Premiere am E.T.A.-Hoffmann-Theater: Reichsbürger in Führerbunker-Stimmung

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Kanzler (Oliver Niemeier, M.), Innenminister (Florian Walter) und Ehefrau (Katharina Brenner) Foto: M. Kaufhold
Kanzler (Oliver Niemeier, M.), Innenminister (Florian Walter) und Ehefrau (Katharina Brenner)  Foto: M. Kaufhold

Die antisemitisch motivierten Morde von Halle im Kopf und den Sound einer x-beliebigen Björn-Höcke-Rede. im Ohr: das E.T.A.-Hoffmann-Theater bringt "Den Reichskanzler von Atlantis" auf die Bühne.

Der wahnhafte Sermon von den Ariern, dem Schicksal des deutschen Volkes und der jüdischen Weltverschwörung klang schmerzhaft vertraut bei der Premiere im E.T.A.-Hoffmann-Theater. Es waren die Zwangsgedanken des zweifachen Mörders von Halle, den in der vergangenen Woche nur eine stabile Tür am beabsichtigten Massaker in einer Synagoge hinderte.

Nach allem, was man weiß, ist Stephan B. kein Reichsbürger. Aber bis an die Zähne bewaffnet war auch er. Und auch er gibt in seiner ins Internet gestellten Selbstauskunft den Juden alle Schuld daran, dass sein Leben sich nicht so entwickelt hat, wie es sich nach eigenen Größenvorstellungen hätte entwickeln sollen. Sein aggressives Selbstmitleid eint B. mit Fürst Burkhard (Oliver Niemeier), den selbst ernannten Reichskanzler.

Geschrieben hat "Der Reichskanzler von Atlantis" Björn SC Deigner. Für das Bamberger Theater bearbeitet hat das Stück Victoria Weich, Regie führte Brit Bartkowiak. Gemeinsam verwandeln sie die Studiobühne in die autonome Zone von Reichsbürgern.

Rechtsideologisches Milieu

Nach der einschlägigen Definition des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) lehnen Reichsbürger "die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem" ebenso ab, wie sie "den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren". Etwa 18 000 Personen werden diesem rechtsideologischen Milieu zugeordnet.

Fürst Burkhard fantasiert sich in die Ahnenreihe der mit Bismarck beginnenden Reichskanzler hinein. In Wahrheit ist er ein Hanswurst, mit öligem Pferdeschwanz und schwacher Konstitution. Der kleinste Bruch mit den Routinen des Alltags überschreitet seine Kräfte. Aus Gründen der Selbstentlastung deutet er noch die kleinste Unannehmlichkeit - ein Hundehaufen im Garten! - als Ausweis der jüdischen Weltverschwörung.

Neue Kraft schöpft der vom Alltag Überforderte aus den Haaren seiner Frau Jutta (Katharina Brenner). Deren blonder Schopf durchströmt die arische Ur-Kraft Vril.

Schon optisch ruft Brenners Jutta Assoziationen mit Ellen Kositza wach. Die Publizistin, siebenfache Mutter und Ehefrau des als Rechtsintellektueller hofierten Verlegers Götz Kubitschek, gilt als weibliches Role Model der Neuen Rechten. Wie Kositza arbeitet auch Jutta an einer Rehabilitierung rechter Denkungsart. Mit Hitlerei und "Nazi-Dreck" jedenfalls will die Ehefrau des Reichskanzlers nichts zu tun haben. Der Reichsinnenminister (Florian Walter) dagegen, ein ewiger Junggeselle und hündisch unterwürfiger Typus. Wie der Reichskanzler kompensiert das eigene Ungenügen auch er durch Anmaßung, verschwörungstheoretisch unterfütterten Wahn und Gewaltfantasien: "Verbrennen, verbrennen", kreischt er.

Regisseurin Bartkowiak führt die Reichsbürger dem Publikum zum Amüsement vor. Deren Geschichte erzählt sie als Geschichte einer psychopathologischen Wirklichkeitsflucht.

So hält Fürst Burkhard Zwiesprache mit dem dunkel raunenden Geist Rudolf von Sebottendorfs (Paul Maximilian Pira). Dessen aufgeblasene Banalitäten über kosmische Wahrheiten, Vorsehung und die morsche Dekadenz der demokratischen Ordnung klingen wie Blaupausen einer x-beliebigen Björn-Höcke-Rede. Sebottendorf ist eine historisch verbürgte Figur. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs rief der antisemitische Influencer den Geheimbund "Thule-Gesellschaft" ins Leben. Thule-Netz nannte sich in den 1990ern eine digitale Kommunikationsplattform für Rechtsextreme.

Aufklärerischer Biss

In diesen historischen Grabungsarbeiten legt Deigner antisemitische Kontinuitäten frei, hier entwickelt sein schriller Humor auch aufklärerischen Biss. Am Ende durchzucken Gewehrsalven die Nacht, in ihrem Wohnzimmer steigern sich der Reichskanzler und seine Frau in Führerbunker-Stimmung hinein. "Der Reichskanzler von Atlantis" ist herrlich überdrehter Klamauk, den insbesondere Niemeier und Brenner mit übermütigem Spiel veredeln.

Dass im Kampf gegen den Rechtsradikalismus Humor allein noch kein Programm ist und dass der Kampf an anderen Orten geführt werden muss als an einem aufgeklärten Stadttheater, sollte klar sein. Wer diese Prämisse akzeptiert, darf im "Reichskanzler" ganz ohne schlechtes Gewissen über vertrottelte Judenhasser lachen.