Minderjähriger Flüchtling elternlos nach Bamberg durchgeschlagen

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Der 17-jährige Salif, Flüchtling aus Westafrika, fährt gern mit seiner "Integrationspatin" Sybille Hardt Fahrrad. Foto: Ronald Rinklef
Der 17-jährige Salif, Flüchtling aus Westafrika, fährt gern mit seiner "Integrationspatin" Sybille Hardt Fahrrad. Foto: Ronald Rinklef

Salif ist einer von 19 so genannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Bamberg. Der 17-Jährige schlug sich ohne seine Familie von Afrika bis nach Deutschland durch. Wie er werden noch mehr jugendliche Flüchtlinge ohne Verwandte in Bamberg ankommen.

Salif (17) ist ruhig. Ein stiller Kerl. Wie es seine Art ist, antwortet er bedacht auf die Frage nach dem "Warum". Obwohl die Antwort zum Schreien ist. Warum er mutterseelenallein seine Heimat Westafrika verlassen hat? "Ich war nicht in Sicherheit. Seit ich ein Kind war, hatte ich kein normales Leben. Ich wurde in den Krieg hinein geboren."

Salif spricht gut deutsch. Erst vor einem Jahr ist er in die Bundesrepublik gekommen, das Datum weiß er auswendig: 1. Juli 2013, Ankunft in München. Das zweite Datum folgt prompt: 2. Juli, nur einen Tag später, erreicht er Bamberg. Er wird hierher vermittelt. Drittes Datum: 5. Juli. Fünf Tage, nachdem er Deutschland erreicht hat, beginnt er, die Sprache zu lernen, Intensivkurs in Bamberg.

Vor kurzem hat er die Aufnahmeprüfung für die Realschule geschafft. Als er das sagt, lächelt er, wirkt ein bisschen verlegen. Salif lernt viel für die Schule, spielt Keyboard, fährt liebend gern Fahrrad. Das ist sein neues Leben, hier in Bamberg.


Freund auf Flucht gestorben

Zuhause, in Westafrika, lebt seine Mutter. Seinen Vater und seine Schwester kennt er nicht. Ohne einen verwandten Erwachsenen ist er aufgebrochen, in einer Gruppe aus Flüchtlingen. "Ich hätte tot sein können. Mein Freund ist unterwegs gestorben", berichtet Salif leise. Tagelang sei die Gruppe gelaufen, oft ohne richtiges Essen oder Trinken. Warum Salif die beschwerliche Flucht auf sich genommen hat, formuliert er in einem einfachen Satz: "Ich wollte ein richtiges Leben."

Teil dessen ist auch Sybille Hardt (52). Sie ist Salifs "Integrationspatin" und damit Teilnehmerin eines Projektes, bei dem "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge", so deren offizielle Bezeichnung, von Ehrenamtlichen unterstützt werden. Sei es schulisch oder familiär, gesucht werden Menschen, die sich für jugendliche Asylbewerber verantwortlich fühlen.

Gefunden haben sich Sybille Hardt und Salif über ein anderes Projekt: "Schüler.Bilden.Zukunft". Darin werden Bamberger Mittelschüler unterstützt, "damit ihnen der Übergang in den Beruf gelingt", erklärt Projektleiterin Regina Jans, die gleichzeitig Bereichsleitung Jugendsozialarbeit beim Don Bosco Jugendwerk ist. In diesem Projekt war Sybille Hardt bereits "Patin" und hat eine Schülerin begleitet, die allerdings abgebrochen hat. Da hat Regina Jans den Kontakt zu Salif hergestellt und aus Sybille Hardt wurde eine "Integrationspatin". "Wir haben uns auf Anhieb verstanden", sagt Hardt, die sieben Sprachen spricht und beruflich auf weltweit unterwegs ist. Sie hat mit Salif für die Schule gebüffelt, ihm aber auch die Angst vor dem Radfahren in Bamberg genommen. Die beiden sind oft gemeinsam unterwegs.

Und Salif seinerseits hat für seine "Patin" gekocht oder hilft ihr im Schrebergarten. "Ich hoffe, dass diese Patenschaft erst endet, wenn Salif eine eigene Wohnung hat und seinen Weg geht", sagt Sybille Hardt.

Einen Weg, auf den sich der junge Mann bereits gemacht hat. Nach der Realschule möchte er eine Ausbildung machen. Nach einem solchen Leben sehnen sich tausende unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die abgekürzt als "Umfen" bezeichnet werden. "2013 kamen etwas mehr als 400 ,Umfen' nach Bayern. Im ersten Quartal 2014 waren es schon 500. Die Prognosen für 2014 wurden vor kurzem auf 4000 bis 4500 hoch korrigiert", weiß Christine Behringer-Zeis, die das Stadtjugendamt leitet. Zu den 19 männlichen "Umfen", die sich derzeit in Bamberg aufhalten, werden in den nächsten Wochen noch etwa zehn neue junge Männer hinzukommen. "Wir sind in Zusammenarbeit mit den Trägern intensiv auf Immobiliensuche. Aber die Träger brauchen natürlich Personal", erläutert Behringer-Zeis. Denn: Die überwiegende Zahl der "Umfen" sei stark traumatisiert. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Sierra Leone oder Somalia.

Doch die so genannten stationären Jugendhilfeplätze in Bayern, das heißt Plätze in heilpädagogischen Wohngruppen, reichen kaum aus. "Auch bei uns in Bamberg ist es zwischenzeitlich dicht", sagt die Jugendamtsleiterin. Oft würden sich die Jugendämter aus München oder Rosenheim flehentlich an die Bamberger Kollegen wenden.

Wer hier einen Platz ergattert, wird in einer speziellen zweijährigen Berufsschulklasse unterrichtet. "Der Wechsel in eine Mittelschule ist bei einem positiven Leistungstest möglich. Aber auch nach erfolgreichem Abschluss der zweijährigen Berufsschulstufe ist die Teilnahme an den Prüfungen zum Qualifizierenden Abschluss als sogenannter Externer möglich", wie Behringer-Zeis erläutert.

Salif aus Westafrika hat es sogar an die Realschule geschafft. Er wohnt in Bambergs einziger Wohngruppe, in der ausschließlich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben - im Canisiusheim, dessen Träger das Don Bosco Jugendwerk ist. In der Wohngruppe werden "Umfen" mit Essen und Kleidung versorgt, beim Lernen betreut und die Vernetzung mit Dolmetscher, Vormund und Ausländeramt wird hergestellt. Auch die Caritas beherbergt "Umfen".

Rund 80 Prozent der stationären Jugendhilfeplätze sind laut Behringer-Zeis von deutschen Jugendlichen belegt, die restlichen 20 Prozent von minderjährigen Asylbewerbern. Sie weiß: "Das sind alles Teenager. Wenn sie nicht betreut werden, machen sie genauso Blödsinn wie unsere Jugendlichen." Auch der 17-jährige Salif wird betreut. In der Wohngruppe, und von seiner Integrationspatin. Er lernt lieber, anstatt Blödsinn zu machen. Dass er es an die Realschule geschafft habe, hänge auch mit Sybille zusammen, wie er sagt. Und dann: "Jeder kann mir Geld geben. Aber dieses Gefühl, dass meine ,Patin' wie eine Mutter für mich ist, ist viel mehr wert als Geld."