AWO-Landesvorsitzender: "In Bayern wird das Phänomen Obdachlosigkeit geleugnet"

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Obdachlose stehen mit ihren Habseligkeiten vor einer Obdachlosenhilfe in München.: Das Problem besteht bayernweit. Foto: Sven Hoppe/dpa
Obdachlose stehen mit ihren Habseligkeiten vor einer Obdachlosenhilfe in München.: Das Problem besteht bayernweit. Foto: Sven Hoppe/dpa

Was Wohnungslose von Obdachlosen unterscheidet und was der Freistaat verbessern müsste, erklärt der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Bayern, Thomas Beyer.

Grundsätzlich muss man unterscheiden: Obdachlosigkeit ist ein anderes Thema als Wohnungslosigkeit. Große Probleme bergen aber beide Bereiche, sagt Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bayern. "Wir haben hier eindeutig eine negative Entwicklung, wenn man die Praxis betrachtet."
Beyer, Professor für Recht in der sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg, befasst sich schon lange mit dem Thema Armut und deren Konsequenzen. In mehreren Publikationen kam er immer wieder zu dem Schluss: "Es gibt Armut in Bayern. Aber das Thema wird von der Staatsregierung negiert."
Langanhaltende Krankheit, prekäre Einkommensverhältnisse, der Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung und Scheidung oder auch gewaltgeprägte Lebenssituationen seien häufig Ursachen für soziale Notlagen. Überbordende Schulden oder auch soziale Isolation kämen für einen Teil dieser Menschen als gravierende Folgen hinzu. "Oft geraten sie dadurch an den Rand der Gesellschaft und werden nicht selten auch obdach- oder wohnungslos."
Bei den Begriffen müsse man unterscheiden. Bei Obdachlosigkeit gehe es um Menschen, die auf der Straße leben. So furchtbar dieses Schicksal fraglos sei, handle es sich hier um eine überschaubare Gruppe. "Der sozialpolitisch drängendere Begriff sind Menschen, die über nicht genügend Wohnraum verfügen oder die von Kündigung bedroht sind, weil ihre Mittel nicht reichen, um die Wohnung zu halten." Während man bei Obdachlosigkeit ad hoc helfen könne, müsse es politisch darum gehen, "dass Menschen ausreichend Wohnraum haben".


"Eine unheilige Allianz"

Er kritisiert, dass der Staat Bayern lange versucht habe, das "Phänomen Armut" zu leugnen. "Obdachlosigkeit ist etwas, was das Armutsgespür aufbricht. Das passt nicht zu den Erfolgsgeschichten, die Bayern zeichnet." Auch die Kommunen vor Ort hätten kein Interesse, als Städte mit besonderen Problemlagen dazustehen. "Das ist eine unheilige Allianz. Keiner will dokumentieren, wie die Lage ist."
Ebenfalls kritisiert Beyer die fehlende Datenlage. Während andere Bundesländer amtliche Statistiken zum Thema Wohnungslosigkeit führten, sei das in Bayern bisher nicht der Fall gewesen. "Nun haben wir die kuriose Situation, dass der neue Ministerpräsident das Thema für sich entdeckt hat. Aber vor wenigen Tagen hat die Sozialministerin eingeräumt, dass es schwierig sei, hier anzupacken. Ganz einfach deshalb, weil es keine verlässlichen Zahlen gibt."
Die Lösung? Die Staatsregierung habe das Thema "auf Druck der AWO" 2014 zwar schon einmal aufzugreifen versucht, "aber mit einer handgestrickten Umfrage." Für Beyer ist klar: "Man braucht Fakten und Statistiken und man muss ehrlich sein bei diesem Thema. Ansonsten bleibe man bei wirksamen Maßnahmen eingeschränkt."