Showdown in der Domstadt

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Landtagsabgeordnete betreten im April 1919 die Bamberger Harmonie. Kontrolliert werden sie zuvor von Mitgliedern der Bamberger Bürgerwehr. Foto: Stadtarchiv Bamberg/Nachlass Rupp
Landtagsabgeordnete betreten im April 1919 die Bamberger Harmonie. Kontrolliert werden sie zuvor von Mitgliedern der Bamberger Bürgerwehr.  Foto: Stadtarchiv Bamberg/Nachlass Rupp
Michael Heger Foto: privat
Michael Heger Foto: privat
 

Vor 100 Jahren flieht die Regierung nach Bamberg. Als die Ministerien ankommen, erkennt ein Kriegsheimkehrer einen grausamen Hauptmann. In seinem Debüt verbindet der Bamberger Autor Michael Heger das Große mit dem Kleinen.

Der elende Dreckskerl also, er lebt noch. Ist von keiner höheren Gerechtigkeit zur Rechenschaft gezogen worden. Hat sich vor keinem irdischen Gericht rechtfertigen müssen für das, was er an den Frontverläufen des Ersten Weltkriegs Gustav Grüner und seinen Kameraden Willy, Hans und Kaspar angetan hat.

Der Dreckskerl, er lebt. Steht in einer Bamberger Gaststätte rum. Als sei nichts gewesen. "Warum überleben immer die Falschen?", denkt Gustav Grüner. Er taumelt, er fällt. Blut.

Mitten rein ins Geschehen

Mit den ersten Sätzen ist der Ton gesetzt. Michael Heger stößt seine Leser mitten rein in seine Geschichte, in die Konstellationen, Schicksale und Konflikte.

Für eine gemächliche Entfaltung von Zeit und Verhältnissen hat der in Bamberger lebende Autor keine Zeit. Sein Roman "1919. Es ist doch eine neue Zeit jetzt" legt die Karten sofort auf den Tisch.

Hegers Debüt spielt in Bamberg und es spielt im titelgebenden Jahr 1919. Der Erste Weltkrieg ist vorbei und doch auch nicht. Das auf dem Schlachtfeld geschlagene und in seinem stolzen Selbstbild gekränkte Deutschland muss sich neu erfinden.

Wieder sterben Menschen. Dieses Mal nicht auf den Schlachtfeldern für den Ruhm und die Machtkalküle des Kaiserreichs. Dieses Mal in den Städten und Dörfern, im Streit darum, wie freiheitlich oder autoritär das aus den Trümmern von Krieg und Monarchie entstehende Deutschland sein soll. Nicht einmal die bayerische Regierung kann sich der Gewalt entziehen. Sie flieht vor den Anhängern der Räterepublik nach Bamberg. Dort in der Domstadt weiß Gustav Grüner immer noch nicht, wie das gehen soll: leben nach den eigenen Maßstäben und dabei glücklich werden.

Frucht vor Ablehnung

Mit Gustav Grüner hat Heger einen gleich mehrfach gebrochener Held entwickelt: Grüner ist ein an der Seele versehrter Kriegsheimkehrer; ein Homosexueller, der sich aus Angst vor Ablehnung und Repression in eine Scheinehe flüchtet; Grüner ist schließlich der designierte und von seinem Vater doch verachtete und deshalb ausgebremste Erbe einer Gaststätte.

In Bamberg lässt Heger die Fäden zusammenlaufen. Denn Gustav und seine Kameraden bindet ein Schwur: Rache zu nehmen an dem Hauptmann, diesem elenden Dreckskerl. Hin- und hergeworfen sind Gustav und seine Kameraden zwischen dem alles verzehrenden Wunsch nach Rache und dem Vertrauen in die Gewaltenteilung eines demokratischen Staates: "Es geht auch um die Frage, ob man Hass mit Hass begegnen soll", sagt Heger.

Der 48-Jährige hat in Bamberg studiert, die Stadt wieder verlassen - und schnell gespürt, was er verloren hat. Heger wollte zurück, so schnell wie möglich. "Ich habe mich überall in Bamberg beworben, wo es nur ging." Der Bamberger Tourismus & Kongress Service (TKS) sagte Ja, 14 Jahre später ist Heger zum Tourismusdirektor aufgestiegen.

Bamberger Kolorit

Wahrscheinlich konnte ein Bamberg-Enthusiast - Heger ist es im Privaten nicht minder als im Beruflichen - wie er gar nicht anders, als sein Debüt in der Domstadt anzusiedeln. Es steckt viel Bamberger Kolorit in seinem Buch: Straßennamen, Institutionen wie St. Getreu, das Bier, die Kultur der Wirtshäuser.

Trotzdem hat Heger keine literarisierte Tourismusbroschüre geschrieben. "Es ist doch eine neue Zeit jetzt" ist ein historischer Roman aus eigenem Recht. Der Autor und der Tourismusdirektor treffen sich allenfalls dort, wo es im Roman heißt: "Kommen die Leute jetzt schon zur Sommerfrische nach Bamberg? Mitten im April?" Wer will, kann diesen Satz als lässigen Kommentar zur immerwährenden Diskussion über Fluch und Segen des städtischen Tourismus lesen.

Das Große im Kleinen

Die literarische Standortentscheidung zugunsten Bambergs motivierten historisch gute Gründe: nicht nur, dass die Regierung Hoffmann dorthin floh; in Bamberg wurde vor 100 Jahren auch die Bamberger Verfassung verabschiedet.

Wie seine Helden mit der Zeitgeschichte synchronisiert Heger die Bamberger Weltprovinz mit München und den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Diese Verknüpfungsarbeit kommt zwar nicht ganz an jene Kunstfertigkeit heran, mit der Volker Kutscher seine "Gereon Rath"-Romane schreibt. Aber auch Heger hat das Talent, das Große im Kleinen zu spiegeln, Zeitgeschichte mit den Lebenswegen seiner Figuren zu verweben.

Zwei Jahre lang hat Heger Wörter an Wörter und Sätze und Sätze gereiht. Abends nach der Arbeit,

wenn die Kinder im Bett lagen. Ihnen hat Heger seinen Roman gewidmet: "Gehört zu den Aufrechten/habt ein Herz/ seid dankbar/ lebt!"

Weder die Unversöhnlichkeit in den Debattenforen der sozialen Medien noch die parlamentarische Existenz einer rechtspopulistischen Partei rechtfertigen hyperventilierende Parallelen mit der Weimarer Republik. Das weiß auch Heger. Das Deutschland von heute ist nicht Weimar. Wer nach den Maßstäben von Hegers Widmung lebt, der hilft, dass es auch so bleibt.

Buch Michael Heger: "1919. Es ist doch eine neue Zeit jetzt". Gmeiner Verlag, 470 Seiten, 15 Euro