wurde. Dort findet man die Fotos der toten Kinder, mit ihren Namen, Geburtsdaten, ihren Kuscheltieren und kleinen Wasserflaschen, da sie die tschetschenischen Terroristen haben verdursten lassen. Die Mutter eines der getöteten Kinder bedankte sich auf dem nahe gelegenen Friedhof sogar bei ihm für die Anteilnahme nach so langer Zeit.
In den letzten zehn Jahren ist Bickel rund 30 000 Kilometer durch Europa und Vorderasien geradelt und weiß, wie es funktioniert, diese Länder zu bereisen. Neu war für ihn nur Aserbaidschan, die anderen Länder hat er schon mehrfach durchkreuzt, immer auf anderen Routen.
Ausgehend von Buttenheim ging es dieses Jahr durch die Tschechische Republik, Polen und die Ukraine bis an den Don. Dann Richtung Süden über Rostow am Don nach Sotschi am Schwarzen Meer. Von dort aus erkundete er die Kaukasusrepubliken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Nordossetien, Inguschetien und Tschetschenien mit seiner Hauptstadt Grosny. Den Kaukasusgürtel überquerte Heinrich Bickel am Jvaripass bei Wladikawkaz auf über 2395 Meter, um in die georgische Hauptstadt Tiflis zu gelangen und von dort aus Aserbaidschan und schließlich Baku nach 5750 Kilometern zu erreichen - und das in knapp vier Wochen.
Für solche Touren braucht er eine unerschütterliche Moral und Ausdauer. "Vom ersten Tag an müssen Kopf, Körper und Material eine Einheit bilden", weiß Bickel. Man sei Tausende Kilometer weit weg in einer ganz anderen Welt. So erzählt der 1,90 Meter große Radfahrer vom "unsichtbaren Feind des Radfahrers, dem Gegenwind" auf den "endlosen Geraden, von denen man kein Ende sieht, weil die Luft vibriert vor Hitze". "Manchmal fährt man stundenlang auf Straßen, wo man denkt, man sitzt auf einer Rüttelplatte, und in manchen Gegenden kann man froh sein, wenn man eine geschlossene Asphaltdecke unter sich hat."
Für den Pädagogen ist das Radfahren die "intensivste Methode, Land und Leute kennenzulernen". Ein paar Höflichkeitsfloskeln und ein paar wichtige Worte in den entsprechenden Landessprachen eignet er sich bereits im Vorfeld an, um erste Kontakte herstellen zu können. Er reist ohne Navi, mit wenig Gepäck und nur mit einer kleinen Auswahl an Notwerkzeugen und versucht sich immer möglichst landestypisch zu ernähren. Dann gibt es auch mal Wodka zum Frühstück, schließlich will man die Gastfreundschaft der Einheimischen nicht zurückweisen. Oder er wird von Hirten am Straßenrand eingeladen, mit ihnen ihr karges, ursprüngliches Mahl zu teilen. Nicht selten wurden ihm aus dem fahrenden Auto Fladenbrot, Obst, Süßigkeiten und Getränke gereicht.
Bickel erzählt von vielen hilfsbereiten Menschen, die zum Beispiel noch am späten Abend dafür gesorgt haben, dass er eine Unterkunft findet oder ihn einfach zu sich nach Hause einluden.
Im ehemaligen "Ostblock" übernachtet Bickel oft in sogenannten Gostinizas. In einer solchen Herberge westlich von Charkow erlebte er heuer erstmals eine gefährliche Situation, als man ihn nachts zu überfallen versuchte. Glücklicherweise konnte er den "Einbrecher" mit einigem Geschick vertreiben. "Eine absolute Ausnahme", versichert der Eurotrotter, obwohl er auch in Tschetschenien, kurz vor Grosny, von drei jungen Männern aus dem fahrenden Auto durch Pistolen ins Fadenkreuz genommen wurde. Mit "Mutterwitz" und Verstand konnte er die Situation aber im wahrsten Sinne des Wortes entschärfen. Die unzähligen Dörfer und Städte, durch die er fährt, deren Bewohner, die einzigartigen Landschaften etwa des "Wilden Kaukasus" begeistern Heinrich Bickel immer wieder aufs Neue. Auch sein Reiseziel 2016, Baku am Kaspischen Meer, beeindruckte den Pädagogen. Insbesondere gefiel ihm die sanierte Altstadt mit den Sandsteinfassaden und den engen Gassen. Dort ist der motorisierte Verkehr allein den Einwohnern erlaubt. Um die Altstadt gruppieren sich viele futuristische Neubauten und "von Armani über Tiffany bis Rolls Royce" ist dort alles zu finden.
Einmalige Erfahrungen
Diese "einmaligen und immer wieder neuen Erfahrungen" sind für den Individualtouristen der Ansporn, auch den Rest Europas zu "beradeln". Nächstes Jahr ist eine Tour nach Italien, Albanien, der türkischen Ägäisküste und Griechenland mit Endziel Athen geplant. Doch nach allen mehrwöchigen "Tortouren" ist es für ihn "immer wieder schön, vom Zug aus den Schießberg zu sehen". Denn "je schöner eine Reise war", so Bickel, "umso mehr freut man sich auf die Heimat."