Zeit zu verschenken

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Barbara Gusinde begleitet die 95-jährige Ida Fritsch zum Hörgeräteakustiker. Foto: Gabriele Makowka
Barbara Gusinde begleitet die 95-jährige Ida Fritsch zum Hörgeräteakustiker. Foto: Gabriele Makowka

Viele Senioren in Bad Kissingen fühlen sich einsam. Die Initiative "Eine Stunde Zeit füreinander" vermittelt und betreut ehrenamtliche Helfer.

Die 95-jährige Ida Fritsch sitzt beim Hörgeräteakustiker. Alleine könnte sie diesen Termin nicht wahrnehmen. Deshalb wird sie von Barbara Gusinde begleitet. Gefunden haben sich die beiden durch die Initiative "Eine Stunde Zeit füreinander". "Früher nannte man das, was wir heute machen, wohl Nachbarschaftshilfe", erklärt Christoph Glaser, Diakon in der katholischen Pfarrgemeinde Bad Kissingen. Als er immer öfter von Hilfesuchenden angesprochen wurde, gründete er 2011 mit Gabriele Makowka, Elisabeth Wagner und Barbara Voll die Initiative. Sie werden von der Caritas-Fachreferentin Helga Vierheilig unterstützt. "Eine Stunde Zeit füreinander" vermittelt Dienstleistungen zwischen Hilfesuchenden und ehrenamtlichen Helfern. Das Projekt zeichnet sich durch die Reichweite in alle Stadtteile Bad Kissingens aus.


Maßgeschneiderte Hilfe

Die rund 50 Ehrenamtlichen engagieren sich in unterschiedlichen Bereichen. Sie gehen in die sieben Seniorenheime der Stadt, in Privathaushalte, Schulen und Kindergärten. Sie unterstützen Senioren bei Behördengängen und versuchen sie "aus ihren Zimmern zu holen", wie Makowka das nennt. Sie erklärt, dass viele ältere Menschen einen eintönigen Alltag haben. Spazierengehen, Vorlesen, Gesellschaftsspiele und Besorgungen mit anderen Menschen durchbrechen diese Langeweile. Aber auch Betreuung und Hausaufgabenhilfe für Kinder vermittelt die Initiative. Ganz nach dem Motto: Jeder soll sich nach seinen Begabungen und Wünschen engagieren.

Die "eine Stunde Zeit pro Woche" ist dabei nur ein Richtwert. "Meist haben die Ehrenamtlichen und die Hilfesuchenden ziemlich genaue Vorstellungen, was sie brauchen oder wie sie helfen möchten." Der eine kennt sich mit Finanzen aus, ein anderer spielt gerne Karten. Wie und wie lange sich jeder engagiert, hängt ganz an den Menschen, die ihre Zeit schenken. Das Team der Initiative versucht die Ehrenamtlichen dann bestmöglichst zu vermitteln. "Das ist oft mühsam", sagt Glaser. Doch der Aufwand lohnt sich. Es kommt selten vor, dass Helfer und Hilfsbedürftiger nicht miteinander auskommen und neu vermittelt werden. Dabei erlebt das Team um Makowka und Glaser auch lustige Geschichten: Ein älterer Herr, der ausschließlich einen männlichen Mühle-Mitspieler sucht, oder eine Frau, die einen Etikettekurs für Kinder anbietet, und das mit großem Zuspruch der jungen Teilnehmer.


Eine Erfolgsgeschichte

Besonders in Bad Kissingen leben viele zugezogene Senioren. Die haben meist keinen engen Freundes- und Verwandtenkreis um sich. Unterstützung, die sie von diesen Menschen im Alter erfahren würden, fällt weg. Auch immer mehr Berufstätige finden kaum Zeit, sich um ihre Angehörigen zu kümmern. Hier setzt die Initiative an. Unter den 50 Helfern befinden sich fast ausschließlich Rentner. "Man braucht einfach Zeit. Und die haben meist die Rentner", erklärt die 69-jährige Barbara Gusinde. Sie engagiert sich seit Beginn der Initiative. Die ehemalige Musiklehrerin veranstaltete lange Zeit eine Gesangsstunde für die Senioren im Wohnheim Katharinenstift. Jetzt hilft sie zwei Damen bei Arztbesuchen, beim Einkaufen und Besorgungen: Mal ein Geburtstagsgeschenk für Verwandte, mal ein Besuch auf der Bank. Die Zeiten sind dabei sehr flexibel, und Gusinde hilft, wenn sie gebraucht wird. Die 95-jährige Ida Fritsch ist dabei ihr Vorbild: "Sie ist so eine tolle, alte Dame. Ich wünsche mir, in dem Alter auch noch so viel Schwung zu haben."


Warum helfen?

Ein Lächeln, ein begeisterter Handschlag, die unendliche Dankbarkeit der Menschen, das Gefühl etwas Gutes und Sinnvolles zu tun: Der Lohn des Ehrenamtes ist unerschöpflich, auch wenn es kein Geld gibt. "Es war so schön, die Erinnerungen der Leute zu wecken und die Freude in den Gesichtern zu sehen", schwärmt Gusinde über ihre Besuche im Pflegeheim. "Es entstehen schöne Kontakte und auch neue Freundschaften", erzählt auch Makowka. Die Ehrenamtlichen können sich zudem in regelmäßigen Treffen austauschen und über ihre Erfahrungen berichten. Das ist dem Team besonders wichtig. Bevor die Ehrenamtlichen eingesetzt werden, gibt es deshalb auch einen Einführungsworkshop. Auch wenn die Initiative keine Altenpflege anbietet, ist es sinnvoll, über den Umgang mit älteren Menschen Bescheid zu wissen.


Immer weniger Ehrenamtliche

"Das ist ja heute nicht mehr selbstverständlich", freut sich Glaser über den Zuspruch für ehrenamtliches Engagement. Und obwohl das Ehrenamt bei Jüngeren derzeit populärer wird, werden viele Helfer in andere Bereiche, wie Flüchtlingshilfe und Integrationsprojekte, abgeworben. Glaser: "Die Anfragen von Hilfesuchenden können gar nicht gedeckt werden." Viele Helfer müssen im Alter aus gesundheitlichen Gründen aussteigen.

Neue Ehrenamtliche zu finden, sei schwer. In Spitzenzeiten gab es um die 80 Menschen, die ein Stunde Zeit schenkten. Die Initiative hofft auf erneuten Zuspruch, in Zeiten, in denen man oft vergisst, dass man sich direkt vor der Haustür engagieren kann.