Nach der Richterwahl sprang ihm am Freitag und am Wochenende aber zunächst kaum jemand zur Seite. Selbst die einsame Solidaritätsbekundung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, Vorsitzender von Spahns CDU-Landesverband, klang etwas halbherzig: «Es spricht aber für Jens Spahns Charakter, dass er offensiv damit umgeht und nach Lösungen sucht.»
Am Sonntagabend stellte sich dann aber Kanzler und Parteichef Merz klar hinter hin. Auf die Frage, ob Spahn noch der richtige Mann als Fraktionschef sei, sagte er: «Eindeutig ja.» Das dürfte Spahn seinen Posten zunächst sichern. Allerdings ist er nun ein Fraktionschef auf Bewährung. Bei der nächsten Panne wird es für ihn gefährlich.
Ansehen des Bundesverfassungsgerichts
Viele halten das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts schon jetzt für beschädigt. So warf SPD-Fraktionschef Matthias Miersch der Union gar «die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen» vor. CSU-Innenminister Alexander Dobrindt sieht das anders. «Alles, was nicht zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt, ist automatisch eine Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts: Dieser Sichtweise kann ich mich nicht anschließen.»
Bisher ist die Besetzung von Richterposten in der Regel aber nicht umsonst möglichst geräuschlos zwischen den großen Parteien geklärt worden. Es geht um das höchste deutsche Gericht, um Richter und Richterinnen, die unabhängig Entscheidungen von Regierung und Parlament auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen sollen. Offener politischer Streit über die Besetzung von Richterposten passt dazu nicht.
Handlungsfähigkeit des Bundestags
Letztlich geht es bei der Suche nach einer Lösung auch um die grundsätzliche Frage, wie handlungsfähig der Bundestag in seiner jetzigen Zusammensetzung noch ist, in der die sogenannten Parteien der Mitte - also CDU/CSU, SPD und Grüne - keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit mehr haben.
Sollte der Bundestag sich nicht über die Richter-Nachbesetzungen einigen können, geht die Entscheidung an den Bundesrat über. Das wäre das Eingeständnis, dass das Parlament nicht mehr voll entscheidungsfähig ist.
Bei der Suche nach einer Lösung sind nun vier Szenarien denkbar:
Szenario 1: Die SPD zieht ihren Vorschlag zurück
Dieses Szenario wäre der Union am liebsten, ist mit der SPD nach jetzigem Stand aber nicht zu machen. «Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht», hat Fraktionschef Matthias Miersch klargestellt. Die Sozialdemokraten loben die Potsdamer Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf als «eine hochangesehene Juristin, die fachlich über jeden Zweifel erhaben ist» und sehen daher keinen Grund für einen neuen Vorschlag.
Szenario 2: Brosius-Gersdorf wirft hin
Die Anfeindungen gegen Brosius-Gersdorf im Netz gingen nach Angaben der SPD bis hin zu Morddrohungen. Die Potsdamer Staatsrechtlerin könnte sich daher am Ende selbst für einen Rückzug entscheiden, um sich zu schützen. Gewonnen hätten dann aber vor allem diejenigen, die sie angefeindet haben.
Szenario 3: Die Union schließt doch noch die Reihen
Das ist das Szenario, das die SPD sich wünscht. Sie hat vorgeschlagen, dass sich Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion vorstellt, um Bedenken auszuräumen. Die Zahl derer unter den 208 CDU/CSU-Abgeordneten, die sich gegen sie gestellt haben, soll bei etwa 60 liegen. Das Problem bei diesem Szenario: Die Richter werden in geheimer Abstimmung gewählt. Niemand kann garantieren, dass genügend Unionsleute mitziehen. Merz wollte sich am Sonntag noch nicht dazu äußern, wie er den Vorschlag der Vorstellungsrunde findet. Mit der SPD werde darüber gesprochen, sagte er lediglich.
Szenario 4: Der Bundesrat entscheidet
Sollte der Bundestag keine Lösung finden, kann die Entscheidung nach gewissen Fristen an den Bundesrat übergehen. Aber auch dort ist dann eine Zweidrittelmehrheit nötig. Und deswegen ist auch dort die Entscheidungsfindung nicht unbedingt einfacher.