Flexibilität heißt das Zauberwort

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Besonders das Gastgewerbe leidet unter der starren Gestaltung der Arbeitszeit. Archivfoto: dpa
Besonders das Gastgewerbe leidet unter der starren Gestaltung der Arbeitszeit. Archivfoto: dpa
ManfredBöhm
ManfredBöhm
 
Doris Stadelmeyer
Doris Stadelmeyer
 

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft wirbt bis zur Bundestagswahl für mehr Flexibilität in der Arbeitszeit.

Die Hochzeitsgesellschaft kommt um 17 Uhr. Die Mitarbeiter der Gaststätte haben bereits um 15 Uhr mit den Vorbereitungen begonnen. Das Ende der Feier war für ein Uhr nachts verabredet. Doch die Stimmung ist gut, die Gäste wollen spontan bis vier Uhr morgens das Brautpaar hochleben lassen. Das Arbeitszeitgesetz sagt aber: "Geht nicht!" Der Gastronom steht vor der Wahl, die Hochzeitsfeier pünktlich zu beenden und die Gäste zu verärgern, oder ein saftiges Bußgeld von bis zu 15 000 Euro zu kassieren.

"Das Gastgewerbe ist geprägt von starken, oftmals nicht planbaren Nachfrageschwankungen. Hoteliers und Gastronomen müssen oft kurzfristig reagieren, um Gästewünsche zu befriedigen", erklärte Andrea Luger. Die oberfränkische Bezirksvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga e. V. plädierte für "flexiblere Arbeitszeiten", für "Wochenarbeitszeit" und eine generelle "Anpassung des Arbeitszeitgesetzes an die Lebenswirklichkeit".


Neuen Rahmen schaffen

Mit Andrea Luger waren mehrere Vertreter der 31 Mitgliedsverbände der vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. - ins Bamberger Hotel Messerschmitt gekommen, um Journalisten die Kampagne "So möchte ich arbeiten!" vorzustellen. Bis zur Bundestagswahl im September will der vbw die Öffentlichkeit und vor allem die Politiker aller Parteien dafür gewinnen, einen neuen gesetzlichen Rahmen um Arbeitszeiten zu schaffen.
"Die geltenden Arbeitszeitregelungen stammen aus den 70er und 80er Jahren und sind starr, unverständlich und können von Arbeitgebern und Arbeitnehmern kaum befolgt werden", sagt Thomas Kaeser, Vorsitzender der vbw-Bezirksgruppe Oberfranken.

Die Arbeitszeitregeln "passen für heute nicht und erst recht nicht für morgen, sie sind nicht mehr zeitgemäß." Digitalisierung und Globalisierung hätten die Arbeitswelt maßgeblich verändert. Mit Einführung von mobilen Endgeräten, neuen Produktionsabläufen, Arbeiten über Standort-, Länder- und Zeitgrenzen hinweg sowie neuen Kundenwünschen entstünden immer individuellere Produkte, die zu jedem Zeitpunkt verfügbar sein müssten. Außerdem würden immer mehr Arbeitnehmer von unterwegs aus oder im Home Office arbeiten, so Kaeser. Um den veränderten Lebensumständen gerecht zu werden, "müssen wir das Arbeitszeitgesetz an die neue Welt der Arbeit, der Industrie und der Gesellschaft anpassen", forderte der vbw-Bezirksvorsitzende.


Spielraum voll ausschöpfen

Kaeser legt Wert auf die Feststellung, dass es nicht um die Erhöhung des Arbeitszeitvolumens gehe, sondern darum, das Arbeitszeitvolumen flexibler zu verteilen, um den Anforderungen von Mitarbeitern und Unternehmen gerecht zu werden. Als Eckpunkt nennt er "die Aufhebung der Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden": "Wir fordern, dass der Spielraum der Europäischen Richtlinie voll ausgeschöpft wird, die eine wochenbezogene Betrachtung und eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vorsieht."

Eine weitere Forderung der vbw: "Die generelle elfstündige tägliche Mindestruhezeit zwischen Arbeitsende und dem Beginn der Arbeit am nächsten Tag muss abgeschafft werden." Es müsse möglich sein, auch abends "kurze Telefonate zu führen oder eine Mail zu verschicken, ohne dass die elfstündige Ruhezeit von neuem zu laufen beginnt". Schließlich sei derjenige, der abends "noch kurz" mithilfe mobiler Geräte arbeitet, auch eher in der Lage, das Büro früher zu verlassen und so "Familie und Beruf besser in Einklang zu bringen".

Thomas Kaeser führte eine Umfrage der Verbände der bayerischen Metall- und Elektroindustrie an. Danach würden 86 Prozent der Unternehmen und 76 Prozent der Arbeitnehmer die Aufhebung der tagesbezogenen Zehn-Stunden-Grenze befürworten: "Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer der Branche in Bayern empfinden also die aktuelle Gesetzeslage als zu unflexibel." Das gelte sicher auch für die wetterabhängigen Branchen Landwirtschaft oder Bau.

"Wir wollen den Arbeitsschutz nicht aufweichen und unsere Mitarbeiter nicht gefährden, sondern ihre Gesundheit sichern", schloss Kaeser. Doch "Bürokratie darf die Wirtschaft nicht schädigen".

Mehr Informationen gibt es auf der Kampagnenseite www.so-moechte-ich-arbeiten.de.


Zur Kampagne "Flexiblere Arbeitszeiten" der vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. befragte unsere Zeitung Manfred Böhm, Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, und Doris Stadelmeyer, Bezirksgeschäftsführerin von Verdi Oberfranken-West.

Die vbw setzt sich in ihrer aktuellen Kampagne für eine "flexible Gestaltung der Arbeitszeit" ein. Unterstützen Sie das als Betriebsseelsorger und Gewerkschaftsvertreterin?
Manfred Böhm: Dem Vorschlag der Arbeitergeberseite für eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit steht die Katholische Betriebsseelsorge sehr kritisch gegenüber. Natürlich ist Flexibilisierung in der Arbeitswelt an sich nicht grundsätzlich zu verteufeln, aber sie muss so gestaltet sein, dass Arbeitnehmer wirklich etwas davon haben, etwa dass sie Beruf und Familie besser unter einen Hut bekommen. Eine einseitige Anpassung etwa an die Maschinenlaufzeiten würde den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden.
Doris Stadelmeyer: Es geht hier ausschließlich um eine Anpassung der Arbeitszeiten an die wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten. Vor allem sollen die "starren" Grenzen der Ruhezeit und der täglichen Höchstarbeitszeit fallen. Eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit im Interesse der Menschen ist nicht erwünscht. Das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit wurde zum Beispiel gerade erst von den Wirtschaftsverbänden blockiert. Von daher unterstützen wir die Kampagne natürlich nicht.

Ist die starre gesetzliche Arbeitszeitregelung tatsächlich ein Problem für die Arbeitnehmer?
Manfred Böhm: Die Kehrseite der geforderten "selbstbestimmten" Arbeitswelt mit einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeit wäre die Aufweichung der Schutzfunktion der bisherigen gesetzlichen Regelungen. Wer die tägliche Mindestruhezeit abschaffen will, spielt mit der Gesundheit der Menschen. Denn die Gefahr ist groß, dass die damit letztlich angezielten Produktivitätszuwächse auf Kosten der physischen und psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer gehen. Der Mensch ist eben nicht unbegrenzt biegbar, flexibel, er kann brechen. Deshalb gilt: In der Wirtschaft hat der Mensch das Maß aller Dinge zu sein und nicht die Maschine oder die Rendite.
Doris Stadelmeyer: Wir haben in unserem Land eine große Flexibilität und Vielfalt an Arbeitszeiten. Von Gleitzeit über Arbeitszeitkorridore, Lang- und Kurzzeitarbeitszeitkonten bis hin zu Lebensarbeitszeitkonten ist vieles möglich und wird bereits in etlichen Branchen praktiziert. Das Arbeitszeitgesetz lässt hier viel Spielraum für tarifvertragliche Regelungen. Feste Ruhezeiten und eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit sind jedoch Schutzregelungen für die Gesundheit der Beschäftigten, die wir gerade in der heutigen Zeit dringend brauchen.

Was belastet besonders im Arbeitsleben?
Manfred Böhm: Die Arbeitswelt, und zwar durchgehend in allen Branchen, ist in den letzten Jahren immer leistungsfähiger und produktiver geworden. Den Preis dafür zahlt jede und jeder Beschäftigte an seinem Arbeitsplatz. Die Arbeit hat sich in den letzten Jahren enorm verdichtet, die Taktung beschleunigt und tendenziell wird die Erwerbsarbeit immer übergriffiger, d.h., sie beansprucht die Menschen immer häufiger auch in ihrer Freizeit. Diese Verbetrieblichung unserer Privatsphäre, d.h., die Tendenz zu ständiger Erreichbarkeit verhindert die mentale Distanzierung von der Erwerbsarbeit. Die aber ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt erholen können. Arbeitnehmer fühlen sich dadurch nicht selten unter Dauerstress gesetzt, dem sie immer öfter nicht mehr standhalten können. Wer aber die Arbeit auch in seiner Freizeit nicht aus dem Kopf bekommt - an den Abenden, den Wochenenden oder selbst im Urlaub -, kann seinen Stresspegel nicht wirklich abbauen und wird das auf Dauer gesundheitlich zu büßen haben.
Doris Stadelmeyer: Eine negative Begleiterscheinung der Digitalisierung ist die geforderte ständige Erreichbarkeit. Alles muss immer schneller, am besten sofort, erledigt werden. Die Grenzen zwischen Arbeit und Erholungszeit verschwimmen. Es gibt bereits etliche Untersuchungen, die aufzeigen, dass dies als besonders belastend empfunden wird. Große Unternehmen haben bereits darauf reagiert und stellen ab einer bestimmten Uhrzeit ihre Mailserver ab. Hinzu kommen überlange Arbeitszeiten, zu geringe Regenerationszeiten, die wirklich "frei" sind. Genau hierauf zielen aber die Forderungen des vbw: Sie wollen keine "starren" Ruhezeiten mehr und eine mögliche Ausweitung der Arbeitszeit über täglich 10 Stunden hinaus. Das ist in jungen Jahren vielleicht noch leistbar, geht aber auch hier zu Lasten der Gesundheit.

Die Fragen stellte
Marion Krüger-Hundrup