Außen Menschen, innen leer

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Ewa Rataj, Anna Döing, Stephan Ullrich und Eric Wehlan (v. l.) in "Die Zeit und das Zimmer" Martin Kaufhold
Ewa Rataj, Anna Döing, Stephan Ullrich  und  Eric Wehlan (v. l.) in "Die Zeit und das Zimmer" Martin Kaufhold

Das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater holt ein Stück des umstrittenen Autors Botho Strauß zurück auf die Bühne. "Die Zeit und das Zimmer" ist ein Fest für die Schauspieler.

Für einen, der selbst Stücke fürs Theater schreibt, hat Botho Strauß von den Bühnen eine denkbar schlechte Meinung. Das Theater unterwerfe sich der Reportage, der Installation und des Entertainments, erniedrige sich zum bloßen "Medienverschnitt". "Es gibt keine Kunstform, die auf so fremdbestimmte Weise der Affe der Zeit wäre", schrieb Strauß 2010 in der Frankfurter Allgemeinen.

Im Bewusstsein dieser Kritik lässt der Freitagabend im E.T.A.-Hoffmann-Theater nur zwei Schlüsse zu. Denn die Premiere von Botho Strauß' Stück "Die Zeit und das Zimmer" bedachte das Publikum mit mehr als nur warmem Beifall. Gingen also - Möglichkeit eins - unbedarft vergnügungssüchtige Zuschauer einem gegenüber dem Text übergriffigen Regietheater auf den Leim? Oder - Möglichkeit zwei - beherzigte Regisseurin Sibylle Broll-Pape, was Strauß sich selbst unter gelingendem Theater vorstellt? Das hieße grob gesprochen, die "Elementarien" des Theaters, die Schauspieler und den Text also, zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Denn im Grunde, so schrieb Strauß, "könnte das Theater ein nicht abreißendes Schauspieler-Fest sein". Und genau das war es. Die Schauspieler feierten am Freitag in Bamberg ein Fest ihrer Darstellungskunst.

Sie konnten und sie durften es, weil kein sich in den Vordergrund spielendes Bühnenbild, keine Videoinstallationen und auch keine um Aufmerksamkeit heischende Musik ihnen Konkurrenz machte. Die Bühne und damit die Aufmerksamkeit des Publikums gehörten den Schauspielern ganz allein.

Mit vor Lebensüberdruss gebeugten Körpern, aber einer umso konzentrierten Sprache spielten Stephan Ullrich und Florian Walter "zwei sich liebende Skeptiker". Was Olaf und Julius aneinander bindet, ist weder Leidenschaft noch Interesse. Es ist der Mangel an Fantasie. Ihre Leben lassen sie über sich ergehen: "Wie lange haben wir nicht mehr gesagt: Man könnte, man sollte, man müsste."

Ihr hinreißender, zwischen Komik und existenzieller Tragik schwankender Dialog über sozial erwünschte "Gefälligkeitslügen" hätte zu gleichen Teilen von Samuel Beckett ("Warten auf Godot") und Loriot geschrieben sein können.

Noch mehr aber war es Anna Döing, die mit körper- wie sprachlichen Ausdrucksstärke den Abend an sich riss. Sie argumentierte, tobte und schrie, verführte und servierte ab. Ihre Marie Steuber ist eine Anpassungskünstlerin, die auf rätselhafte Weise die unterschiedlichen Figuren miteinander verband (in weiteren Rollen: Ewa Rataj, Bertram Maxim Gärtner, Marie-Paulina Schendel, Eric Wehlan, Daniel Seniuk und Paul Maximilian Pira). Im Sommer wird Döing das Ensemble verlassen. Das Publikum wird sie vermissen.

Erlösung im Mythos

Unter der Oberfläche des oft komischen Stücks brodelte es. Strauß umkreist darin die großen Fragen unserer Existenz. Außer den unter deutschen Wohlstandsjugendlichen seinerzeit populären Swatch-Uhren verrät nichts in "Die Zeit und das Zimmer" über seine Entstehungszeit in den 1980er Jahren.

"Die Zeit und das Zimmer" ist ein im Wortsinne zeitloses Stück. Lineares Erzählen suspendiert Strauß zugunsten von nicht immer nachvollziehbaren Zeitsprüngen und traumähnlichen Episoden. In allen Zeit- und Realitätsebenen wirft Strauß dieselben Fragen auf: Wie soll man sein Leben leben? Angepasst und zufrieden mit dem, was ist? Oder wagemutig und auf der Suche nach der überwältigenden Erfahrung auch die Bequemlichkeit der eigenen lauen Existenz riskierend?

Die Figuren entschieden sich für die mittlere Vernunft. Sie bezahlten dafür mit einem in den Routinen des Alltags erstickenden Leben: "Und unsere Begierde verlief sich in Geschichtsbetrachtung."

Auf noch leichtfüßige Weise variiert Strauß in "Die Zeit und das Zimmer", was er 2001 in seinem Essay "Anschwellender Bocksgesang" zu einer dunkel raunenden Kritik an der wohlstandsgemästeten Fadheit zeitgenössischer Lebensentwürfe ausformulieren sollte. Erlösung sucht Strauß im Schicksalspathos, im Mythischen und Überzeitlichen. Seitdem klebt an ihm das Etikett eines neurechten Sonderlings.

In einer eindringlichen Szene steigert sich Marie Steuber in eine Medea-Identifikation hinein. Aus gekränkter Liebe tötete die ikonische Frauengestalt aus der griechischen Mythologie ihre Kinder. Gegenüber Rudolf (Daniel Seniuk) verteidigt Steuber die Absolutheit des Gefühls: "Medea begeht die größte Liebestat, die je eine Frau begangen hat."

Derartigem Fanatismus weiß Rudolf nur mit dem Ausschluss aus dem Kanon des Sagbaren zu begegnen: "Ich werde dir das Buch wegnehmen. Weg mit der Tragödie. Ich schmeiße sie auf die Straße." Dass dort auf der Straße auch sein eigenes, mit dem Vorwurf des gefährlichen Denkens belastetes Werk landen wird, hat Botho Strauß hier vielleicht schon vorausgesehen.