In die Finsternis des Nationalsozialismus stolpert August Unterseher nicht hinein. Er lässt sich hineinstoßen. Möglichkeiten eines vielleicht nicht unbedingt glücklicheren, aber doch immerhin anderen Lebens gibt es. Sein Freund Paul und die Schwarzhändlerin Isa zeigen sie ihm auf. Unterseher muss nur springen. Aber er springt nicht.
Ein Fähnchen im Wind
Es liegt nichts Subversives in seiner Apathie. Unterseher ist nicht einmal Mitläufer oder Opportunist. Dazu nötig wäre die eiskalte Berechnung der sich offenbarenden Umstände und Möglichkeiten. Dazu fähig ist er nicht. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften. Ein Fähnchen im Wind. August Unterseher ist einfach immer nur da.
Das ist die Tragik seines Lebens. Wie er sich am Abend seines Lebens dieser Tragik stellt und mit ihr der Frage nach der eigenen Schuld, davon erzählt "Und ich war da" mit Einfühlungsvermögen und psychologischem Geschick. Das ist die Kunst von Martin Beyer. Er schenkt dem in sich verkapselten Unterseher Wörter und Sätze für das, was er ist und was er erlebt hat. Beyer öffnet der "klapprigen Verdrängungsmaschine" einen Weg, mit seinen Fronterfahrungen selbst etwas schlechthin Unerzählbares erzählbar zu machen.
So geht das anregende 160 Seiten lang. Dann schiebt Beyer Johann Reichhart, die Geschwister Scholl und Christoph Probst in die Kulissen seines Romans. Der eine ist der berühmteste Scharfrichter des Dritten Reichs, die anderen sind Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Alle zusammen sind sie real existierende Figuren deutscher Zeitgeschichte.
Es ist, als traue Beyer seinem oberbayerischen Bauernbuben plötzlich nicht mehr zu, einen ganzen Roman zu tragen. Als verliere der 43-Jährige aus Bamberg auf der Zielgeraden nicht nur das Vertrauen in seine Fähigkeiten, sondern in grundsätzlicher Weise in die Kraft der Imagination. Als sollten sich historische Persönlichkeiten für seinen Roman verbürgen.
In scharfem, zu grell überzeichnetem Kontrast stellt Beyer in der Hinrichtungsstätte von Stadelheim das lebensuntüchtige Phlegma seiner Hauptfigur dem heroischen Widerstand der Weißen Rose gegenüber. Unter bestimmten Voraussetzungen, und das verbrecherische System des Nationalsozialismus ist eine solche Voraussetzung, können Phlegma und Apathie gleichbedeutend sein mit Schuld: Das will Beyer zeigen.
Nur hat er diese Einsicht im Verlauf seines Romans schon eleganter inszeniert als mit der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl. Als Unterseher der SS bei Massenerschießungen zur Hand gehen muss zum Beispiel, und sich nichts dabei denkt: "Ich bin unter den Schützen, dabei gehöre ich nicht zur SS, doch Jochen und Werner stehen neben mir, also wird alles seine Richtigkeit haben."
Gescheitertes Experiment
Beyer hätte für seinen Roman nicht die Scholls benötigt und auch nicht den Scharfrichter Reichhart. Entsprechend blass bleiben die Figuren. Sie sind Fremdkörper in Beyers Roman.
Man versteht, was die Klagenfurter Juroren ihre Fassung verlieren ließ. Ihre Kritik berührt einen wunden Punkt in Beyers Romankonstruktion. Sein Spiel mit der historischen Authentizität geht nicht auf. Moralisch verwerflich daran ist allerdings nichts. Der gegen Beyer in Stellung gebrachte Vorwurf läuft ins Leere. Denn Beyer missbraucht die Weiße Rose nicht, er beschädigt nicht ihr Erbe. Das wäre der Fall, wenn er die Geschwister Scholl aus bloß aufmerksamkeitsökonomischen Gründen in seinen Roman gepackt hätte. Davon kann keine Rede sein. Dazu tauchen die Geschwister zu spät und zu kurz auf.
Die gute Nachricht ist, dass das Kapitel mit Johann Reichhart und der Weißen Rose das fragwürdigste, präziser gefasst: das einzige schwache in einem ansonsten lesenswerten Buch ist.
"Und ich war da" ist bedeutend eleganter und berührender, als die Empörung von Klagenfurt befürchten ließ.