Über 100 Tage nach der Kommunalwahl ist immer noch unklar, in welche Richtung CSU und SPD die Stadt Bamberg führen wollen. Nicht einmal die eigenen Stadträte kennen die "gemeinsamen Ziele" der großen Koalition. Wenn es solche denn gibt...
Wer bei Google etwas über den Inhalt der Koalitionsvereinbarungen von CDU, CSU und SPD im Bundestag erfahren will, wird von der Informationslawine förmlich erschlagen: 445.000 Treffer spuckt die Suchmaschine aus.
Da hat es der Bürger Bambergs ungleich schwerer, sollte er hinter die Kulissen der Politik seiner Heimatstadt blicken wollen. Um nach dem Koalitionsvertrag von CSU und SPD in Bamberg zu fahnden, braucht man das Internet erst gar nicht zu bemühen, so dürftig ist der Quell der elektronischen Nachrichten. Man müsste schon im Fraktionsbüro der Bamberger CSU am Grünen Markt einbrechen, um herauszufinden, ob es tatsächlich so etwas wie die Leitplanken der Zukunftspolitik in Bamberg gibt. Ob sich das lohnt, ist allerdings fraglich.
Raum für Spekulationen Dort immerhin sollen sie aufbewahrt werden, in einem simplen Leitz-Ordner, unerreichbar selbst für die elektronischen Datensammler von BND und NSA: die "gemeinsamen Ziele von CSU und SPD". So hat zumindest Bürgermeister Christian Lange (CSU) im großen Interview unlängst die Grundlage der Zusammenarbeit betitelt.
Doch es lässt Raum für Spekulationen und den Spott der politischen Gegner, dass die Dokumente über das Programm der beiden überschaubar Großen im Stadtrat bisher so gut wie nicht bekannt wurden. In einem offenen Brief an CSU und SPD haben die Grünen deshalb vorgeschlagen, dass die beiden Koalitionäre ihre Vereinbarungen öffentlich und transparent machen sollen, "damit die Bevölkerung und auch der Stadtrat wissen, welche Ziele man wie und bis wann erreichen will".
Doch das ist eine rhetorische
Aufforderung: "Ich vermute stark, dass es sie überhaupt nicht gibt, die Koalitionsvereinbarungen. Wenn das so wäre, wäre das ein Zeichen, dass es wieder nur mal nur um Pöstchen ging", lästert Grünen-Chefin Sowa.
Ist das so? Ganz falsch scheint die GAL-Frau zumindest in einem Punkt nicht zu liegen. "Es gibt keine Koalitionsvereinbarungen", stellt auch CSU-Fraktionschef Helmut Müller am Montag klar.
Eine ähnliche Antwort erhielt unlängst CSU-Stadtrat Markus Huml auf seine schriftliche Anfrage, in der er bei Müller Aufklärung über die "ominösen Koalitionsvereinbarungen" verlangte. Der Grund scheint einleuchtend: Nicht nur Huml ist irritiert darüber, dass in der politischen Debatte von gemeinsamen Zielen von CSU und SPD die Rede ist, diese in der Fraktion aber niemand kennt.
Zum Beispiel Peter Neller, immerhin stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CSU: Neller war nach eigenen Angaben in den zurückliegenden Monaten in jeder Fraktionssitzung anwesend, kann sich aber nicht erinnern, von konkreten Eckpunkten einer Zusammenarbeit mit der SPD gehört, geschweige denn darüber beraten zu haben. Auch eine schriftliche Information über vermeintlichen gemeinsame Ziele will Neller weder gesehen, noch abgesegnet haben. Für ihn würde das bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen auch keinen Sinn ergeben, denn "es stehen in Bamberg etliche Entscheidungen an, die man nicht mit einer hauchdünnen Mehrheit von 23 Stimmen beschließen kann".
Damit steht er in Widerspruch zu Helmut Müller, der auf unsere Anfrage zuerst sagte, nur Gerhard Seitz und Christian Lange wüssten von der "Arbeitsgrundlage zwischen CSU und SPD", sich dann aber korrigierte und auf einen mündlichen Vortrag in der
Fraktion verwies.
Wie dem auch sei - was eigentlich drin steckt, im Koalitionsvertrag, der keiner sein darf, überrascht nicht besonders. Neben dem Eintreten für eine neue Lösung im Quartier an der Mauer, machen sich CSU und SPD für eine Bekämpfung des Wohnungsmangels stark, für die Sanierung im Bestand bei den Unteren Mühlen und eine Haushaltspolitik ohne Nettoneuverschuldung.
Aufhorchen könnten die Grünen bei der Ankündigung von Müller, dass CSU und SPD den Neubau eines Radwegs am Regensburger Ring, der wegen anderer Prioritäten zuletzt stets verschoben worden war, nun doch favorisieren wollen. Ebenso besteht laut Müller und Klaus Stieringer (SPD) Einigkeit darin, dass das Klinikum durch eine neue Straße von Waizendorf erschlossen werden soll.
CSU strebt weiteren verkaufsoffenen Sonntag an Als Zugeständnis gegenüber
der SPD könnte man es werten, dass die CSU einen weiteren verkaufsoffenen Sonntag "anstrebt" (Müller), was in der Vergangenheit stets stark umstritten war. Und auch die Innenstadtevents will die CSU künftig weniger kritisch beäugen und sich damit, wie Müller sagt, an der angenommene Mehrheitsmeinung in der Stadt orientieren.
Diesen wenig spektakulären Punkten zum Trotz gibt es dennoch kritische Meinungen zur Tatsache von Zielvereinbarungen im Stadtrat, die lediglich durch einzelne Führungsfiguren legitimiert sind: "Dieses Vorgehen läuft dem Gemeinwohl zuwider", sagt etwa Dieter Weinsheimer. Der Freie Wähler fürchtet, dass künftig vorwiegend die Interessen kleiner Gruppen berücksichtigt werden, sollten die Parteien eine wichtige Aufgabe nicht mehr wahrnehmen: den Wettbewerb der Ideen.
Glosse zum Thema: Brutalstmöglich unbekannt Vielleicht wäre es besser, Helmut Müller, Christian Lange und Klaus Stieringer würden ihre Ziele erst nach der Wahlperiode bekannt geben. Oder, sie würden sie nie veröffentlichen. Der CSU-Ordner mit den ebenso gemeinsamen wie unbekannten Zielen sollte unter Aufsicht des OB so schnell wie möglich im Müllheizkraftwerk verbrannt werden. Wie wichtig solche Instrumente der Fehlerkorrektur sind, hat sich zuletzt bei der Vernichtung von 40.000 Stimmzetteln gezeigt. Wahlanfechtung thermisch verhindert.
Man mag sich gar nicht ausdenken, wozu das Überdauern eines frei zugänglichen Positionspapiers führen könnte. Es bestünde die Gefahr von Bürgerbeteiligung. Einfache Bamberger könnten auf die Idee kommen, Worte mit Taten zu vergleichen.
Brutalst-mögliche Aufklärung - und mitten drin Bambergs kleinste große Koalition aller Zeiten.
Deshalb: Der beste Koalitionsvertrag ist der, den keiner kennt, den niemand sieht oder verstehen kann. Wenigstens darf er die Fläche eines Bierdeckels nicht überschreiten.
Es ist keine besonders große Erkenntnis Michal Wehners, wenn er konstatiert, dass die Bamberger Bürger nicht nach einem Koalitionsvertrag von CSU und SPD zu fahnden bräuchten, weil es einen solchen oder so etwas Ähnliches nicht gebe.
Einen solchen Vertrag kann man in der Tat nicht finden, weil es in einem Stadtrat keine Koalitionen gibt und folglich auch keine Koalitionsverträge geschlossen werden können. Wenn der Zweite Bürgermeister eine in diese Richtung zielende Erklärung abgegeben haben sollte, dann hat er, mit Verlaub, Quatsch erzählt.
Sollten Absprachen irgendwelcher Art über bestimmte Zielsetzungen getroffen werden, dann wäre das eine Angelegenheit der jeweiligen Partner, in diesem Falle der CSU- und der SPD-Stadtratsfraktion, allenfalls der jeweiligen Parteiorgane. Wieso andere Gruppierungen den Inhalt kennen wollen oder informiert werden sollten, ist mir schleierhaft.
Ob man es Koalitionsvereinbarung nennt bzw. nennen darf oder Zielabsprache oder wie auch immer, ist letztlich Pott wie Deckel. Die theoretische Vorgabe des Kommunalrechts, es dürfe keine parteipolitischen Geplänkel oder ähnliches geben, ist schon durch die Kandidatur konkurrierender Listen und die Bildung der Fraktionen (beides will ich nicht in Frage stellen) ad absurdum geführt. Wenn die Fronten nicht so starr sind wie in Bund oder Land, so ist das zum einen unklaren Mehrheitsverhältnissen, zum anderen den sachlichen Anforderungen an pragmatisches Handeln vor Ort geschuldet.
Daß aber die Wähler gerne wüßten, ob einzeln oder organisiert in Interessengruppen, was ihre gewählten Repräsentanten denn nun vorhaben, ist zwangsläufiger Auswuchs eines demokratischen Gemeinwesens. Hierzu zählt auch, daß die Wähler jenseits der Wahltermine ihre Stimme erheben möchten (und sollen), um auf (vermeintliche) Fehlentwicklungen zu reagieren oder überhaupt ihren jeweiligen Willen zu bekunden. Wo steht denn, daß das Wahlvolk (Stimmvieh?) zwischen den Wahlen das Maul zu halten hätte?
Ich klammere mich nicht an das Wort „Koalitionsvertrag“ und übernehme es als Synonym. Ok? Dann ziehe ich aber die Viererkoalition 1954 in Bayern unter Wilhelm Hoegner als Beispiel heran, was übertragen auf Bamberg hieße, dass die SPD (10 Mandate), die Grünen (9), die Freien Wähler (4) und der Bamberger Bürgerblock (4) eine solche Zweckehe (27 Mandate von 44) hätten eingehen müssen. Konsequenterweise wären die Bürgermeisterposten an die Grünen und die Freie Liste bzw. an den Bürgerblock gegangen. Die SPD hätte das Nachsehen gehabt; dafür hat sie ja den OB. Das taten die vier Parteien/Gruppierungen aber nicht, weil sich die Grünen recht störrisch verhielten und mit ihrem ins Spiel gebrachten Bürgermeisterkandidaten Gack verrannten. So wurde die Chance eines Neuanfangs vertan! Die abgehalfterte CSU steht mit ihrem gewieften Fraktionsvorsitzenden Müller als Sieger da. Und deswegen werden die CSU und die SPD quietschvergnügt weitermachen (und den anderen nicht sagen, was sie vorhaben).
Wie hätte denn ein Neuanfang aussehen sollen - mit einer SPD, die sich eher an Posten klammert als daß sie sich zu politischen Fragen äußert?
Es gibt nicht viele Gruppierungen im Stadtrat, deren politische Ziele (ich meine nicht die meist folgenlosen Elaborate in den Partei- und Wahlprogrammen) den Wählern tatsächlich bekannt sind. Beispiel Verkehr:
FDP und Herr Stieringer möchten (ja, ich überspitze) am liebsten eine Autobahn an jede Ladenkasse. Die SPD hingegen säuselt ab und zu etwas von Verringerung der verkehrsbedingten Belastungen, während OB Starke die Vision der "Autostadt Bamberg" verkündet. Moment: Stieringer, Starke, ... SPD ???
Wo hier angesichts der Mehrheitsverhältnisse ein Neuanfang auch nur zu erhoffen gewesen sein soll, entzieht sich meiner Erkenntnis in Gänze.
Die - de facto doch schon seit Jahren bestehende - Bamberger GroKo hat bei der Wahl kräftig Federn gelassen, doch noch immer die Hälfte der Ratssitze errungen. Nach außen agiert sie, als hätten die Wähler ihr mit überwältigender Mehrheit das Vertrauen in einer Weise ausgesprochen, daß sie auf Ideen und Anregungen anderer keine Rücksicht nehmen zu müssen glaubt.
Ich sehe der Zukunft der Stadt mit einigem Grauen entgegen, tröste mich aber mit dem Wissen: Die Mehrzahl derer, die von den Folgen der Rathauspolitik betroffen sind, haben diese Mehrheitsverhältnisse selbst herbeigeführt - durch Wahl oder durch Duldung (Nichtteilnahme an der Wahl).
Man kann sich ärgern oder freuen, MW versteht etwas von seinem Handwerk. Er kann sogar aus einem trockenem Stoff noch einen Knaller machen. Respekt.