Angeklagter macht Gerichtssaal zum "Hörsaal"

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Der Angeklagte (Dritter von links) mit seinen Anwälten, im Vordergrund zwei Rechtsanwältinnen, die Nebenklägerinnen vertreten Fotos: gg
Der Angeklagte (Dritter von links) mit seinen Anwälten, im Vordergrund zwei Rechtsanwältinnen, die Nebenklägerinnen vertreten Fotos: gg
Warten gehört dazu beim Chefarzt-Prozess. Diesmal mussten Besucher und Medienvertreter wegen technischer Probleme ausharren.
Warten gehört dazu beim Chefarzt-Prozess. Diesmal mussten Besucher und Medienvertreter wegen technischer Probleme ausharren.
 

Der ehemalige Chefarzt Heinz W. hielt am dritten Verhandlungstag eine zweistündige "Vorlesung" über sein Fachgebiet, die Gefäßmedizin. Zu den ihm zur Last gelegten Taten äußerte er sich nicht. Vielleicht am Mittwoch.

Aorta-uni-iliakla mit Crossover, Branched Crafts, Venus Viva inferior, Palmas kollaterale, Flottierender Thrombuszapfen: Wer am dritten Verhandlungstag im so genannten Chefarzt-Prozess am Landgericht Bamberg angesichts geballter Fachbegriffe nur wenig verstanden hat, hat trotzdem nichts versäumt. Zu den 13 Fällen, darunter zehn Vergewaltigungen mit gefährlicher Körperverletzung, die Heinz W., dem ehemaligen Leiter der Gefäßmedizin am Klinikum Bamberg, zur Last gelegt werden, machte er am Dienstag nämlich noch immer keine Angaben. Diese kündigte er aber für die nächsten Prozesstage ab Mittwoch, 29. April, an.


Wenn nichts mehr fließt

Der Dienstag blieb im Wesentlichen seinem medizinischen Fachvortrag vorbehalten, den er nach eigenen Angaben schon vor Studenten und Fachkollegen gehalten hat. "Beginnen möchte ich mit einem allgemeinen Überblick", kündigte er um 10.57 Uhr an und sprach bis 12.45 Uhr. Das erste Bild der Power-Point-Präsentation zeigte einen Stau auf der Autobahn und den Satz "Wenn nichts mehr fließt". Es folgten ausführliche Schilderungen von Gefäßaufdehnungen mit Draht und Ballon, Cava-Schirmchen, die das "Losschießen " von Blutgerinnseln verhindern, Operationstechniken, offene Beine und anderes.

Aus dem Zuschauerraum kamen leise Missbilligungsäußerungen: "Wenn er den Vortrag schon vor seinen Studenten gehalten hat, dann braucht er sich doch nicht wochenlang vorzubereiten." Drei Frauen, die den Prozess seit Anfang an beobachteten, wollen sich jetzt weitere Prozesstage ersparen. Sie schüttelten den Kopf über W.s Aussageverhalten und die Verteidigungsstrategie, die auf Verzögerung und Konfrontation setzt.

Im Visier der drei Verteidiger stehen die Ermittler der Polizei sowie die Staatsanwaltschaft. Bei den Vernehmungen ab Ende Juli 2014, als die Vorfälle im Klinikum am Bruderwald bekannt geworden waren, soll die Polizei "elementare Regeln in gravierender Form missachtet" und die Frauen in "überflüssigem Ausmaß traumatisiert und viktimisiert haben", trug Rechtsanwältin Katharina Rausch vor. Es sei nicht geeignetes Personal eingesetzt worden.


"Nicht verwertbar"

Die Zeuginnen seien aus diesem Grund nicht "aussagetüchtig", ihre Aussagen nicht verwertbar. Sie beantragte, das Gutachten eines Aussagepsychologen einholen zu lassen. Eine halbe Stunde hatte die Verlesung des Antrags gedauert, zu dessen Begründung die Anwältin aus jeder polizeilichen Vernehmung ausführliche Details berichtete - die den Angeklagten nicht gerade als Unschuldsengel erscheinen ließen. Das Publikum im Gerichtssaal war deshalb auch nicht davon überzeugt, ob W. mit diesem Antrag ein Gefallen getan worden ist.

Ihr Kollege Dieter Widmann schoss sich in einem weiteren Antrag auf den damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt Bardo Backert ein, den die Verteidigung als Zeuge vor Gericht laden lassen möchte. Backert habe ohne medizinische Kenntnisse gegenüber den Medien "sofort geäußert", dass auf den sichergestellten Bildern sexualbezogene Handlungen zu sehen seien, und zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber dem Fränkischen Tag bekräftigt, über ausreichende Indizien für einen sexuellen Hintergrund zu verfügen, kritisierte der Verteidiger. Über die beiden Anträge wird die Kammer in den nächsten Tagen entscheiden.

Zurück zu W.s medizinischem Vortrag, der gegen Ende noch einen kleinen Eklat auslöste, als er an mehreren Fallbeispielen Diagnosen und Therapien von Beckenvenenthrombosen dargelegte. Auf Aufforderung des Gerichts hatte er zuvor alle dazugehörigen Bilder, die unbekleidete Frauen und Geschlechtsteile zeigen, aus dem öffentlichen Vortrag entfernt.


Opfer war identifizierbar

Diese sollten und wurden dann auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur den Prozessbeteiligten zugänglich gemacht. Ein Bild aber war doch für alle zu sehen: das Foto einer bekleideten schlanken jungen Frau, von der nur das Gesicht verpixelt war. Vorgetragen von W. und abzulesen auf der Präsentation waren auch das Alter und die näheren Umstände ihrer Erkrankung, die zum Aufenthalt im Klinikum führten.
Einem Nebenkläger-Vertreter rutschte ein Schimpfwort heraus, weil dieses Opfer damit eindeutig identifizierbar sei. Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb pflichtete ihm bei: "Das hat ganz klar einen Bezug zu einem Fall." Der Angeklagte stritt halbherzig ab, dass es sich beim gezeigten Fall um eine Frau handele, die in der Anklageschrift genannt sei.

Der Prozess geht am Mittwoch um 9 Uhr weiter.