Warum müssen wir in diesen Zeiten wieder lernen, anständig zu sein? Der Journalist und Autor Axel Hacke wagt eine Erklärung. Und erzählt, warum Größenwahn des Kolumnisten wichtigste Eigenschaft ist.
Schnickschnack gehört nicht zum Repertoire Axel Hackes. Ruhig und gelassen schlendert er auf die Bühne des Bamberger E.T.A. Hoffmann-Theaters, unter dem Arm nichts weniger als große Teile seines Lebenswerkes haltend. Dieses, also sein Lebenswerk, ist thematisch tief besetzt. Es reicht von Anekdoten des Kindergartenpapas bis hin zu Erzählungen über niederträchtige alte Männer, die zufällig große Nationen regieren. Der gebürtige Braunschweiger, der zehn Jahre jünger wirkt als es sein Geburtsjahr 1956 vermuten lässt, traut sich an diesem Abend einen Spagat. Er mischt leichte humorige Kost mit tiefgreifenden Grübeleien über Moral und Anstand. Das ist heikel. Aber es funktioniert.
Wer seine Kolumnen im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" kennt, weiß um die spritzigen Texte, die manchmal wirken, als dächte einer laut nach und murmelte seine Gedanken zeitverloren vor sich hin. Anfangs drehen sich die Geschichten um sein eigenes Leben, bis ihm dazu"nichts mehr einfiel". Eine neue Idee musste her. Also ging es fortan um das Beste aus aller Welt.
Seine gelungensten bündelt Hacke 2015 im "Kolumnistischen Manifest", dem dicksten Buch, das er je zu schreiben gedenkt, wie er selbst sagt. Dieses, so betont der Schriftsteller, sei mitnichten mit dem kommunistischen Manifest der Herren Marx und Engels zu verwechseln. Schon alleine des Umfangs wegen. Überhaupt wüsste er gar nicht, wie er seine Familie als "freischaffender Kommunist" ernähren könne. Als freischaffender Kolumnist gelinge das schon eher. Das Publikum quittiert diesen historischen Seitenhieb mit Lachern. Nicht das einzige Mal an diesem Abend.
Was denken Sie, ist die wichtigste Eigenschaft eines Kolumnisten? "Größenwahn", sagt Hacke. Beispiel: Niemand geringeres als die Schöpfung selbst bediene sich aus dem Ideenpool seiner Texte, erklärt er. Als Beleg gelte, dass es ein eigens in seiner Kolumne neu geschaffenes Tier (das "Welchlein") plötzlich auf Platz 105 der offiziellen Vogelzählung 2014 in München geschafft hatte. Kein Scherz. Erneut schallendes Gelächter.
Überraschungseffekte
Hacke ist bekannt dafür, vor seinen Lesungen nicht durchblicken zu lassen, was er den Zuhörer kredenzen wird. Über den Charme des Überraschungseffektes mag sich streiten lassen. Die Fülle an Hackes klugen Texten aber schließt ein Nicht-Gelingen des Vortrages beinahe aus. Das gilt auch für schwerer Verdauliches. Moral etwa oder die Ethik. Mucksmäuschenstill wird es im Raum, wenn Hacke seine Buchhelden, ihre erhobenen Zeigefinger steckenlassend, erklären lässt, dass "Fairness bedeutet, sich auch an Regeln zu halten, wenn gerade niemand guckt." Und es richtig sei, bei Üblichem nicht mitzumachen, wenn es denn unanständig ist.
"Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen" nennt er den 192-seitigen Band, weil er "schon immer ein Buch mit einem langen Titel schreiben wollte". Und weil wir aktuell wieder in Umbruchszeiten lebten, weil Anstand mehr als nur aus gutem Benimm bestehe, weil wichtige weiche Werte abhanden kämen und weil die Welt voller mieser Typen sei. Die Kunst bestehe nun darin, sich davon nicht unterkriegen zu lassen und freundlich zu bleiben. "Alle wollen das Gleiche: ein Stück Glück", sagt er. "Wer das erkannt hat, wird anders mit anderen umgehen."
Heiter statt wolkig
Durch Leserpost angereichert wachsen einige seiner kurzen Geschichten und Kolumnen im Laufe der Jahre zu kleinen Büchern heran. Der Tenor der Lesung wechselt wieder: heiter statt wolkig. Trivial klingende Dinge wie schräg übersetzte Speisekarten oder falsch gesungene Strophen bekannten Liedguts scheinen die Menschen zu begeistern. Kein Wunder, jeder durfte solche Erfahrungen schon selbst sammeln, jeder versingt sich ein bisschen anders. Hacke sieht darin ein "bis dahin unentdecktes Volksphänomen" sichtbar werden: Der Deutsche verstehe alles falsch. Sowieso mag der Autor eine menschliche Fähigkeit besonders: die, sich irren zu können. Kurzweilige Bücher aus diesen kühnen Beobachtungen zu stricken, ist phänomenal. Deren Lektüre füllt nicht nur abendliche Lesungen, sondern auch alltägliche Zwischenzeiten in Wartezimmern, Bussen und stillen Kämmerlein bestens aus.