Walter Lauter leidet - und hat noch lange nicht genug

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Angenehm kühl, aber anstrengend: Zur Tour durch die Slowakei und Tschechien gehörten auch Flussdurchquerungen. Fotos: Walter Lauter
Angenehm kühl, aber anstrengend: Zur Tour durch die Slowakei und Tschechien gehörten auch Flussdurchquerungen. Fotos: Walter Lauter
Walter Lauter (links) und ein tschechischer Begleiter auf Zeit.
Walter Lauter (links) und ein tschechischer Begleiter auf Zeit.
 
Solche Passagen kosten Substanz.
Solche Passagen kosten Substanz.
 
Unterwegs in der Einsamkeit.
Unterwegs in der Einsamkeit.
 

Bei den "1000 Meilen" durch die Slowakei und die Tschechische Republik war für Walter Lauter nach der Hälfte des Rennens Schluss. Bei extremer Hitze hatte der 58-Jährige bis zu 18 Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich genommen.

Begonnen hatte alles perfekt. Mit der Zugfahrt über Hof nach Prag, von wo aus es im Nachtzug in die Slowakei und die letzten 50 Kilometer via Bustransfer zum Startpunkt ging in einem 300-Seelendorf unmittelbar an der ukrainischen Grenze. Startnummern-Vergabe und das übliche Procedere vor einem Langstrecken-Rennen. Nichts, was Walter Lauter hätte beunruhigen können. Drei Tage später hatte sich die Vorfreude des 58-Jährigen in ein emotionales Tief gedreht - ganz ohne Bären-Begegnung, was in Teilen der Karpaten ein reales Risiko ist.
"Ich bin zu schnell angegangen. Das habe ich auch aufgrund der großen Hitze gebüßt", berichtet Walter Lauter, der wie geplant mit seinem Berliner Kumpel Thomas Strobel in die "1000 Meilen" gegangen war. "Der ist aber 30 Jahre jünger, 15 Kilogramm leichter und wesentlich fitter.
Ich habe überreizt, weil ich Thomas nicht ausbremsen wollte", erzählt der Hausener, den zusätzlich Knieprobleme plagten, was sich vor allem in den - unvermeidlichen - Laufpassagen als schmerzhaft erweisen sollte. "Andererseits ist es für die Moral natürlich schöner, mit einem Kumpel unterwegs zu sein."

Endlich wieder Appetit

460 Kilometer und 10 300 Höhenmeter hatte Walter Lauter an den ersten vier Tagen zurückgelegt. Und die Erkenntnis gewonnen, dem überforderten Körper eine Pause gönnen zu müssen. "Da habe ich beschlossen, nur 500 Meilen zu fahren. Diese Distanz wurde auch offiziell gewertet. Und das war immer noch besser, als irgendwann aufgeben zu müssen." Die Tempodrosselung brachte die erhoffte Erholung. War die Essensaufnahme für den ausgepowerten Körper zuvor eher Zwang als Lust gewesen, kehrte auch wieder der Appetit zurück. Beim ersten Checkpoint gönnte sich Walter Lauter auch ein paar Biere und den Austausch mit den Leidensgenossen. Unglaublich: Bei bis zu 38 Grad im Schatten hatte der Unterfranke pro Tag bis zu 18 Liter Flüssigkeit zu sich genommen.

Alpine Verhältnisse

"Wie in der Rhön oder im Voralpenland" hatte sich Walter Lauter unterwegs gefühlt auf der sehr welligen und waldreichen Strecke. Der höchste Punkt lag auf einer Höhe von fast 1600 Metern. "Bei 35 Grad musste ich das Rad schieben, weil es so steil war. Oben angekommen, bin ich in ein Gewitter geraten samt Temperatursturz. Nach der 20 Kilometer langen Abfahrt war es richtig nasskalt", erzählt der Mann mit dem Zopf, der sich an diesem Abend eine Übernachtung in einer Pension gönnte, um die verdreckten Klamotten zu reinigen und in einem Bett zu schlafen. "Frühstück gab es aber keins, weil ich in aller Früh schon wieder weiter bin, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, die ja mit dem Startschuss zu laufen begann."

Einem Bären begegnete der 58-Jährige übrigens nicht, trotz fünf sogenannter Bären-Sektionen, die im GPS extra gekennzeichnet waren und die zwischen 20 Uhr und 6 Uhr nicht durchfahren werden durften. Bei Verstoß drohten Zeitstrafen. Präzision in der eigenen Tagesplanung war da unabdingbar. "Manchmal schafft man 20 Kilometer in der Stunde, manchmal nur fünf, weil die Strecken teils im sehr schlechten Zustand oder einfach schwierig waren", sagt Walter Lauter. Spurrillen kosteten ebenso Energie wie verschiedene Flussdurchquerungen. "Einmal habe ich sogar das Seil benutzt, um damit mein Rad am Körper festzubinden. Da hat sich die wasserdichte Verpackung extrem bewährt."

Bei diesem sogenannten Self-Support-Rennen waren die Teilnehmer quasi auf sich allein gestellt, durften keine organisierte Unterstützung von außen in Anspruch nehmen. Werkzeug am Rad war Pflicht. Bereits am zweiten Tag hatte Walter Lauter die erste Panne, als sich ein Ast im Reifen verklemmte und der Hausener über den Lenker flog. "Ich bin zum Glück weich gelandet. 80 Prozent der Luft waren aus dem Reifen. Ich hab mich aufgerafft, den Reifen aufgepumpt und bin weitergefahren", sagt der IT-Fachmann, der ansonsten nur kleinere Reparaturen vornehmen musste.

Magic-Trail

Trotz der Qualen denkt Walter Lauter, der im Ziel Gesamt-Siebter war und seine Altersklasse gewann, schon ans nächste Jahr. "Sobald man regeneriert hat, überwiegen schon die positiven Erinnerungen, auch wenn das sicher eine meiner härtesten Touren war." Die von jedem Biker erhoffte, aber nie garantierte Trail-Magic hatte sich ja auch ergeben, als Walter Lauter und seine beiden tschechischen Begleiter auf Zeit tatsächlich auf ihr Zelt verzichten und in der Umkleide-Kabine eines Sportheimes übernachten durften. "Davor hatten wir in einer Kneipe schön gegessen, uns ein Bier gegönnt. Das war eine coole Geschichte." Insgesamt hatte Walter Lauter nach sechs Tagen und 23 Stunden 860 Kilometer und 20 500 Höhenmeter zurückgelegt - und sich jeden Tag ein eigenes Abenteuer arrangiert.


Dass Rennen als Tagebuch


Tag 1 37 Grad im Schatten. 96 Kilometer (km) und 1322 Höhenmeter (Hm). Etwas zu schnell angegangen, der Rennstress. Um 22.30 Uhr noch eine Flussdurchquerung, bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Camp auf einer Obstwiese. Früh um 5 Uhr aufgestanden.

Tag 2 134 km, 3000 Hm. Schon früh um 6 Uhr die nächste Flussdurchquerung, diesmal nackig, da das Wasser bis zur Hüfte ging. Circa 80 Meter, aber sehr warmes Wasser, die perfekte Erfrischung. Leider mussten wir um 20.15 Uhr den Tag beenden, da vor uns ein Bärengebiet lag, was nachts nicht durchquert werden darf. Camp in einen Dorf auf einem Kinderspielplatz.

Tag 3
124 km, 2500 Hm. 5.30 Uhr wecken. Dann durchs dritte Bärengebiet. Leider keinen gesehen. Man schaut sich schon mal links und rechts um. Heute war's echt zäh. Auf circa 1000 Metern Höhe und auf 50 Kilometer Länge permanent 100 Meter rauf und runter. Alles auf Wiesenwegen. Und auf 70 Kilometer Länge bei der Hitze keine Möglichkeit Wasser zu fassen. Wir hatten Glück und fanden eine Quelle, sonst wär's eng geworden. Abends dann für 5 Euro ein Hirschgulasch und um 21 Uhr einen Campingplatz gefunden. Nach drei Tagen wieder mal duschen. Auch heute wieder 38 Grad im Schatten. Einige Teilnehmer haben deshalb schon aufgehört. Morgen schellt der Wecker um 4 Uhr. In der Slowakei wird es nämlich um 21 Uhr dunkel und um 4.30 Uhr ist es schon wieder hell.

Tag 4 115 km 3500 Hm. Die letzten 3 Stunden im Gewitterregen geradelt. Dabei war's sehr nasskalt, aber davor 37 Grad. Bin grad fix und alle, liege aber gut in der Zeit.

Tag 5 89 km, 2100 Hm. Übernachte heute am Checkpoint 1. werde die nächsten drei Tage die restlichen 303 Kilometer zum Finish der "500 Miles" fahren. Nicht mehr im Race Modus, sondern im Tourenmodus. Bin leer, habe die ersten Tage bei 38 Grad übertrieben. Mehrmals kurz vor 'nem Hitzekoller. Es kommen auch mal wieder bessere Tage.

Tag 6 95 km 2700 Hm. Der Tag lief gut. Morgens um 9 Uhr wieder eine Flussdurchquerung, diesmal 50 Meter breit, 70 Zentimeter tief, ziemliche Strömung, aber erfrischend. Heute hat mir das erste Mal während der Tour wieder das Essen geschmeckt, und das reichlich. Hab mich um 20.30 Uhr von zwei tschechischen Mitfahrern dazu überreden lassen, zwei Kilometer vom Track wegzufahren. Dafür sitzen wir jetzt in der Kneipe und lassen es uns schmecken.

Tag 7 134 km 2900 Hm. Heute lief es wieder prächtig. Hab mich wieder erholt und bin wieder auf 80 Prozent Leistung. Aber mein Entschluss steht fest. Morgen nochmal 84 Kilometer bis zum Ziel der "500miles". Eigentlich wären die 1000 in 14 Tagen noch drin. Aber ich brauche auch ein Ziel für 2016...

Tag 8 86 km und 2500 Hm. Bin seit 15.15 Uhr im Ziel, lasse es mir hier gut gehen, der Support ist mehr als perfekt. Wieder mal geht ein Abenteuer zu Ende. Die Slowakei und Tschechien haben mit sehr gefallen. Tolle Natur, alles sehr ursprünglich. Keine Probleme mit Bären. Alle Teilnehmer waren extrem nett und die Veranstalter absolut genial. Hier werde ich sicherlich nicht das letzte Mal sein.