Heiner Geißler: "Die Kirchenspaltung war ein Fehler"

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Am kommenden Dienstag liest Heiner Geißler in der Bamberger Stephanskirche. Foto: Boris Roessler ,dpa
Am kommenden Dienstag liest Heiner Geißler in der Bamberger Stephanskirche.  Foto: Boris Roessler ,dpa

500 Jahre nach der Reformation würde Martin Luther in Papst Franziskus einen Verbündeten sehen und gemeinsam mit ihm an einer neuen Weltordnung arbeiten.

500 Jahren werden es 2017, dass Martin Luther seine weltumstürzenden 95 Thesen veröffentlicht hat. Die evangelische Kirche wird dieses Ereignis im kommenden Jahr mit gebührendem Aufwand feiern. Weniger zum Feiern zumute ist dagegen Heiner Geißler. Der 86-Jährige bedauert die Aufspaltung der beiden Kirchen und hält sie für ein unverändert großes Verhängnis.
Luther aber lässt er als eine der prägenden Figuren der Weltgeschichte gelten. In seinem aktuellen Buch "Was müsste Luther heute sagen?" setzt sich der ehemalige CDU-Generalsekretär mit dem theologische Erbe Luthers auseinander.
Seine Thesen stellt Geißler am kommenden Dienstag in Bamberg vor.

Was interessiert einen Katholiken wie Sie an Martin Luther?
Heiner Geißler: Ich bin Katholik, aber das Evangelische hat mich von Anfang an interessiert. Protestanten wie Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller oder auch Richard von Weizäcker haben mich beeindruckt. Auf der anderen Seite war ich erstaunt über Bismarcks Kulturkampf, der gegen die Katholiken gerichtet war, oder auch die Kollaboration vieler protestantischer Pfarrer mit den Nazis. Ich wollte einfach wissen, wer dieser Luther war, der den Protestantismus schuf. Und es interessierte mich, was Luther heute sagen würde.

Was würde er sagen?
Er müsste die Christen dazu aufrufen, nicht die Fehler von damals zu wiederholen, und die Spaltung endlich aufzuheben. Es gibt ja im Grunde auch keine großen theologischen Differenzen mehr zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Wenn wir vom Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes, einigen Mariendogmen und der Stellung der Frau in der Kirche absehen.

Das alles halten Sie für überbrückbar?
Ja.

Was war das Revolutionäre an Luther?
Luther hat zum einen die Sündentheologie ersetzt durch eine Theologie der Gnade. Die Menschen mussten keine Angst mehr vor Gott haben. Das war eine immense Befreiung. Dies gilt auch für die Emanzipation der Frau. In der evangelischen Kirche sind Pfarrerinnen seit Luther eine Selbstverständlichkeit. In dieser Frage hinkt die katholische Kirche der evangelischen 500 Jahre hinterher.

Wie stark beschädigt Luthers Antisemitismus dessen Botschaft?
Luther war kein rassistischer Antisemit. Aber er hat es meiner Ansicht nach den Juden nicht verziehen, Jesus ermordet zu haben. Das Tragische ist, dass er wie viele andere auch einer bewussten Geschichtsklitterung aufgesessen ist. Es waren die Römer, nicht die Juden, die Jesus ans Kreuz genagelt haben.

Den amtierenden Papst Franziskus beschreiben Sie in Ihrem Buch beinahe als einen Wiedergänger Luthers.
Es gibt zumindest Parallelen. Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Theologie. Und beide reiben sich stark am Pomp, dem liturgischen Brimborium und auch den Pfründen der Kirche. Franziskus lebt diese demonstrative Bescheidenheit und Demut Tag für Tag seit seiner Wahl. Bei den Traditionalisten im Vatikan hat ihm dieses Verhalten den Vorwurf des Protestantismus eingebracht.

Hatten Sie die Traditionalisten im Blick, wenn Sie von einer "Ajatollah-Kirche" schreiben?
Ich habe damit die Kurie im Vatikan gemeint. Glaubenswächter, die schon vor 500 Jahren Papst Hadrian VI. das Erzübel der Kirche nannte, die an den Dogmen der Erbsünde und der Unfehlbarkeit des Papstes festhalten, eine menschenfeindliche Sexualmoral vertreten und Frauen den Weg ins Priesteramt versperren.

Warum ist Ihnen dann eine wiedervereinte Kirche derart wichtig?
Weil wir heute in einer Welt leben, die nicht von christlichen Werten geleitet wird, sondern von der Vergötzung des Geldes. Der globale Kapitalismus hat die Menschen zu Kostenfaktoren degradiert. Auch die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen sind eine unmittelbare Folge davon. Zahllose Menschen werden ausgebeutet. Internationale Konzerne, die mit Lebensmitteln spekulieren oder Land aufkaufen, haben vor allem in Afrika zahllosen Menschen die Existenzgrundlage geraubt. Die Kirchen müssen deshalb ihr Gewicht zusammenwerfen und für eine globale Friedens- und Wirtschaftsordnung kämpfen.
Sind da nicht vor allem suprastaatliche Einheiten wie die EU oder die UN gefragt?
Viele Staaten sind noch immer von nationalstaatlichen Interessen geprägt. Der Kapitalismus aber ist global organisiert. Auf der anderen Seite ist fast jeder dritte Mensch auf der Welt ein Christ. Das ist ein riesiges Potenzial, die Kirchen sind der größte Global Player. Das sollten sie endlich nutzen, um die Welt zu einer besseren zu machen.

Was könnte die Kirche zu einer globalen Friedens- und Wirtschaftsordnung beitragen?
Dass bei allem der Mensch im Vordergrund stehen muss. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Das Evangelium ist in diesem Sinne hochpolitisch. Jesus hat sich ständig eingemischt und Partei für die Schwachen ergriffen.

Wie könnte eine wiedervereinte Kirche aussehen?
Wichtig ist, mit pragmatischen Schritten zu beginnen. Ich bin dafür, die evangelische Diakonie und die katholische Caritas zusammenzulegen. Sie wären so schlagkräftiger. Möglich sind schon heute ökumenische Gottesdienste an Sonntagen, die Abendmahlsgemeinschaft, die gegenseitige Anerkennung der kirchlichen Ämter, gemeinsamer Religionsunterricht.

Bewegt sich hier etwas?
In den Gemeinden schon. Weiter oben nur zögerlich.

Gibt es eine protestantisch und eine katholisch grundierte Politik?
Es wird immer Diskussionen geben wie über Aufgaben der Bundeswehr, Eigenverantwortung in der Sozialpolitik. Aber sie verlaufen quer durch alle Konfessionen. In den meisten wichtigen Fragen wie der Ausländer- und Flüchtlingspolitik gibt es große Gemeinsamkeit.

Auch mit der CSU?
Mit der CSU hat sich eine Partei, die das C im Namen trägt, gegen die beiden Kirchen gestellt. Mein alter Freund Seehofer ist dem Populismus erlegen. Er hat sich nicht vom Evangelium und der dort propagierten Nächstenliebe leiten lassen, sondern von nationalen, vielleicht auch nur parteipolitischen Interessen. Damit sage ich aber natürlich nicht, dass es sich bei der CSU um eine unchristliche Partei handelt.

Das Gespräch führte
Christoph Hägele.



Termin Am Dienstag, 10. Mai, liest Heiner Geißler aus seinem Buch "Was müsste Luther" heute sagen" in der Bamberger Stephanskirche. Los geht es um 19.30 Uhr, der Eintritt kostet acht Euro.

Buch "Was müsste Luther heute sagen" ist im Ullstein Verlag erschienen und kostet 20 Euro.