Am Wochenende verschwand ein Mann aus der Psychiatrie in Erlangen. Der Polizist, der ihn vor 16 Jahren bei einem Amoklauf in Ansbach stoppte, berichtet von der Horrortat.
Ein Patient verschwindet am Wochenende aus der forensischen Psychiatrie in Erlangen. Wenig später steht fest: Es handelt sich bei ihm um den Amokläufer von Ansbach. Nach einem genehmigten Ausgang ist der inzwischen 34-Jährige nicht mehr zurückgekehrt. Seitdem fahndet die Polizei nach ihm. Doch was genau war damals passiert? Ein Polizist schildert die Szenen, die sich am 17. September 2009 am Carolinum Gymnasium ins Ansbach abspielten. Er selbst stellte den Jungen und verletzte ihn dabei schwer.
"Ich hätte nie daran gedacht, dass mich dieser Tag so verfolgen würde", erklärt er. Er ist Kriminalhauptkommissar und hat bereits im Jahr 2013 an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) einen Vortrag über seine Erfahrungen bei dem Amoklauf in Ansbach gehalten. Die Schilderungen wurden in einem Bericht festgehalten.
"Panische Stimmen berichten von Feuer": Polizei stürmt Schule bei Amoklauf
Die Polizisten trafen die plötzlichen, verzweifelten Anrufe am Morgen des 17. September 2009 demnach aus dem Nichts. "Panische Stimmen berichten von Feuer und einem irren Täter, der mit einer Axt und Molotow-Cocktails bewaffnet ist", heißt es in der Veröffentlichung der HSPV NRW. Einer der Anrufe, die der Polizist und seine Kollegen an diesem Morgen hörten, kam demnach aus einem Klassenzimmer im dritten Stock der Schule. Dort hatte sich eine Klasse verschanzt, im Hintergrund hörte man hysterische Schreie. Auch ein Rütteln an der Tür sei zu hören gewesen. Das Entsetzen auf der Dienststelle war groß: "Niemand hat damit gerechnet, dass so etwas in dieser kleinen Stadt in Bayern jemals passieren würde", heißt es im Bericht.
Als schließlich die ersten Notrufe über den Amoklauf eintrafen, musste auch der Polizist ausrücken. "Ich war völlig konzentriert, ging bestimmt in die Waffenkammer und rüstete mich wie selbstverständlich mit einer Maschinenpistole aus. Meine Schutzweste trage ich immer, darauf lege ich besonderen Wert", berichtete er von den ersten Sekunden nach der Einsatzvergabe.
Gemeinsam mit seiner Streifenpartnerin eilte er zum Streifenwagen und fuhr auf direktem Weg zum naheliegenden Gymnasium. Im Innenhof tummelten sich demnach bereits Schulklassen, die wegen des Feueralarms die Schule routiniert verlassen hatten. "Erst als sich die Beamten nähern, wird für die Schüler langsam klar, dass dies kein Probealarm ist", rekonstruieren die Beamten. Der Polizist erinnert sich an eine Stimme, die unter Hunderten von Schülern herausstach und sagte: "Guck mal, der hat sogar eine Maschinenpistole". Dieser Satz gehe dem Polizisten nicht mehr aus dem Kopf.
Polizist stößt auf "verstörten Jungen" - und findet Amokläufer schließlich auf der Schultoilette
Schon im Eingangsbereich stieß er auf ein offensichtlich verletztes Mädchen. Ihr zu helfen sei in diesem Moment jedoch nicht möglich gewesen, zuerst musste der Täter "handlungsunfähig gemacht werden". Diesen ausfindig zu machen, sei sein einziges Ziel gewesen. Der Täter sollte sich demnach im dritten Obergeschoss aufhalten. Auf dem Weg dorthin kamen den Beamten noch hunderte von Schülern entgegen. Darunter auch ein laut Bericht "verstörter Junge", der ständig dieselben Worte wiederholte: "Ich muss Feuer löschen." Später stellte sich heraus, dass es sich bei ihm um ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr handelte.
Systematisch kontrollierten die Polizisten das Stockwerk, bis sie schließlich bei der Jungentoilette angelangten. Die Kabine gleich vorne links sei verschlossen gewesen. "Ich dachte zunächst, dort hätte sich aus Angst ein Schüler versteckt. Doch dann kam alles anders", erzählte der Polizist mit einem nachdenklichen Blick. Plötzlich wurde die Tür ruckartig aufgerissen und ein Junge trat heraus. "Schreiend, mit einem Messer bewaffnet und geht auf ihn zu, greift an. Der Polizist schießt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Der Junge bleibt schließlich, von drei Kugeln getroffen, schwer verletzt am Boden liegen", beschreiben die Beamten.
Der Polizist erklärt: "Ich musste so oft schießen, da der Junge, vollgepumpt mit Adrenalin, weiter auf mich zukam, obwohl er bereits getroffen wurde." Der Täter wurde daraufhin in ein Krankenhaus gebracht, heißt es. Und: Er überlebte. Heute ist er als der Amokläufer von Ansbach bekannt. Seither litt der Polizist unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, erklärte er ebenfalls im Jahr 2013. "Mir kommen Bilder aus Einsätzen von vor 20 Jahren vor die Augen, von denen ich dachte, dass ich sie schon längst vergessen habe", schilderte der Polizeibeamte.
16 Jahre später: Amokläufer von Ansbach flieht aus Klinik - Polizei leitet Fahndung ein
Der Amokläufer von Ansbach war zum Tatzeitpunkt gerade einmal18 Jahre alt und selbst Schüler am Carolinum Gymnasium. Im April 2010 wurde er unter anderem wegen des versuchten Mordes in 47 Fällen schuldig gesprochen und zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt. Zudem wurde die unbefristete Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Zuletzt war der mittlerweile 34-Jährige in Erlangen untergebracht und nahm nach Angaben der Bezirkskliniken bereits seit Anfang des Jahres regelmäßige Tagesausgänge wahr.