Selbstversuch: Wie barrierefrei ist Bamberg?

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Sarah Dann hat sich in den Rollstuhl gesetzt und testet Bambergs Barrierefreiheit. Foto: Barbara Herbst
Sarah Dann hat sich in den Rollstuhl gesetzt und testet Bambergs Barrierefreiheit.  Foto: Barbara Herbst
 
 
 
 
 
 

Braille-Drucker, Lesegerät, ein behindertengerechtes Karussell auf dem Spielplatz: Bamberg tut viel in Sachen Barrierefreiheit. Und trotzdem stoßen Menschen mit einem Handicap in der Altstadt an viele Grenzen.

Das Lieblings-Café wäre nicht mehr das Lieblings-Café. Man kann nicht mal eben schnell mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, sondern ist bei jedem Wetter auf den Bus oder sogar aufs Auto angewiesen. Umziehen müsste man sowieso. Gut, die Problemzone "Oberarme" wäre wohl vom Tisch. Aber vor allem wäre man bei vielen alltäglichen Selbstverständlichkeiten auf Hilfe angewiesen.

Acht Stunden im Rollstuhl. Ein Perspektivenwechsel, der nicht bei allen auf Verständnis trifft: Die einen halten es für makaber und respektlos, anderen fehlt sichtlich das Feingefühl - und das Wissen -, wenn es um Inklusion und Barrierefreiheit geht. Sicherlich hätte man auch einen Tag lang einen "echten" Rollstuhlfahrer begleiten können, "aber man muss selbst in einem Rollstuhl sitzen und über das Kopfsteinpflaster in der Innenstadt fahren", sagt Medi-Team-Inhaber Bodo Schrödel.

Eine Selbsterfahrung, bei der man
durchgeschüttelt, aber vor allem wachgerüttelt wird. Wer bei dem Thema "Barrierefreiheit" mitreden möchte, muss die Augen öffnen. Hürden sind für Menschen mit einem Handicap oft erst auf den zweiten Blick eindeutig. Situationen dieser Art muss man in einem Rollstuhl zuhauf ertragen.

Gucken geht, bezahlen nicht
Erstes Beispiel: In die meisten Cafés kommt man schon irgendwie mit einem Rollstuhl rein, auch wenn man statt einem drei Plätze beansprucht. Aber auf die Toilette sollte man lieber nicht müssen. Zweitens: Gerade noch so kommt man an die Postkarte im Kartenständer vor dem Geschäft. An Bezahlen ist aber gar nicht zu denken. Zwei Treppenstufen am Eingang, blöd, wenn man sich da schon in das Motiv verguckt hat.



Eine Einführung gibt es an diesem Morgen für Insasse und Begleitperson: Bremsen, kippen, zusammenklappen ... - was sich in der Theorie simpel anhört, entpuppt sich als körperliche Herausforderung.

Obwohl man den ganzen Tag in Bewegung ist, sich der Muskelkater in Bauch und Armen schon ankündigt, ins Schwitzen kommt man nicht. Im Gegenteil: Trotz Decke, Handschuhen, Mütze, Winterjacke - man kühlt aus. Nach einiger Zeit sind die Beine starr - wie eingeschlafen, nur ohne dass es zieht und kribbelt.

Es ist ein komisches Gefühl, mehr als ungewohnt, sich von einer anderen Person durch die Gegend schieben zu lassen. Der erste Bordstein und ein einziger Gedanke: "Ich vertraue ihr." Ein erster Ruck. Schieflage. Und geschafft. Rollstuhlfahren will gelernt sein: Nicht nur als Rollstuhlfahrer selbst, sondern auch die Begleitperson steht vor einer Herausforderung.

Muskeln sind gefragt
Der erste Versuch, sich selbst voranzubringen, wirft eine Frage auf: Was sind das für Muskeln? Rechts, links, irgendwie soll es voran gehen. Einige Rollstuhlfahrer sind geübt, machen sogar Sport. "Aber eine 70-jährige Frau hat diese Kraft mit Sicherheit auch nicht mehr", verdeutlicht Bodo Schrödel vom Medi-Team die Herausforderung mit dem Gefährt.

Ein bisschen erinnert die Aktion an einen Aufenthalt im Flugzeug, zumindest das flaue Gefühl im Magen. Jede Aufzugfahrt simuliert kleine Luftlöcher. Man muss sich auf einen anderen Mitmenschen verlassen. Man kann ihm nicht ständig sagen, wie er einen zu schieben hat. Schließlich schaut es recht blöd aus, wenn er einen gar nicht mehr schiebt.

"Die Situation in den Bussen hat sich sichtlich gebessert", lobt Bodo Schrödel. Ein Zustand, der zwar trotzdem immer wieder bemängelt wird, aber kein unüberwindbares Hindernis darstellt. Vier Busfahrten an einem Tag: An der Haltestelle Lange Straße fährt ein schon ziemlich voller Bus in Richtung Uni an den Bordstein. Einsteigen unmöglich: Das Schild ist im Weg. Nur mit Gemaule bewegt der Fahrer seinen Bus auf Nachfragen weiter nach vorne.

Gerade noch so findet der Rollstuhl einen Platz. Wer einen um den integrierten Sitzplatz beneidet, liegt falsch: Alle Leute reden über einen hinweg! Obwohl positive Erfahrungen und Begegnungen mit zuvorkommenden und aufmerksamen Menschen diesen Tag prägen, muss man leider festhalten: Es sind oft die älteren Menschen, die weder ihre Hilfe anbieten noch Rücksicht nehmen. Immer wieder muss man sich anhören, was die heutige Jugend alles "Schreckliches" tut. Fakt ist aber: Die Jugend ist es, die bei dieser Aktion immer wieder überhaupt etwas tut - von der aufgehaltenen Tür oder einfach nur dem Interesse, was passiert ist.

Auf Hilfe angewiesen
Ein schnell wieder abgewendeter Blick mit der Botschaft "Ach Göttchen, das arme Mädel" hilft einem Rollstuhlfahrer ziemlich wenig. Und von wem sollen es die Kinder denn bitte lernen, wie man sich richtig gegenüber seinen Mitmenschen verhält, wenn nicht von den Eltern, der Oma oder dem Opa.

Hilfe anzunehmen, ist ja grundsätzlich nichts Schlimmes: Wenn man weiß, dass man auf die Hilfe seiner Mitmenschen zählen kann. Und wenn einen das Gefühl nicht bedrückt, dass man immerzu auf diese Hilfe angewiesen ist.

Acht Stunden im Rollstuhl. Mittlerweile ist es stockfinster draußen. Ein Licht hat der Rollstuhl nicht. Die Kommilitonen fahren alle in andere Richtungen weiter. Es ist kein schönes Gefühl, sich zu fragen, wie man in den Bus kommt. Aber wieder ist ein junger Mann zur Stelle. Und der freundliche Busfahrer von heute morgen. Er weiß sogar noch die Haltestelle. Die Busfahrt, das Aussteigen wäre geschafft. Aber es scheitert an den letzten Meter bis zur Haustür: "Wie soll ich diesen Bordstein an der Ampel runterkommen?" Das nasse Laub, die Autos - zu gefährlich.

Mit dieser Barriere endet der Selbstversuch. Einfach so steht man wieder auf seinen beiden Füßen. Wackelig und erschrocken darüber, wie selten man sich dieses Privileg der Beweglichkeit vor Augen führt.

Es folgen 116 Treppenstufen zur Wohnung. Treppe für Treppe weiß man am Ende eines derartigen Tages, was Aufzüge für junge Eltern mit Kinderwagen, ältere Menschen mit Rollator, Verletzte, die an Krücken gehen - für all die Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung - bedeuten. Am Ende des Tages ist die Hoffnung groß, dass man immer mehr Barrieren abbauen kann. Die Zuversicht bezieht sich nicht nur auf das Vorhandensein von Rampen, Aufzügen, glattem Asphalt, behindertengerechten Toiletten, Platz zwischen den Regalen in Supermärkten ... sondern im besonderen Maße auf die Barrieren im Kopf.

Am Ende des Tages haben die Eindrücke tiefe Spuren hinterlassen: Ja, man kann, nein, muss noch so viel mehr in Sachen Barrierefreiheit anpacken. Vor allem, wenn man selbst das große Glück hat, sich ohne Einschränkung fortbewegen zu können.